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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Daß in der Stadt Leipzig überhaupt ein böser Wille gegen die verbündeten
Truppen, und insbesondere gegen die Preußen nicht vorhanden war, bezeugt nicht
nur der jubelnde Empfang derselben bei ihrem Einrücken am 19. October 1813, der
von allen Klassen der Einwohner ausging, sondern auch die Theilnahme, die den
im Laufe des Sommers häufig Hieher gebrachten Gefangenen bewiesen wurde, von
welchen viele heimlich befreit und versteckt, die Gefangenen aber möglichst gut ver¬
pflegt wurden. So hatten sich z. B. nach der Schlacht bei Lützen mehrere Leipziger
Familien durch die Kriegsräthin v. Quandt an den französischen Commandanten,
General Bertrand gewendet, um die Erlaubniß zu erhalten, eine Anzahl verwun¬
dete preußische Offiziere, welche für Verwandte oder Bekannte ausgegeben wurden,
in ihren Wohnungen zu verpflegen, was auch von dem sehr menschenfreundlichen
Commandanten gestattet wurde. Desgleichen wurde in denselben Tagen eine sehr
ansehnliche Sammlung von Lebensmitteln und Erquickungen aller Art für die auf
dem Schlachtfelde und in den Dörfern um Lützen liegenden verwundeten Preußen
veranstaltet, und am 5. Mai unter französischer Escorte in zwei vierspännigen
Wagen von dem or. ClaruS und einer Anzahl seiner College" und Zuhörer auf
das Schlachtfeld gebracht und vertheilt, und mehrere Aerzte blieben einige Tage
daselbst, bis die letzten Verwundeten untergebracht waren. Dieses erkannte auch
der König Friedrich Wilhelm II!., als ich ihn bei seinem Einzuge am 19. Octbr.
in der Grimmaischen Vorstadt begrüßte, mit höchst freundlichen Worten an. Uebri-
gens hatten die Aeußerungen dieser Theilnahme für Leipzig sehr traurige Folgen,
indem aus den von dem Herzog von Padua hierüber erstatteten Berichten Napo¬
leon Veranlassung nahm, die Stadt in Belagerungsstand zu setzen und die Be¬
schlagnahme aller vorhandenen Colonialwaaren anzuordnen.

Unter die Uebel des Kriegs, von welchen Leipzig den ganzen Sommer 1813
unausgesetzt zu leiden hatte, war besonders die seit der Schlacht von Lützen am
2. Mai stets steigende Anhäufung Kranker und Verwundeter in der Stadt zu
rechnen, welche zur Folge hatte, daß schon am 11. Juni vierzehn öffentliche und
Privatgebäude, nämlich der ehemalige Ranstädter Schießgraben, der Peters-Schieß-
graben, das lösniger Herrenhaus, der Thonberg, der Wollboden, der Tnchboden,
das Reithaus, der sogenannte ?1->co alö i"pe>s, die Johanniskirche, das Armen¬
haus, das Arbeitshaus für Arme, die Schneiderherberge, die Ziegelscheune und
Pfaffendorf zu Militärhospitäler eingerichtet waren. An diesem Tage trafen
jedoch abermals so starke Transporte von Kranken und Verwundeten ein, daß sie
in den vorhandenen Localien nicht mehr unterzubringen waren, weshalb noch die
drei Schänkhäuser der großen und kleinen Funkenburg und der sogenannten blauen
Mütze, so wie das Magazinhaus zu Hospitäler genommen werden mußten. Allein
später reichten auch diese Localien nickt mehr aus, sondern es mußten M 4. Sep¬
tember 700 Verwundete in die Paulinerkirche gebracht, am 24. September die
Thomaskirche und am 14. October noch acht Privathäuser, welche zum größten


Daß in der Stadt Leipzig überhaupt ein böser Wille gegen die verbündeten
Truppen, und insbesondere gegen die Preußen nicht vorhanden war, bezeugt nicht
nur der jubelnde Empfang derselben bei ihrem Einrücken am 19. October 1813, der
von allen Klassen der Einwohner ausging, sondern auch die Theilnahme, die den
im Laufe des Sommers häufig Hieher gebrachten Gefangenen bewiesen wurde, von
welchen viele heimlich befreit und versteckt, die Gefangenen aber möglichst gut ver¬
pflegt wurden. So hatten sich z. B. nach der Schlacht bei Lützen mehrere Leipziger
Familien durch die Kriegsräthin v. Quandt an den französischen Commandanten,
General Bertrand gewendet, um die Erlaubniß zu erhalten, eine Anzahl verwun¬
dete preußische Offiziere, welche für Verwandte oder Bekannte ausgegeben wurden,
in ihren Wohnungen zu verpflegen, was auch von dem sehr menschenfreundlichen
Commandanten gestattet wurde. Desgleichen wurde in denselben Tagen eine sehr
ansehnliche Sammlung von Lebensmitteln und Erquickungen aller Art für die auf
dem Schlachtfelde und in den Dörfern um Lützen liegenden verwundeten Preußen
veranstaltet, und am 5. Mai unter französischer Escorte in zwei vierspännigen
Wagen von dem or. ClaruS und einer Anzahl seiner College» und Zuhörer auf
das Schlachtfeld gebracht und vertheilt, und mehrere Aerzte blieben einige Tage
daselbst, bis die letzten Verwundeten untergebracht waren. Dieses erkannte auch
der König Friedrich Wilhelm II!., als ich ihn bei seinem Einzuge am 19. Octbr.
in der Grimmaischen Vorstadt begrüßte, mit höchst freundlichen Worten an. Uebri-
gens hatten die Aeußerungen dieser Theilnahme für Leipzig sehr traurige Folgen,
indem aus den von dem Herzog von Padua hierüber erstatteten Berichten Napo¬
leon Veranlassung nahm, die Stadt in Belagerungsstand zu setzen und die Be¬
schlagnahme aller vorhandenen Colonialwaaren anzuordnen.

