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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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sich an die Spitze dieser Bewegung stellen. Wer einen Kahn retten will, der
vom Strome erfaßt dem gefährlichsten Strudel entgegenschießt, der muß beherzt
hineinspringen und mit entschlossener Hand das Steuer ergreifen.

Der Conseil-Präsident, die Minister, alle Mitglieder der constituirenden
Versammlung, die ganze Bürgerwehr, ja selbst die Prinzen hätten sich dem Zuge
anschließen sollen, um symbolisch das Zugeständniß zu machen, das man in dem
Symbol dieser Wallfahrt forderte, das Zugeständniß der Souveränität, welche das
Volk sich in den Märztagen erkämpft hat. Aber es geht dein souveränen Volke,
wie es den souveränen Fürsten ging: es erfährt Undank und seine Günstlinge
werden am leichtesten seine Tyrannen; es erntet Geringschätzung für hingebendes
Vertrauen.

Man hatte die Wallfahrt ans den Nachmittag deS 4. Juni festgesetzt. Es
war ein Sonntag und das schönste Wetter, hell und sonnig, ohne heiß zu sein.

Auf dem Geusdarmenmarkte, wo vor zwei Monaten die Särge der Geblie¬
benen gestanden hatten, versammelte man sich, um von da aus den Weg durch
die Charlottenstraße, die Linden entlang, am Schlosse vorüber, dnrch die ganze
Königsstadt, nach dem, außerhalb Berlins gelegenen Fricdrichshaine zu ziehen.

Die Straßen waren voll von Menschen, aber keine Polizcibeanfsichtignng,
keine Gensdarmerie machte sich geltend. Ein Polizeiinspeetor, den nur in Civil-
klcidern auf dem Wege trafen, versicherte mit resignirter Bestimmtheit, es werde
Alles in Ruhe abgehen und el" sehr schöner Zug werden ^- anch ohne Polizei,
setzte ich in meinem Innern hinzu. Die Physiognomie des Mannes war um-
schleiert von dem Gedanken an seine gebrochene Macht, und man sah eS, daß
sein Selbstbewußtsein vergraben lag unter den Trümmern des gestürzten Polizei¬
staates.

Von weitem erklangen bereits die ersten Tone des Festmarschcs, als wir ein
Fenster in einem Hanse unter den Linden erreicht hatten. Bei dem Herannahen
des Zuges machten die Leute aus der Straße Platz, eine feierliche Stille herrschte.

Und nun begann ein Auszug, vou dem ich wollte, es hätten ihn die Ver¬
ächter der Volksbewegung gesehen, welche von den Provinzen ans die thatkräfti¬
gen, beharrlichen Berliner als einen Pöbelhanfen bezeichnen, der von unreifen
Schwärmern und brodlosen Schriftstellern geleitet, die Anarchie herbeiführen will,
weil diese und jener Nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen haben.

In fester, sicherer Haltung, gehoben dnrch das Bewußtsein der errungenen
Freiheit, traten sie auf, die Bürger Berlins, die Begründer des neuen Preußens.
Ein Trupp berittener Bürgerwehr eröffnete den Zug. Dann kamen Frauen
und Töchter der Mitglieder des demokratischen Clubs. Sie wurden vom Volke
nicht ohne Befremden betrachtet; denn mag man die geistige Berechtigung der
Frauen noch so sehr anerkennen, ihr persönliches Austreten in der Volksmasse liegt
außerhalb deS deutschen Charakters und sollte deshalb nicht absichtlich hervorge-


sich an die Spitze dieser Bewegung stellen. Wer einen Kahn retten will, der
vom Strome erfaßt dem gefährlichsten Strudel entgegenschießt, der muß beherzt
hineinspringen und mit entschlossener Hand das Steuer ergreifen.

Der Conseil-Präsident, die Minister, alle Mitglieder der constituirenden
Versammlung, die ganze Bürgerwehr, ja selbst die Prinzen hätten sich dem Zuge
anschließen sollen, um symbolisch das Zugeständniß zu machen, das man in dem
Symbol dieser Wallfahrt forderte, das Zugeständniß der Souveränität, welche das
Volk sich in den Märztagen erkämpft hat. Aber es geht dein souveränen Volke,
wie es den souveränen Fürsten ging: es erfährt Undank und seine Günstlinge
werden am leichtesten seine Tyrannen; es erntet Geringschätzung für hingebendes
Vertrauen.

Man hatte die Wallfahrt ans den Nachmittag deS 4. Juni festgesetzt. Es
war ein Sonntag und das schönste Wetter, hell und sonnig, ohne heiß zu sein.

Auf dem Geusdarmenmarkte, wo vor zwei Monaten die Särge der Geblie¬
benen gestanden hatten, versammelte man sich, um von da aus den Weg durch
die Charlottenstraße, die Linden entlang, am Schlosse vorüber, dnrch die ganze
Königsstadt, nach dem, außerhalb Berlins gelegenen Fricdrichshaine zu ziehen.

