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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Schein eines großsprecherischer Wesens zu vermeiden, lieber gar nichts sagen,
oder sich in bloßer Andeutung verlieren.

Ein Beispiel. Das vorige, pietistische Gouvernement hatte in die Kirchen¬
ordnung den alten, abgestandenen, aber darum sehr historischen Teig wieder einge¬
schwärzt; es hatte die Pfarrer, die sich-diesem Attentate widersetzten, fortgeschickt,
dem Einzelnen, der sich in das neumodische Christenthum nicht finden wollte, seine
bürgerlichen Rechte verkümmert. Dies ganze Unwesen war eben so ungesetzlich
als es sinnlos war.

Das neue Cnltnsministerinm mußte damit anfangen, daß es jene ungesetzlichen
Schritte ein für allemal als null und nichtig erklärte. Aber das verstieß zu sehr
gegen den diplomatischen Anstand. Anstatt einfach zu erklären: jede Gemeinde
wählt sich den Pfarrer, der ihr am besten gefällt, und richtet ihren Gottesdienst
nach Belieben ein, ließ man sich Schritt für Schritt die Rücknahme jener Gewalt¬
streiche gleichsam abzwingen und gab so allen wohlthätigen Eindruck aus. Anstatt
von vornherein und principiell die gleiche politische Berechtigung aller Religionen
auszusprechen, ließ man sich von Frankfurt aus ein solches Princip erst decretiren.
Oder haben vielleicht die guten Minister gefürchtet, durch ein Aufheben der christ¬
lich-germanischen Illusionen dem Willen des Volkes vorzugreifen?

Ja in dem neuen Verfassnngsentwurfe wird dem imaginären Begriff der
evangelischen Kirche geradezu nach der Eichhorn'schen Idee das Eigenthumsrecht
über die liegenden Gründe der Kirche zugesprochen. Wenn also ganz Berlin von
der königl. preußischen Landeskirche abfällt, so muß es seine Kirche den 20 -- 30
Pietisten abtreten, die auf altherkömmliche Weise den Herrn Zebaoth verehren
wollen.

Das ist nur ein einzelnes Beispiel; aber so geht es in allen Verwaltungs¬
zweigen. Es wird im Einzelnen manches Gute gethan, aber das Volk will einen
großen Schritt, durch den das Vertrauen wieder hergestellt werde, und zu diesem
Schritt hat man keinen Muth. So geht es fort in der alten Weise, und den
Intriguen der Anarchisten und der Reactionärs wird freier Spielraum gelassen.

Mehr in der ungeschickten Fe^on, in welcher die Forderungen der neuen Zeit
bewilligt wurden, als in dem Inhalt der Bewilligungen liegt es also, daß das
neue Ministerium sich in einer schiefen Stellung zur Krone wie zum Volk und
dessen Vertretern findet. Es ist in Zeiten kämpfender Principien keineswegs eine
ungerechte Forderung, daß man die bloße amtliche Beschäftigung einen Augenblick
unterbreche, um den gleichsam theoretischen Ansprüchen des Princips zu genügen.
Von allen neuen Regierungen, die seit der Februarrevolution sich in Deutschland
aufgethan haben, hat die sächsische ihr Amt am besten verstanden; sie hat mit ei¬
nem umfassenden und alle billigen Ansprüche befriedigenden Programm ihre Thä¬
tigkeit eröffnet, sie hat sich in allen Fällen, wo es sich um eine wesentliche Frage
handelt, mit vertrauensvoller Offenheit an das Volk gewendet, und doch kann


Schein eines großsprecherischer Wesens zu vermeiden, lieber gar nichts sagen,
oder sich in bloßer Andeutung verlieren.

Ein Beispiel. Das vorige, pietistische Gouvernement hatte in die Kirchen¬
ordnung den alten, abgestandenen, aber darum sehr historischen Teig wieder einge¬
schwärzt; es hatte die Pfarrer, die sich-diesem Attentate widersetzten, fortgeschickt,
dem Einzelnen, der sich in das neumodische Christenthum nicht finden wollte, seine
bürgerlichen Rechte verkümmert. Dies ganze Unwesen war eben so ungesetzlich
als es sinnlos war.

Das neue Cnltnsministerinm mußte damit anfangen, daß es jene ungesetzlichen
Schritte ein für allemal als null und nichtig erklärte. Aber das verstieß zu sehr
gegen den diplomatischen Anstand. Anstatt einfach zu erklären: jede Gemeinde
wählt sich den Pfarrer, der ihr am besten gefällt, und richtet ihren Gottesdienst
nach Belieben ein, ließ man sich Schritt für Schritt die Rücknahme jener Gewalt¬
streiche gleichsam abzwingen und gab so allen wohlthätigen Eindruck aus. Anstatt
von vornherein und principiell die gleiche politische Berechtigung aller Religionen
auszusprechen, ließ man sich von Frankfurt aus ein solches Princip erst decretiren.
Oder haben vielleicht die guten Minister gefürchtet, durch ein Aufheben der christ¬
lich-germanischen Illusionen dem Willen des Volkes vorzugreifen?

