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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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i.
Äus Paris.
i.
Das Fest der Republik.

Paris bot am Tage des Festes (am 21. Mai) ein eigenthümliches Schauspiel; die soge¬
nannte elegante Welt war wie verschwunden und statt ihrer sah man Massen robuster, durch
gewisse eckige Bewegungen sich auszeichnender Provincialcn auf Straßen und Plätzen
umherschweifen. Nationalgarde und Linientruppen standen vom frühen Morgen an in
allen Straßen und selbst außerhalb der Stadt, während unabsehbare Massen Volkes
dem Marsfelde zueilten. Seit Monaten hatte man Tausende von Arbeitern dort be¬
schäftigt, um die Anhöhen, welche das ziemlich ebene Terrain umgeben, fortzuschaffen.
Ich überzeugte mich am Tage des Festes aber, daß diese Arbeiten eben nur, um Arbeit
zu geben, angeordnet worden, denn das Marsfeld ist dadurch nur monotoner, vielleicht
unbrauchbar geworden, weil die Zuschauer durch das Abtragen der Anhöhen keinen vor¬
theilhaften Platz mehr haben. Ergreifend war in dem ganzen Konglomerat von Men¬
schen, Fahnen, Standarten, Triumphwagen u. s. w. nur der Trupp der Vetera¬
nen der großen Armee. Ihr Aufzug sah so lebendig und Illusion erweckend aus,
daß man Bilder von Charlct vor sich zu haben glaubte. Die Mustkchöre waren wie
immer abscheulich: im Gesang der Volkshymncn kein Enthusiasmus, im Spielen der
Märsche eine Trägheit, als ob die Musikanten, von tropischer Hitze ermattet, den Mund
kaum mehr zum Blasen öffnen könnten. Wer kennt nicht den gräulichen Charivari,
den man in einer Jahrmarktbnde zu hören bekommt, deren Musik immer die ihrer
Nachbarn übertäuben will? Man hört alsdann ein Dutzend Weisen mit einem Male
und darum eigentlich keine einzige. Gerade so war es auf dem Marsfelde, wo das
Musikcorps jedes Trupps der Regierung und den Volksrepräsentanten Eins ausspielen
wollte. Eine Beschreibung der Einzelnheiten des Zuges wird den Leser wohl schwerlich
intcresstrcn können, und ich will deshalb nur von dem reden, was zur Charakteristik
des Festes beitragen kann. Die Deutschen hatten einen besondern Platz im Zuge, je¬
doch war die Anzahl der Theilnehmer verhältnißmäßig nur gering. Man hat in einer
Art von Club, der sich vor einigen Wochen hier unter den Deutschen gebildet hat, den
Vorschlag gemacht, am Tage vor dem Feste Börne's Grab zu besuchen, ich weiß
aber nicht, ob dieser Vorschlag ausgeführt worden ist. Der Handwerkerstand sollte bei
dem Feste die Hauptrolle spielen, und die verschiedenen Gewerke trugen deshalb ihre


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Äus Paris.
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Das Fest der Republik.

