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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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witterten Pergamente der alten Verträge donnern kann, den Rechtszustand von
1772 an, um die Unterthänigkeit der Deutschen in Posen unter einen noch gar
nicht bestehenden, jedenfalls aber wieder höchst polnischen Reichstag zu decretiren.
Es sollte mich nicht wundern, wenn sie sich auch für die czcchische Bewegung er¬
klärte, weil sie gegen Deutschland gerichtet ist. Die Schwierigkeiten einer Auflösung
des bisher bestehenden StaatSverbands werden ohne weiteres durch ein Decret
aufgehoben: Polen soll frei sein, Galizien soll frei sein, Italien soll frei sein.
Einen Klecks ans die Karte und die Welt hat ein neues Aussehen!

Dennoch muß ich gestehen, daß wenn ganz Deutschland, d. h. alle deutsch
redenden Erdensöhne, in Einen Brei zusammengerührt werden sollten, dessen Quirl
in Frankfurt fabricirt wird, den Polen, Czechen, Slovaken ze. :c. dasselbe Recht
zugestanden werden muß. Soll aber das neue Reich hervorgehen a"S einem Bund
freier Staaten -- so lasse man diesen Staaten auch das Recht, sich ihre Bedin¬
gungen des Eintritts vorzubehalten. Die Vereinigung wird zu Stande kommen,
denn das Interesse Aller ist dabei betheiligt, aber nur, wenn eine gegenseitige
Annäherung stattfindet, mit Gewalt wird man zwar Deutschland in einen gleich¬
förmig untheilbaren Schutthaufen verwandeln, aber nie in einen vernünftigen Staat.

Es wäre möglich, daß z. B. Oestreich anf gleiche Bedingungen mit den übri¬
gen Staaten sich dem neuen Staatssystem nicht anschließen könnte. In diesem
Falle wäre es vortheilhafter für Oestreich wie für Deutschland, wenn der Versuch
gar nicht gemacht würde. Ob die zum deutschen Bunde gehörigen Provinzen Oest¬
reichs ihren Vortheil darin finden, sich an die östlichen Provinzen -- Ungarn ze.
näher anzuschließen (daß dadurch die deutsche Sprache in deu wirklich deutschen
Provinzen gefährdet würde, ist wohl eine lächerliche Voraussetzung!), oder sich
Deutschland einzuverleiben, oder sich nach beiden Seiten hin zu theilen -- das
ist eine Frage, die es am besten mit sich selber ausmacht. Wenn das östreichische
Volk in seiner Totalität in Deutschland aufgehen will, so wird es Deutschland
mit Jubel empfangen; will es sich abschließen, so wird Deutschland mit ihm eben
so freundliche Verhältnisse eingehen, wie mit Frankreich oder der Schweiz. Aber
erst muß Oestreich einig in sich selbst sein; ans einen Eroberungskrieg gegen
Böhmen oder sonst eine Provinz, die entschlossen ist, Deutschland nicht beizutreten,
kann Deutschland sich nicht einlassen.

Dagegen wird Deutschland den deutschen Provinzen, die sich von einem etwa
aufzurichtenden slavischen Kaiserreich loszureißen entschlossen sind, seine Unterstützung
nicht versagen können. Es träte dann der Fall von Schleswig-Holstein ein. Frei¬
lich wäre das der äußerste, der schlimmste Fall für Deutschland wie für Oestreich.

Es sind, wenn ich nicht irre, zwei östreichische Deputirte unter den 19 Män¬
nern, welche das Programm der äußersten Linken unterschrieben haben. Vielleicht
ist es überhaupt zu befürchten, daß viele von den östreichischen Deputirten, eben
an el>? Gegengewicht gegen ihre slavischen Staatsgenossen zu haben, sich der


witterten Pergamente der alten Verträge donnern kann, den Rechtszustand von
1772 an, um die Unterthänigkeit der Deutschen in Posen unter einen noch gar
nicht bestehenden, jedenfalls aber wieder höchst polnischen Reichstag zu decretiren.
Es sollte mich nicht wundern, wenn sie sich auch für die czcchische Bewegung er¬
klärte, weil sie gegen Deutschland gerichtet ist. Die Schwierigkeiten einer Auflösung
des bisher bestehenden StaatSverbands werden ohne weiteres durch ein Decret
aufgehoben: Polen soll frei sein, Galizien soll frei sein, Italien soll frei sein.
Einen Klecks ans die Karte und die Welt hat ein neues Aussehen!

Dennoch muß ich gestehen, daß wenn ganz Deutschland, d. h. alle deutsch
redenden Erdensöhne, in Einen Brei zusammengerührt werden sollten, dessen Quirl
in Frankfurt fabricirt wird, den Polen, Czechen, Slovaken ze. :c. dasselbe Recht
zugestanden werden muß. Soll aber das neue Reich hervorgehen a»S einem Bund
freier Staaten — so lasse man diesen Staaten auch das Recht, sich ihre Bedin¬
gungen des Eintritts vorzubehalten. Die Vereinigung wird zu Stande kommen,
denn das Interesse Aller ist dabei betheiligt, aber nur, wenn eine gegenseitige
Annäherung stattfindet, mit Gewalt wird man zwar Deutschland in einen gleich¬
förmig untheilbaren Schutthaufen verwandeln, aber nie in einen vernünftigen Staat.

