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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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kein inspirirt. Wie kann ein deutsches Blatt noch heutzutage die alte Uneinigkeit
schüren und die erbärmlichen Rivalitäten der Kabinette aufwärmen? Wir erinnern
sie an einen ihrer leitenden Artikel vom 7. April und wollen nur kurz bemerken,
daß die beiden Großmächte, die östreichische und die preußische, einander wenig
schuldig bleiben werden, sehr wenig, wenn sie über ihre Sünden gegen Deutsch¬
land gegenseitig abrechnen wollen. Oestreich dürfte sogar im Nachtheile sein. Die
W. Z. hat die Naivetät, sich auf Oestreichs Präsidentschaft beim deutschen Bundes--
tage zu berufen, bei jenem Bunde, -- den wir, gottlob, gestürzt haben, -- um
die "historische" Berechtigung Oestreichs auf die deutsche Kaiserschaft zu beweisen.
Noch andere Berufungen, die nicht glücklicher sind, übergehen wir. Und dieses
Plaidoyer unterstützt sie durch die maßlosesten Ausfälle auf den König von Preußen.

Am 20. März waren solche Zornausbrüche erklärlich, am 7. April find es
sinnlose Schmähungen, die nichts beweisen. Will die Wiener Zeitung das deutsche
Volk in Preußen mit der Person des Königs identificiren, wie leicht könnte die
Berliner Presse ein Aehnliches mit Oestreich thun und zu was für unangenehmen
Rekriminationen gäbe dies Anlaß!

Der Hegemoniestreit ist ein gewaltiger Anachronismus; es handelt sich nicht
mehr um den Vorrang dieses oder jenes Cabinets, sondern um Deutschland. Wen
dieses zur Führerschaft beruft, der wird mit seinen Kräften der ganzen Nation
angehören; man wird ihn wahrlich nicht krönen, um seinem Hofstaat einen größern
Nimbus zu bescheren oder ihm die Mittel zur Arrondirung seiner Hausmacht zu
verschaffen; der deutsche Kaiser oder Präsident -- gleichviel welchen Titel das
künftige Bundesoberhaupt tragen möge -- wird durch die Vertreter der Nation
und durch die Gesammtverfassung des Bundesstaates gebührend beschränkt sein.
Gleichviel, ob er in Wien oder Berlin oder sonst wo zu Hause ist: er wird den
Völkern zwischen Alpen und Sudeten ebenso genaue Rechenschaft schuldig sein wie
den Stämmen zwischen Rhein und Riemen.

Es ist also ein beschränkter oder heuchlerischer Patriotismus, der fortwährend
blos Vivat! schreit oder Oestreich über Alles! Nur die servilen von gestern und
Liberalen von heute sind's, die, mit dem Strome schwimmend, ihr Bischen Pre߬
freiheit dazu gebrauchen, diplomatischen Rococo aufzuwärmen oder den Oestreichern
einzureden, daß sie von Preußen beneidet werden! Wir wollen keine preußische
Großmannssucht mehr, aber auch keine östreichische Eitelkeit.

Wer es ehrlich mit Oestreich meint, wird sich das gemüthlich verhätschelnde
Selbstlob abgewöhnen und fortan die trockene Wahrheit zu sagen suchen. Härtel
euch ab gegen die rauhe Luft der Wirklichkeit, wenn ihr die Preßfreiheit oder
die Freiheit überhaupt liebt. In Oestreich schlummern gewaltige Kräfte, wuchert
aber auch noch gewaltiges Unkraut. Es wird eine Herkulesarbeit sein, die Versäumniß
von Jahrhunderten nachzuholen. Seht das verschlammte, verworrene Maschinen¬
werk eurer Bureaukratie an, oder das gottlose östreichische Erziehungssystem, --


kein inspirirt. Wie kann ein deutsches Blatt noch heutzutage die alte Uneinigkeit
schüren und die erbärmlichen Rivalitäten der Kabinette aufwärmen? Wir erinnern
sie an einen ihrer leitenden Artikel vom 7. April und wollen nur kurz bemerken,
daß die beiden Großmächte, die östreichische und die preußische, einander wenig
schuldig bleiben werden, sehr wenig, wenn sie über ihre Sünden gegen Deutsch¬
land gegenseitig abrechnen wollen. Oestreich dürfte sogar im Nachtheile sein. Die
W. Z. hat die Naivetät, sich auf Oestreichs Präsidentschaft beim deutschen Bundes--
tage zu berufen, bei jenem Bunde, — den wir, gottlob, gestürzt haben, — um
die „historische" Berechtigung Oestreichs auf die deutsche Kaiserschaft zu beweisen.
Noch andere Berufungen, die nicht glücklicher sind, übergehen wir. Und dieses
Plaidoyer unterstützt sie durch die maßlosesten Ausfälle auf den König von Preußen.

Am 20. März waren solche Zornausbrüche erklärlich, am 7. April find es
sinnlose Schmähungen, die nichts beweisen. Will die Wiener Zeitung das deutsche
Volk in Preußen mit der Person des Königs identificiren, wie leicht könnte die
Berliner Presse ein Aehnliches mit Oestreich thun und zu was für unangenehmen
Rekriminationen gäbe dies Anlaß!

Der Hegemoniestreit ist ein gewaltiger Anachronismus; es handelt sich nicht
mehr um den Vorrang dieses oder jenes Cabinets, sondern um Deutschland. Wen
dieses zur Führerschaft beruft, der wird mit seinen Kräften der ganzen Nation
angehören; man wird ihn wahrlich nicht krönen, um seinem Hofstaat einen größern
Nimbus zu bescheren oder ihm die Mittel zur Arrondirung seiner Hausmacht zu
verschaffen; der deutsche Kaiser oder Präsident — gleichviel welchen Titel das
künftige Bundesoberhaupt tragen möge — wird durch die Vertreter der Nation
und durch die Gesammtverfassung des Bundesstaates gebührend beschränkt sein.
Gleichviel, ob er in Wien oder Berlin oder sonst wo zu Hause ist: er wird den
Völkern zwischen Alpen und Sudeten ebenso genaue Rechenschaft schuldig sein wie
den Stämmen zwischen Rhein und Riemen.

Es ist also ein beschränkter oder heuchlerischer Patriotismus, der fortwährend
blos Vivat! schreit oder Oestreich über Alles! Nur die servilen von gestern und
Liberalen von heute sind's, die, mit dem Strome schwimmend, ihr Bischen Pre߬
freiheit dazu gebrauchen, diplomatischen Rococo aufzuwärmen oder den Oestreichern
einzureden, daß sie von Preußen beneidet werden! Wir wollen keine preußische
Großmannssucht mehr, aber auch keine östreichische Eitelkeit.

Wer es ehrlich mit Oestreich meint, wird sich das gemüthlich verhätschelnde
Selbstlob abgewöhnen und fortan die trockene Wahrheit zu sagen suchen. Härtel
euch ab gegen die rauhe Luft der Wirklichkeit, wenn ihr die Preßfreiheit oder
die Freiheit überhaupt liebt. In Oestreich schlummern gewaltige Kräfte, wuchert
aber auch noch gewaltiges Unkraut. Es wird eine Herkulesarbeit sein, die Versäumniß
von Jahrhunderten nachzuholen. Seht das verschlammte, verworrene Maschinen¬
werk eurer Bureaukratie an, oder das gottlose östreichische Erziehungssystem, —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/81>, abgerufen am 03.07.2024.