Unter die Uebel des Kriegs, von welchen Leipzig den ganzen Sommer 1813
unausgesetzt zu leiden hatte, war besonders die seit der Schlacht von Lützen am
2. Mai stets steigende Anhäufung Kranker und Verwundeter in der Stadt zu
rechnen, welche zur Folge hatte, daß schon am 11. Juni vierzehn öffentliche und
Privatgebäude, nämlich der ehemalige Ranstädter Schießgraben, der Peters-Schieß-
graben, das lösniger Herrenhaus, der Thonberg, der Wollboden, der Tnchboden,
das Reithaus, der sogenannte ?1->co alö i«pe>s, die Johanniskirche, das Armen¬
haus, das Arbeitshaus für Arme, die Schneiderherberge, die Ziegelscheune und
Pfaffendorf zu Militärhospitäler eingerichtet waren. An diesem Tage trafen
jedoch abermals so starke Transporte von Kranken und Verwundeten ein, daß sie
in den vorhandenen Localien nicht mehr unterzubringen waren, weshalb noch die
drei Schänkhäuser der großen und kleinen Funkenburg und der sogenannten blauen
Mütze, so wie das Magazinhaus zu Hospitäler genommen werden mußten. Allein
später reichten auch diese Localien nickt mehr aus, sondern es mußten M 4. Sep¬
tember 700 Verwundete in die Paulinerkirche gebracht, am 24. September die
Thomaskirche und am 14. October noch acht Privathäuser, welche zum größten


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[0052] Daß in der Stadt Leipzig überhaupt ein böser Wille gegen die verbündeten Truppen, und insbesondere gegen die Preußen nicht vorhanden war, bezeugt nicht nur der jubelnde Empfang derselben bei ihrem Einrücken am 19. October 1813, der von allen Klassen der Einwohner ausging, sondern auch die Theilnahme, die den im Laufe des Sommers häufig Hieher gebrachten Gefangenen bewiesen wurde, von welchen viele heimlich befreit und versteckt, die Gefangenen aber möglichst gut ver¬ pflegt wurden. So hatten sich z. B. nach der Schlacht bei Lützen mehrere Leipziger Familien durch die Kriegsräthin v. Quandt an den französischen Commandanten, General Bertrand gewendet, um die Erlaubniß zu erhalten, eine Anzahl verwun¬ dete preußische Offiziere, welche für Verwandte oder Bekannte ausgegeben wurden, in ihren Wohnungen zu verpflegen, was auch von dem sehr menschenfreundlichen Commandanten gestattet wurde. Desgleichen wurde in denselben Tagen eine sehr ansehnliche Sammlung von Lebensmitteln und Erquickungen aller Art für die auf dem Schlachtfelde und in den Dörfern um Lützen liegenden verwundeten Preußen veranstaltet, und am 5. Mai unter französischer Escorte in zwei vierspännigen Wagen von dem or. ClaruS und einer Anzahl seiner College» und Zuhörer auf das Schlachtfeld gebracht und vertheilt, und mehrere Aerzte blieben einige Tage daselbst, bis die letzten Verwundeten untergebracht waren. Dieses erkannte auch der König Friedrich Wilhelm II!., als ich ihn bei seinem Einzuge am 19. Octbr. in der Grimmaischen Vorstadt begrüßte, mit höchst freundlichen Worten an. Uebri- gens hatten die Aeußerungen dieser Theilnahme für Leipzig sehr traurige Folgen, indem aus den von dem Herzog von Padua hierüber erstatteten Berichten Napo¬ leon Veranlassung nahm, die Stadt in Belagerungsstand zu setzen und die Be¬ schlagnahme aller vorhandenen Colonialwaaren anzuordnen. Unter die Uebel des Kriegs, von welchen Leipzig den ganzen Sommer 1813 unausgesetzt zu leiden hatte, war besonders die seit der Schlacht von Lützen am 2. Mai stets steigende Anhäufung Kranker und Verwundeter in der Stadt zu rechnen, welche zur Folge hatte, daß schon am 11. Juni vierzehn öffentliche und Privatgebäude, nämlich der ehemalige Ranstädter Schießgraben, der Peters-Schieß- graben, das lösniger Herrenhaus, der Thonberg, der Wollboden, der Tnchboden, das Reithaus, der sogenannte ?1->co alö i«pe>s, die Johanniskirche, das Armen¬ haus, das Arbeitshaus für Arme, die Schneiderherberge, die Ziegelscheune und Pfaffendorf zu Militärhospitäler eingerichtet waren. An diesem Tage trafen jedoch abermals so starke Transporte von Kranken und Verwundeten ein, daß sie in den vorhandenen Localien nicht mehr unterzubringen waren, weshalb noch die drei Schänkhäuser der großen und kleinen Funkenburg und der sogenannten blauen Mütze, so wie das Magazinhaus zu Hospitäler genommen werden mußten. Allein später reichten auch diese Localien nickt mehr aus, sondern es mußten M 4. Sep¬ tember 700 Verwundete in die Paulinerkirche gebracht, am 24. September die Thomaskirche und am 14. October noch acht Privathäuser, welche zum größten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/52>, abgerufen am 03.07.2024.