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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Erde begnadigt! Und doch ging die ganze Anklage, die man gegen sie richtete,
nur dahin, daß sie eine Schnürbrust, einen Zopf, einen Korporalstock, einen Gen¬
darmeriecodex und die zum Theil geschriebenen Titel einiger andern alten Schwarten
verbrannt hätten! -- Wie mächtig hat die Zeit sich geändert! Wer fürchtet heute,
oder was mehr sagen will, wer hofft heute noch einen neuen Sieg der Reaktion,
in dessen Taumel die wiederauflebende Tyrannei die unzähligen Sünden unsrer
Tage züchtigen könnte?

Aber so fremd auch die beiden akademischen Wartburgfeste sich sein mögen,
sie haben einen innerlich gemeinsamen Gedanken, dessen dunkle Vorahnung auch
die zum neuen Feste anfrufeuden Universitäten Halle und Jena zu der Wahl der¬
selben eriimeruUgsreichen Stätte geführt haben mag. Die deutschen Universitäten
werden seit Jahren mächtig bewegt von der Ueberzeugung der Nothwendigkeit ihrer
radikalen Umgestaltung. Sie wollen dieses Werk selbst in die Hände nehmen.
Jetzt ist die raschere und entschlossenere Jugend voraus; bald werden sich die aka¬
demischen Lehrer zum gemeinsamen Werke mit ihnen vereinigen und ihre gcteiftcre
Einsicht wird sich leicht Geltung verschaffen in einem so bildungsfähigem Elemente,
wie die deutsche Studentenwelt es darstellt. Eine wohlthätigere, eine grüüdlichete
Reform des Universitätswesens kaun nicht gedacht werden, als eine solche, die
unbeengt und ungestört von Miuisterialrescripten, hervorgeht aus dem Srböoße der
Universitäten selbst, die recht wohl zu würdigen wissen, was zu ihrem Heile, d. h.
was zum Heile und zur Förderung der deutschen Wissenschaft dient. Auf diese
Weise haben die deutschen Universitäten sich gebildet und haben geblüht, so lange
sie festhielten an dem Prinzip der Selbstleitung ihrer Angelegenheiten; sie sind
gesunken in dem Maße, in welchem sie mehr und mehr von Bureaukraten bevor¬
mundete Anstalten des Staates und aus Freistätten der Wissenschaft Beamten-
erziehungsinftitute wurden. Für diese Ansicht sprach auch die Wartburgsversamm-
lnng mit großer Entschiedenheit sich aus; die Oberleitung aller Universitäten vin-
dicirte sie für ein neu zu schaffendes deutsches Unterrichtsministerium, welches der
Nationalversammlung verantwortlich sein soll. Sie erklärte die Hochschulen zu
Nationalanstalten, die ganz unabhängig sein sollen von der Verwaltung der ein¬
zelnen deutschen Staaten, deren Particularismus uur hemmend einwirke auf die
freie' Gestaltung deutscher Wissenschaft. Sie verlangte unbedingte Lehr- und Hör¬
freiheit, eine unbedingte Aufhebung aller Exemptionen in der Gerichtsbarkeit un'v
als ein Recht die Betheiligung der Studirenden bei der Wahl der akademischen
Behörden und bei Besetzung der- Lehrstühle. Sie erkannte die Nothwendigkeit der
Vertretung der ganzen Wissenschaft durch die Universität und' verlangte deshalb
eine Vervollständigung der Lehrfächer und die Aufhebung- der veralteten Sonde¬
rling nach Fakultäten; sie verlangte, daß der Bundesbeschluff über Aufhebung der
Ausnahmegesetze seit 1819 sofort durch die einzelnen Staaten in Wirksamkeit ge¬
setzt werde. Es war ihr entschiedn^ Wille, daß M Erlangung eines Staats-


Erde begnadigt! Und doch ging die ganze Anklage, die man gegen sie richtete,
nur dahin, daß sie eine Schnürbrust, einen Zopf, einen Korporalstock, einen Gen¬
darmeriecodex und die zum Theil geschriebenen Titel einiger andern alten Schwarten
verbrannt hätten! — Wie mächtig hat die Zeit sich geändert! Wer fürchtet heute,
oder was mehr sagen will, wer hofft heute noch einen neuen Sieg der Reaktion,
in dessen Taumel die wiederauflebende Tyrannei die unzähligen Sünden unsrer
Tage züchtigen könnte?

Aber so fremd auch die beiden akademischen Wartburgfeste sich sein mögen,
sie haben einen innerlich gemeinsamen Gedanken, dessen dunkle Vorahnung auch
die zum neuen Feste anfrufeuden Universitäten Halle und Jena zu der Wahl der¬
selben eriimeruUgsreichen Stätte geführt haben mag. Die deutschen Universitäten
werden seit Jahren mächtig bewegt von der Ueberzeugung der Nothwendigkeit ihrer
radikalen Umgestaltung. Sie wollen dieses Werk selbst in die Hände nehmen.
Jetzt ist die raschere und entschlossenere Jugend voraus; bald werden sich die aka¬
demischen Lehrer zum gemeinsamen Werke mit ihnen vereinigen und ihre gcteiftcre
Einsicht wird sich leicht Geltung verschaffen in einem so bildungsfähigem Elemente,
wie die deutsche Studentenwelt es darstellt. Eine wohlthätigere, eine grüüdlichete
Reform des Universitätswesens kaun nicht gedacht werden, als eine solche, die
unbeengt und ungestört von Miuisterialrescripten, hervorgeht aus dem Srböoße der
Universitäten selbst, die recht wohl zu würdigen wissen, was zu ihrem Heile, d. h.
was zum Heile und zur Förderung der deutschen Wissenschaft dient. Auf diese
Weise haben die deutschen Universitäten sich gebildet und haben geblüht, so lange
sie festhielten an dem Prinzip der Selbstleitung ihrer Angelegenheiten; sie sind
gesunken in dem Maße, in welchem sie mehr und mehr von Bureaukraten bevor¬
mundete Anstalten des Staates und aus Freistätten der Wissenschaft Beamten-
erziehungsinftitute wurden. Für diese Ansicht sprach auch die Wartburgsversamm-
lnng mit großer Entschiedenheit sich aus; die Oberleitung aller Universitäten vin-
dicirte sie für ein neu zu schaffendes deutsches Unterrichtsministerium, welches der
Nationalversammlung verantwortlich sein soll. Sie erklärte die Hochschulen zu
Nationalanstalten, die ganz unabhängig sein sollen von der Verwaltung der ein¬
zelnen deutschen Staaten, deren Particularismus uur hemmend einwirke auf die
freie' Gestaltung deutscher Wissenschaft. Sie verlangte unbedingte Lehr- und Hör¬
freiheit, eine unbedingte Aufhebung aller Exemptionen in der Gerichtsbarkeit un'v
als ein Recht die Betheiligung der Studirenden bei der Wahl der akademischen
Behörden und bei Besetzung der- Lehrstühle. Sie erkannte die Nothwendigkeit der
Vertretung der ganzen Wissenschaft durch die Universität und' verlangte deshalb
eine Vervollständigung der Lehrfächer und die Aufhebung- der veralteten Sonde¬
rling nach Fakultäten; sie verlangte, daß der Bundesbeschluff über Aufhebung der
Ausnahmegesetze seit 1819 sofort durch die einzelnen Staaten in Wirksamkeit ge¬
setzt werde. Es war ihr entschiedn^ Wille, daß M Erlangung eines Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/484>, abgerufen am 26.06.2024.