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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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durch weite Länderstrecken und den Mangel der Berührung einander entfremdet
sich nicht so nahe stehen, als die Schwärmer für den neuen Panslavismus
immer verkündeten. Manche Sitzungen sollen sehr peinlich gewesen sein, man sah
sich gezwungen, in der Debatte zum Französischen seine Zuflucht zu nehmen und
da viele der Anwesenden es nicht verstanden -- soll man sogar zum verhaßten
Deutsch gegriffen haben. Welche tiefe Kränkung für Alle, die noch unlängst behaup¬
teten, der Unterschied zwischen Czechisch und Slavonisch sei nicht größer als etwa
der zwischen schwäbisch und Pommersch oder Sächsisch. So ist es denn doch
anders! Wenn man den Rhein hinabfährt, nach Cöln etwa, macht man auch
den Versuch, mit Holländern und Vlame" zu sprechen, um die enge Verwandtschaft
ihrer Sprache mit der unseren zu beweisen und Mynherr als Stammesbrüder zu
begeistern -- aber es liegt viel Mühsal in diesem Vergnügen. Die slavischen
Deputirten in Prag mögen oft ein Aehnliches gefühlt haben.

In dieser Beziehung hoffe ich, wird der slavische Reichstag manche heilsame
Bekehrung hervorgebracht haben. Die Ultras ausgenommen, die nicht zu bekehren
sind, wird mancher Böhme gefühlt haben, daß nur die unsere Brüder heißen
könne", mit denen wir eine gemeinsame Entwickelung getheilt haben, daß aber
Völker, mit denen wir nie gelebt, an die uns nie das geistige Band gemeinsamer
Erziehung geknüpft, kurz Völker, von denen wir kaum wußten, daß sie leben,
nie unsere Brüder sein können. In schlechten Tragödien fallen sich Brüder um
den Hals, die nichts von einander gewußt, im Leben nicht. Die Mutter Slava
ist eine allzu mythische Person, als daß sich um ihretwillen der Czeche und Kroate
brüderlich umarmen könnten. Millionen czechischer Herzen wurzeln in deutschem
Gcdankeubodeu, schlagen an deutschen Herzen, haben von Kindheit auf deutsch
fühlen und deuten gelernt; werden sie nicht, wenn die Stunde der Entscheidung
kommt, lieber zu Deutschland als zu Slavien gehören wolle"? Nicht so leicht
verzichtet ein Land auf den fast tausendjährigen Verband von Cultur und Gesit¬
tung, uicht so leicht auf fast tausendjährige Entwickelung in der Geschichte! --
Die Polen, die Südslaven haben gewiß noch eine große und eigenthümliche Zu¬
kunft vor sich, Böhmen muß die Vermittlung zwischen dem deutschen und slavi¬
schen Element bleiben, doch dein ersten näher als dem letztem! Möge den sla¬
vische Congreß dahin gewirkt haben, dies Bewußtsein in den Gemüthern Vieler
vorzubereiten! Dann wird der Kongreß, in seinem Anfange so gefürchtet, nur
heilsame Wirkungen gehabt haben, und ein tiefer Zwiespalt zwischen zwei Theilen
einer Bevölkerung, durch Herausforderungen von beiden Seiten über alle Gebühr tief
und bitter geworden, wird allmälig wieder einer gerechten Vermittlung Platz machen.


6.


durch weite Länderstrecken und den Mangel der Berührung einander entfremdet
sich nicht so nahe stehen, als die Schwärmer für den neuen Panslavismus
immer verkündeten. Manche Sitzungen sollen sehr peinlich gewesen sein, man sah
sich gezwungen, in der Debatte zum Französischen seine Zuflucht zu nehmen und
da viele der Anwesenden es nicht verstanden — soll man sogar zum verhaßten
Deutsch gegriffen haben. Welche tiefe Kränkung für Alle, die noch unlängst behaup¬
teten, der Unterschied zwischen Czechisch und Slavonisch sei nicht größer als etwa
der zwischen schwäbisch und Pommersch oder Sächsisch. So ist es denn doch
anders! Wenn man den Rhein hinabfährt, nach Cöln etwa, macht man auch
den Versuch, mit Holländern und Vlame» zu sprechen, um die enge Verwandtschaft
ihrer Sprache mit der unseren zu beweisen und Mynherr als Stammesbrüder zu
begeistern — aber es liegt viel Mühsal in diesem Vergnügen. Die slavischen
Deputirten in Prag mögen oft ein Aehnliches gefühlt haben.

In dieser Beziehung hoffe ich, wird der slavische Reichstag manche heilsame
Bekehrung hervorgebracht haben. Die Ultras ausgenommen, die nicht zu bekehren
sind, wird mancher Böhme gefühlt haben, daß nur die unsere Brüder heißen
könne», mit denen wir eine gemeinsame Entwickelung getheilt haben, daß aber
Völker, mit denen wir nie gelebt, an die uns nie das geistige Band gemeinsamer
Erziehung geknüpft, kurz Völker, von denen wir kaum wußten, daß sie leben,
nie unsere Brüder sein können. In schlechten Tragödien fallen sich Brüder um
den Hals, die nichts von einander gewußt, im Leben nicht. Die Mutter Slava
ist eine allzu mythische Person, als daß sich um ihretwillen der Czeche und Kroate
brüderlich umarmen könnten. Millionen czechischer Herzen wurzeln in deutschem
Gcdankeubodeu, schlagen an deutschen Herzen, haben von Kindheit auf deutsch
fühlen und deuten gelernt; werden sie nicht, wenn die Stunde der Entscheidung
kommt, lieber zu Deutschland als zu Slavien gehören wolle»? Nicht so leicht
verzichtet ein Land auf den fast tausendjährigen Verband von Cultur und Gesit¬
tung, uicht so leicht auf fast tausendjährige Entwickelung in der Geschichte! —
Die Polen, die Südslaven haben gewiß noch eine große und eigenthümliche Zu¬
kunft vor sich, Böhmen muß die Vermittlung zwischen dem deutschen und slavi¬
schen Element bleiben, doch dein ersten näher als dem letztem! Möge den sla¬
vische Congreß dahin gewirkt haben, dies Bewußtsein in den Gemüthern Vieler
vorzubereiten! Dann wird der Kongreß, in seinem Anfange so gefürchtet, nur
heilsame Wirkungen gehabt haben, und ein tiefer Zwiespalt zwischen zwei Theilen
einer Bevölkerung, durch Herausforderungen von beiden Seiten über alle Gebühr tief
und bitter geworden, wird allmälig wieder einer gerechten Vermittlung Platz machen.


6.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/452>, abgerufen am 26.06.2024.