Paris bot am Tage des Festes (am 21. Mai) ein eigenthümliches Schauspiel; die soge¬
nannte elegante Welt war wie verschwunden und statt ihrer sah man Massen robuster, durch
gewisse eckige Bewegungen sich auszeichnender Provincialcn auf Straßen und Plätzen
umherschweifen. Nationalgarde und Linientruppen standen vom frühen Morgen an in
allen Straßen und selbst außerhalb der Stadt, während unabsehbare Massen Volkes
dem Marsfelde zueilten. Seit Monaten hatte man Tausende von Arbeitern dort be¬
schäftigt, um die Anhöhen, welche das ziemlich ebene Terrain umgeben, fortzuschaffen.
Ich überzeugte mich am Tage des Festes aber, daß diese Arbeiten eben nur, um Arbeit
zu geben, angeordnet worden, denn das Marsfeld ist dadurch nur monotoner, vielleicht
unbrauchbar geworden, weil die Zuschauer durch das Abtragen der Anhöhen keinen vor¬
theilhaften Platz mehr haben. Ergreifend war in dem ganzen Konglomerat von Men¬
schen, Fahnen, Standarten, Triumphwagen u. s. w. nur der Trupp der Vetera¬
nen der großen Armee. Ihr Aufzug sah so lebendig und Illusion erweckend aus,
daß man Bilder von Charlct vor sich zu haben glaubte. Die Mustkchöre waren wie
immer abscheulich: im Gesang der Volkshymncn kein Enthusiasmus, im Spielen der
Märsche eine Trägheit, als ob die Musikanten, von tropischer Hitze ermattet, den Mund
kaum mehr zum Blasen öffnen könnten. Wer kennt nicht den gräulichen Charivari,
den man in einer Jahrmarktbnde zu hören bekommt, deren Musik immer die ihrer
Nachbarn übertäuben will? Man hört alsdann ein Dutzend Weisen mit einem Male
und darum eigentlich keine einzige. Gerade so war es auf dem Marsfelde, wo das
Musikcorps jedes Trupps der Regierung und den Volksrepräsentanten Eins ausspielen
wollte. Eine Beschreibung der Einzelnheiten des Zuges wird den Leser wohl schwerlich
intcresstrcn können, und ich will deshalb nur von dem reden, was zur Charakteristik
des Festes beitragen kann. Die Deutschen hatten einen besondern Platz im Zuge, je¬
doch war die Anzahl der Theilnehmer verhältnißmäßig nur gering. Man hat in einer
Art von Club, der sich vor einigen Wochen hier unter den Deutschen gebildet hat, den
Vorschlag gemacht, am Tage vor dem Feste Börne's Grab zu besuchen, ich weiß
aber nicht, ob dieser Vorschlag ausgeführt worden ist. Der Handwerkerstand sollte bei
dem Feste die Hauptrolle spielen, und die verschiedenen Gewerke trugen deshalb ihre


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[0411] T a g e b u es. i. Äus Paris. i. Das Fest der Republik. Paris bot am Tage des Festes (am 21. Mai) ein eigenthümliches Schauspiel; die soge¬ nannte elegante Welt war wie verschwunden und statt ihrer sah man Massen robuster, durch gewisse eckige Bewegungen sich auszeichnender Provincialcn auf Straßen und Plätzen umherschweifen. Nationalgarde und Linientruppen standen vom frühen Morgen an in allen Straßen und selbst außerhalb der Stadt, während unabsehbare Massen Volkes dem Marsfelde zueilten. Seit Monaten hatte man Tausende von Arbeitern dort be¬ schäftigt, um die Anhöhen, welche das ziemlich ebene Terrain umgeben, fortzuschaffen. Ich überzeugte mich am Tage des Festes aber, daß diese Arbeiten eben nur, um Arbeit zu geben, angeordnet worden, denn das Marsfeld ist dadurch nur monotoner, vielleicht unbrauchbar geworden, weil die Zuschauer durch das Abtragen der Anhöhen keinen vor¬ theilhaften Platz mehr haben. Ergreifend war in dem ganzen Konglomerat von Men¬ schen, Fahnen, Standarten, Triumphwagen u. s. w. nur der Trupp der Vetera¬ nen der großen Armee. Ihr Aufzug sah so lebendig und Illusion erweckend aus, daß man Bilder von Charlct vor sich zu haben glaubte. Die Mustkchöre waren wie immer abscheulich: im Gesang der Volkshymncn kein Enthusiasmus, im Spielen der Märsche eine Trägheit, als ob die Musikanten, von tropischer Hitze ermattet, den Mund kaum mehr zum Blasen öffnen könnten. Wer kennt nicht den gräulichen Charivari, den man in einer Jahrmarktbnde zu hören bekommt, deren Musik immer die ihrer Nachbarn übertäuben will? Man hört alsdann ein Dutzend Weisen mit einem Male und darum eigentlich keine einzige. Gerade so war es auf dem Marsfelde, wo das Musikcorps jedes Trupps der Regierung und den Volksrepräsentanten Eins ausspielen wollte. Eine Beschreibung der Einzelnheiten des Zuges wird den Leser wohl schwerlich intcresstrcn können, und ich will deshalb nur von dem reden, was zur Charakteristik des Festes beitragen kann. Die Deutschen hatten einen besondern Platz im Zuge, je¬ doch war die Anzahl der Theilnehmer verhältnißmäßig nur gering. Man hat in einer Art von Club, der sich vor einigen Wochen hier unter den Deutschen gebildet hat, den Vorschlag gemacht, am Tage vor dem Feste Börne's Grab zu besuchen, ich weiß aber nicht, ob dieser Vorschlag ausgeführt worden ist. Der Handwerkerstand sollte bei dem Feste die Hauptrolle spielen, und die verschiedenen Gewerke trugen deshalb ihre Gr-nztoten. II. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/411>, abgerufen am 26.06.2024.