Ja in dem neuen Verfassnngsentwurfe wird dem imaginären Begriff der
evangelischen Kirche geradezu nach der Eichhorn'schen Idee das Eigenthumsrecht
über die liegenden Gründe der Kirche zugesprochen. Wenn also ganz Berlin von
der königl. preußischen Landeskirche abfällt, so muß es seine Kirche den 20 — 30
Pietisten abtreten, die auf altherkömmliche Weise den Herrn Zebaoth verehren
wollen.

Das ist nur ein einzelnes Beispiel; aber so geht es in allen Verwaltungs¬
zweigen. Es wird im Einzelnen manches Gute gethan, aber das Volk will einen
großen Schritt, durch den das Vertrauen wieder hergestellt werde, und zu diesem
Schritt hat man keinen Muth. So geht es fort in der alten Weise, und den
Intriguen der Anarchisten und der Reactionärs wird freier Spielraum gelassen.

Mehr in der ungeschickten Fe^on, in welcher die Forderungen der neuen Zeit
bewilligt wurden, als in dem Inhalt der Bewilligungen liegt es also, daß das
neue Ministerium sich in einer schiefen Stellung zur Krone wie zum Volk und
dessen Vertretern findet. Es ist in Zeiten kämpfender Principien keineswegs eine
ungerechte Forderung, daß man die bloße amtliche Beschäftigung einen Augenblick
unterbreche, um den gleichsam theoretischen Ansprüchen des Princips zu genügen.
Von allen neuen Regierungen, die seit der Februarrevolution sich in Deutschland
aufgethan haben, hat die sächsische ihr Amt am besten verstanden; sie hat mit ei¬
nem umfassenden und alle billigen Ansprüche befriedigenden Programm ihre Thä¬
tigkeit eröffnet, sie hat sich in allen Fällen, wo es sich um eine wesentliche Frage
handelt, mit vertrauensvoller Offenheit an das Volk gewendet, und doch kann


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[0386] Schein eines großsprecherischer Wesens zu vermeiden, lieber gar nichts sagen, oder sich in bloßer Andeutung verlieren. Ein Beispiel. Das vorige, pietistische Gouvernement hatte in die Kirchen¬ ordnung den alten, abgestandenen, aber darum sehr historischen Teig wieder einge¬ schwärzt; es hatte die Pfarrer, die sich-diesem Attentate widersetzten, fortgeschickt, dem Einzelnen, der sich in das neumodische Christenthum nicht finden wollte, seine bürgerlichen Rechte verkümmert. Dies ganze Unwesen war eben so ungesetzlich als es sinnlos war. Das neue Cnltnsministerinm mußte damit anfangen, daß es jene ungesetzlichen Schritte ein für allemal als null und nichtig erklärte. Aber das verstieß zu sehr gegen den diplomatischen Anstand. Anstatt einfach zu erklären: jede Gemeinde wählt sich den Pfarrer, der ihr am besten gefällt, und richtet ihren Gottesdienst nach Belieben ein, ließ man sich Schritt für Schritt die Rücknahme jener Gewalt¬ streiche gleichsam abzwingen und gab so allen wohlthätigen Eindruck aus. Anstatt von vornherein und principiell die gleiche politische Berechtigung aller Religionen auszusprechen, ließ man sich von Frankfurt aus ein solches Princip erst decretiren. Oder haben vielleicht die guten Minister gefürchtet, durch ein Aufheben der christ¬ lich-germanischen Illusionen dem Willen des Volkes vorzugreifen? Ja in dem neuen Verfassnngsentwurfe wird dem imaginären Begriff der evangelischen Kirche geradezu nach der Eichhorn'schen Idee das Eigenthumsrecht über die liegenden Gründe der Kirche zugesprochen. Wenn also ganz Berlin von der königl. preußischen Landeskirche abfällt, so muß es seine Kirche den 20 — 30 Pietisten abtreten, die auf altherkömmliche Weise den Herrn Zebaoth verehren wollen. Das ist nur ein einzelnes Beispiel; aber so geht es in allen Verwaltungs¬ zweigen. Es wird im Einzelnen manches Gute gethan, aber das Volk will einen großen Schritt, durch den das Vertrauen wieder hergestellt werde, und zu diesem Schritt hat man keinen Muth. So geht es fort in der alten Weise, und den Intriguen der Anarchisten und der Reactionärs wird freier Spielraum gelassen. Mehr in der ungeschickten Fe^on, in welcher die Forderungen der neuen Zeit bewilligt wurden, als in dem Inhalt der Bewilligungen liegt es also, daß das neue Ministerium sich in einer schiefen Stellung zur Krone wie zum Volk und dessen Vertretern findet. Es ist in Zeiten kämpfender Principien keineswegs eine ungerechte Forderung, daß man die bloße amtliche Beschäftigung einen Augenblick unterbreche, um den gleichsam theoretischen Ansprüchen des Princips zu genügen. Von allen neuen Regierungen, die seit der Februarrevolution sich in Deutschland aufgethan haben, hat die sächsische ihr Amt am besten verstanden; sie hat mit ei¬ nem umfassenden und alle billigen Ansprüche befriedigenden Programm ihre Thä¬ tigkeit eröffnet, sie hat sich in allen Fällen, wo es sich um eine wesentliche Frage handelt, mit vertrauensvoller Offenheit an das Volk gewendet, und doch kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/386>, abgerufen am 26.06.2024.