Die Straßen waren voll von Menschen, aber keine Polizcibeanfsichtignng,
keine Gensdarmerie machte sich geltend. Ein Polizeiinspeetor, den nur in Civil-
klcidern auf dem Wege trafen, versicherte mit resignirter Bestimmtheit, es werde
Alles in Ruhe abgehen und el» sehr schöner Zug werden ^- anch ohne Polizei,
setzte ich in meinem Innern hinzu. Die Physiognomie des Mannes war um-
schleiert von dem Gedanken an seine gebrochene Macht, und man sah eS, daß
sein Selbstbewußtsein vergraben lag unter den Trümmern des gestürzten Polizei¬
staates.

Von weitem erklangen bereits die ersten Tone des Festmarschcs, als wir ein
Fenster in einem Hanse unter den Linden erreicht hatten. Bei dem Herannahen
des Zuges machten die Leute aus der Straße Platz, eine feierliche Stille herrschte.

Und nun begann ein Auszug, vou dem ich wollte, es hätten ihn die Ver¬
ächter der Volksbewegung gesehen, welche von den Provinzen ans die thatkräfti¬
gen, beharrlichen Berliner als einen Pöbelhanfen bezeichnen, der von unreifen
Schwärmern und brodlosen Schriftstellern geleitet, die Anarchie herbeiführen will,
weil diese und jener Nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen haben.

In fester, sicherer Haltung, gehoben dnrch das Bewußtsein der errungenen
Freiheit, traten sie auf, die Bürger Berlins, die Begründer des neuen Preußens.
Ein Trupp berittener Bürgerwehr eröffnete den Zug. Dann kamen Frauen
und Töchter der Mitglieder des demokratischen Clubs. Sie wurden vom Volke
nicht ohne Befremden betrachtet; denn mag man die geistige Berechtigung der
Frauen noch so sehr anerkennen, ihr persönliches Austreten in der Volksmasse liegt
außerhalb deS deutschen Charakters und sollte deshalb nicht absichtlich hervorge-


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[0430] sich an die Spitze dieser Bewegung stellen. Wer einen Kahn retten will, der vom Strome erfaßt dem gefährlichsten Strudel entgegenschießt, der muß beherzt hineinspringen und mit entschlossener Hand das Steuer ergreifen. Der Conseil-Präsident, die Minister, alle Mitglieder der constituirenden Versammlung, die ganze Bürgerwehr, ja selbst die Prinzen hätten sich dem Zuge anschließen sollen, um symbolisch das Zugeständniß zu machen, das man in dem Symbol dieser Wallfahrt forderte, das Zugeständniß der Souveränität, welche das Volk sich in den Märztagen erkämpft hat. Aber es geht dein souveränen Volke, wie es den souveränen Fürsten ging: es erfährt Undank und seine Günstlinge werden am leichtesten seine Tyrannen; es erntet Geringschätzung für hingebendes Vertrauen. Man hatte die Wallfahrt ans den Nachmittag deS 4. Juni festgesetzt. Es war ein Sonntag und das schönste Wetter, hell und sonnig, ohne heiß zu sein. Auf dem Geusdarmenmarkte, wo vor zwei Monaten die Särge der Geblie¬ benen gestanden hatten, versammelte man sich, um von da aus den Weg durch die Charlottenstraße, die Linden entlang, am Schlosse vorüber, dnrch die ganze Königsstadt, nach dem, außerhalb Berlins gelegenen Fricdrichshaine zu ziehen. Die Straßen waren voll von Menschen, aber keine Polizcibeanfsichtignng, keine Gensdarmerie machte sich geltend. Ein Polizeiinspeetor, den nur in Civil- klcidern auf dem Wege trafen, versicherte mit resignirter Bestimmtheit, es werde Alles in Ruhe abgehen und el» sehr schöner Zug werden ^- anch ohne Polizei, setzte ich in meinem Innern hinzu. Die Physiognomie des Mannes war um- schleiert von dem Gedanken an seine gebrochene Macht, und man sah eS, daß sein Selbstbewußtsein vergraben lag unter den Trümmern des gestürzten Polizei¬ staates. Von weitem erklangen bereits die ersten Tone des Festmarschcs, als wir ein Fenster in einem Hanse unter den Linden erreicht hatten. Bei dem Herannahen des Zuges machten die Leute aus der Straße Platz, eine feierliche Stille herrschte. Und nun begann ein Auszug, vou dem ich wollte, es hätten ihn die Ver¬ ächter der Volksbewegung gesehen, welche von den Provinzen ans die thatkräfti¬ gen, beharrlichen Berliner als einen Pöbelhanfen bezeichnen, der von unreifen Schwärmern und brodlosen Schriftstellern geleitet, die Anarchie herbeiführen will, weil diese und jener Nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen haben. In fester, sicherer Haltung, gehoben dnrch das Bewußtsein der errungenen Freiheit, traten sie auf, die Bürger Berlins, die Begründer des neuen Preußens. Ein Trupp berittener Bürgerwehr eröffnete den Zug. Dann kamen Frauen und Töchter der Mitglieder des demokratischen Clubs. Sie wurden vom Volke nicht ohne Befremden betrachtet; denn mag man die geistige Berechtigung der Frauen noch so sehr anerkennen, ihr persönliches Austreten in der Volksmasse liegt außerhalb deS deutschen Charakters und sollte deshalb nicht absichtlich hervorge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/430>, abgerufen am 22.07.2024.