Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.Decret. womit der Kaiser den Grafen Sedlinitzky verabschiedete, und worin die merk¬ Diese Ueberzeugung der regierenden Familie, daß sie betrogen wurde, hat auch Dennoch müssen wir aus unserer Hut sein. Die Anhänger des Metternichschen Aainer. Decret. womit der Kaiser den Grafen Sedlinitzky verabschiedete, und worin die merk¬ Diese Ueberzeugung der regierenden Familie, daß sie betrogen wurde, hat auch Dennoch müssen wir aus unserer Hut sein. Die Anhänger des Metternichschen Aainer. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276245"/> <p xml:id="ID_116" prev="#ID_115"> Decret. womit der Kaiser den Grafen Sedlinitzky verabschiedete, und worin die merk¬<lb/> würdigen Worte vorkamen: „Sie haben mich betrogen!"</p><lb/> <p xml:id="ID_117"> Diese Ueberzeugung der regierenden Familie, daß sie betrogen wurde, hat auch<lb/> die Revolution so leicht gemacht. Es ist vielleicht in der Geschichte noch acht da ge¬<lb/> wesen, daß ein Staat von 38 Millionen Menschen sein ganzes bisheriges System<lb/> über Nacht umkehrt in Folge einer Revolution, die kaum 3V Menschenleben gekostet<lb/> hat. Es herrscht allenthalben die Ueberzeugung, daß diese Erscheinung grade der In¬<lb/> dividualität des Kaisers zu danken ist, der kein eminenter Kopf, kein Krastmen,ep,<lb/> aber grade das ist, was man in solchen Momenten braucht, eine kmdsgute. reine<lb/> Seele, sanft und tiefmenschlich. „I lass nit schießen! I lass nit schießen" -- sehne<lb/> er unaufhörlich, — „I reif' fort, wenn's ihr schießen laßt." Als man UM noch<lb/> ein Mal abreden wollte, die Concessionen zu unterschreiben, rief er zornig: „Bin r der<lb/> Kaiser oder bin i nit der Kaiser?" In der Freude des guten Mannes, daß Wien<lb/> jetzt so bewegt und glücklich ist, liegt keine Coquetterie, sondern der volle Ausdruck<lb/> kindlicher, herzlicher Wahrheit. Jeden Tag steht man ihn auffahren und er ist em<lb/> viel zu talentloser Schauspieler, als daß das vergnügte Gesicht, das er zeigt, Maske<lb/> sein sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_118"> Dennoch müssen wir aus unserer Hut sein. Die Anhänger des Metternichschen<lb/> Systems sind noch immer zahlreich und in der Nähe. Sie zeigen mit Schadenfreude<lb/> ans die vielfachen Verlegenheiten der Regierung und die zahllosen Concessionen, die sie<lb/> tagtäglich machen muß. Hätte man uns gefolgt, rufen sie, hätte man der Emeute<lb/> mit Kanonen geantwortet, so stände die Regierung jetzt gefürchtet und mächtig da.<lb/> Aber in Berlin hat man ja dieses System befolgt, und was hat man damit gewonnen?<lb/> In Mailand hat man mitrailliren lassen, und hat man nicht Alles dadurch verloren?<lb/> Nur Verräther, hirnlose, fluchwürdige Menschen können jetzt noch der Regierung rathen,<lb/> ans halbem Wege stehen zu bleiben. Oesterreich muß jetzt ein eben so consequent freier<lb/> Staat werden, wie er früher ein consequent absolutistischer und despotischer war. Nur die<lb/> volle Freiheit sichert seine Zukunft, ein jeder Schritt zurück ist ein Schritt zum Abgrund!</p><lb/> <note type="byline"> Aainer.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
Decret. womit der Kaiser den Grafen Sedlinitzky verabschiedete, und worin die merk¬
würdigen Worte vorkamen: „Sie haben mich betrogen!"
Diese Ueberzeugung der regierenden Familie, daß sie betrogen wurde, hat auch
die Revolution so leicht gemacht. Es ist vielleicht in der Geschichte noch acht da ge¬
wesen, daß ein Staat von 38 Millionen Menschen sein ganzes bisheriges System
über Nacht umkehrt in Folge einer Revolution, die kaum 3V Menschenleben gekostet
hat. Es herrscht allenthalben die Ueberzeugung, daß diese Erscheinung grade der In¬
dividualität des Kaisers zu danken ist, der kein eminenter Kopf, kein Krastmen,ep,
aber grade das ist, was man in solchen Momenten braucht, eine kmdsgute. reine
Seele, sanft und tiefmenschlich. „I lass nit schießen! I lass nit schießen" -- sehne
er unaufhörlich, — „I reif' fort, wenn's ihr schießen laßt." Als man UM noch
ein Mal abreden wollte, die Concessionen zu unterschreiben, rief er zornig: „Bin r der
Kaiser oder bin i nit der Kaiser?" In der Freude des guten Mannes, daß Wien
jetzt so bewegt und glücklich ist, liegt keine Coquetterie, sondern der volle Ausdruck
kindlicher, herzlicher Wahrheit. Jeden Tag steht man ihn auffahren und er ist em
viel zu talentloser Schauspieler, als daß das vergnügte Gesicht, das er zeigt, Maske
sein sollte.
Dennoch müssen wir aus unserer Hut sein. Die Anhänger des Metternichschen
Systems sind noch immer zahlreich und in der Nähe. Sie zeigen mit Schadenfreude
ans die vielfachen Verlegenheiten der Regierung und die zahllosen Concessionen, die sie
tagtäglich machen muß. Hätte man uns gefolgt, rufen sie, hätte man der Emeute
mit Kanonen geantwortet, so stände die Regierung jetzt gefürchtet und mächtig da.
Aber in Berlin hat man ja dieses System befolgt, und was hat man damit gewonnen?
In Mailand hat man mitrailliren lassen, und hat man nicht Alles dadurch verloren?
Nur Verräther, hirnlose, fluchwürdige Menschen können jetzt noch der Regierung rathen,
ans halbem Wege stehen zu bleiben. Oesterreich muß jetzt ein eben so consequent freier
Staat werden, wie er früher ein consequent absolutistischer und despotischer war. Nur die
volle Freiheit sichert seine Zukunft, ein jeder Schritt zurück ist ein Schritt zum Abgrund!
Aainer.
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