Es wäre möglich, daß z. B. Oestreich anf gleiche Bedingungen mit den übri¬
gen Staaten sich dem neuen Staatssystem nicht anschließen könnte. In diesem
Falle wäre es vortheilhafter für Oestreich wie für Deutschland, wenn der Versuch
gar nicht gemacht würde. Ob die zum deutschen Bunde gehörigen Provinzen Oest¬
reichs ihren Vortheil darin finden, sich an die östlichen Provinzen — Ungarn ze.
näher anzuschließen (daß dadurch die deutsche Sprache in deu wirklich deutschen
Provinzen gefährdet würde, ist wohl eine lächerliche Voraussetzung!), oder sich
Deutschland einzuverleiben, oder sich nach beiden Seiten hin zu theilen — das
ist eine Frage, die es am besten mit sich selber ausmacht. Wenn das östreichische
Volk in seiner Totalität in Deutschland aufgehen will, so wird es Deutschland
mit Jubel empfangen; will es sich abschließen, so wird Deutschland mit ihm eben
so freundliche Verhältnisse eingehen, wie mit Frankreich oder der Schweiz. Aber
erst muß Oestreich einig in sich selbst sein; ans einen Eroberungskrieg gegen
Böhmen oder sonst eine Provinz, die entschlossen ist, Deutschland nicht beizutreten,
kann Deutschland sich nicht einlassen.

Dagegen wird Deutschland den deutschen Provinzen, die sich von einem etwa
aufzurichtenden slavischen Kaiserreich loszureißen entschlossen sind, seine Unterstützung
nicht versagen können. Es träte dann der Fall von Schleswig-Holstein ein. Frei¬
lich wäre das der äußerste, der schlimmste Fall für Deutschland wie für Oestreich.

Es sind, wenn ich nicht irre, zwei östreichische Deputirte unter den 19 Män¬
nern, welche das Programm der äußersten Linken unterschrieben haben. Vielleicht
ist es überhaupt zu befürchten, daß viele von den östreichischen Deputirten, eben
an el>? Gegengewicht gegen ihre slavischen Staatsgenossen zu haben, sich der


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[0427] witterten Pergamente der alten Verträge donnern kann, den Rechtszustand von 1772 an, um die Unterthänigkeit der Deutschen in Posen unter einen noch gar nicht bestehenden, jedenfalls aber wieder höchst polnischen Reichstag zu decretiren. Es sollte mich nicht wundern, wenn sie sich auch für die czcchische Bewegung er¬ klärte, weil sie gegen Deutschland gerichtet ist. Die Schwierigkeiten einer Auflösung des bisher bestehenden StaatSverbands werden ohne weiteres durch ein Decret aufgehoben: Polen soll frei sein, Galizien soll frei sein, Italien soll frei sein. Einen Klecks ans die Karte und die Welt hat ein neues Aussehen! Dennoch muß ich gestehen, daß wenn ganz Deutschland, d. h. alle deutsch redenden Erdensöhne, in Einen Brei zusammengerührt werden sollten, dessen Quirl in Frankfurt fabricirt wird, den Polen, Czechen, Slovaken ze. :c. dasselbe Recht zugestanden werden muß. Soll aber das neue Reich hervorgehen a»S einem Bund freier Staaten — so lasse man diesen Staaten auch das Recht, sich ihre Bedin¬ gungen des Eintritts vorzubehalten. Die Vereinigung wird zu Stande kommen, denn das Interesse Aller ist dabei betheiligt, aber nur, wenn eine gegenseitige Annäherung stattfindet, mit Gewalt wird man zwar Deutschland in einen gleich¬ förmig untheilbaren Schutthaufen verwandeln, aber nie in einen vernünftigen Staat. Es wäre möglich, daß z. B. Oestreich anf gleiche Bedingungen mit den übri¬ gen Staaten sich dem neuen Staatssystem nicht anschließen könnte. In diesem Falle wäre es vortheilhafter für Oestreich wie für Deutschland, wenn der Versuch gar nicht gemacht würde. Ob die zum deutschen Bunde gehörigen Provinzen Oest¬ reichs ihren Vortheil darin finden, sich an die östlichen Provinzen — Ungarn ze. näher anzuschließen (daß dadurch die deutsche Sprache in deu wirklich deutschen Provinzen gefährdet würde, ist wohl eine lächerliche Voraussetzung!), oder sich Deutschland einzuverleiben, oder sich nach beiden Seiten hin zu theilen — das ist eine Frage, die es am besten mit sich selber ausmacht. Wenn das östreichische Volk in seiner Totalität in Deutschland aufgehen will, so wird es Deutschland mit Jubel empfangen; will es sich abschließen, so wird Deutschland mit ihm eben so freundliche Verhältnisse eingehen, wie mit Frankreich oder der Schweiz. Aber erst muß Oestreich einig in sich selbst sein; ans einen Eroberungskrieg gegen Böhmen oder sonst eine Provinz, die entschlossen ist, Deutschland nicht beizutreten, kann Deutschland sich nicht einlassen. Dagegen wird Deutschland den deutschen Provinzen, die sich von einem etwa aufzurichtenden slavischen Kaiserreich loszureißen entschlossen sind, seine Unterstützung nicht versagen können. Es träte dann der Fall von Schleswig-Holstein ein. Frei¬ lich wäre das der äußerste, der schlimmste Fall für Deutschland wie für Oestreich. Es sind, wenn ich nicht irre, zwei östreichische Deputirte unter den 19 Män¬ nern, welche das Programm der äußersten Linken unterschrieben haben. Vielleicht ist es überhaupt zu befürchten, daß viele von den östreichischen Deputirten, eben an el>? Gegengewicht gegen ihre slavischen Staatsgenossen zu haben, sich der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/427>, abgerufen am 26.06.2024.