Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

setzte sich aufs Katheder, aber im Waffenrock mit dem Helm und mit Kanonen zu beiden
Seiten. Sie blieb nicht mir taub gegen die rechtlichen Forderungen des Volkes, sie
griff mit frecher Hand in seine heiligsten Erwerbnisse ein, sie drängte sich mit ihrem
Gefolge erkaufter, heuchlerischer Pietisten in seine Schulen, sie verlachte das Heilig--
thun, der Gerichte, sie schnitt dem Handel aus vornehmer Gleichgültigkeit oder aus
wahrhaft kindischer Ignoranz seine besten Quellen ab; sie hemmte den freien Lauf
der Wissenschaft, sie verfälschte selbst die Geschichte durch einen königl. preußischen
Dogmatismus. Und dieses System, das ans allen Geistern wie der Alp eiues
bösen Traumes drückt, hatte nicht einmal den edlen Anstrich der Stärke; verachtet
und gehaßt von den deutschen Brüdern, verkaufte es sich seinem guten Freunde,
dem russischen Despoten, ließ es sich von jedem pfiffigen Diplomaten, von Oestreich,
von England, ja von Dänemark auf 'eine Weise gängeln, daß alle edlen Herzen
gepreßt wurden -- der doppelten Schmach, geknechtet zu sein und noch dazu von
einem ohnmächtigen Despotismus.

Das ist die Vergangenheit, deren Erbtheil Herr Camphausen und seine poli¬
tischen Freunde vertreten. Mehrere von den neuen Machthabern hatten sich blind¬
lings, bei der ersten Aufforderung, dem Gouvernement hingegeben; Camphausen
und Hansemann traten, wie es ihre Pflicht war, erst da ein, als ihnen die allei¬
nige Verantwortlichkeit der neuen Organisation in die Hände gegeben wurde.

Die Stellung des neuen Ministeriums war überaus günstig. Die liberale
Partei trat ihm mit dem schönsten Vertrauen entgegen, die sogenannten Konserva¬
tiven mußten sich an es, als an den letzten Staatsämter anklammern.

Von den Radikalen " tont ni-ix war freilich zu erwarten, daß sie gegen
Camphausen eben so Opposition machen würden, als früher gegen Arnim oder
Bodelschwingh, als sie es auch thun würden, wenn der König die Herren Held,
Oppenheim, Ottensvsser und Eichlcr in seinen Rath berufen würde. Bei diesen
Oppositionsmännern von Fach liegt das Verbrechen nicht darin, wie man regiert,
sondern daß man regiert. Indessen hatte eine solche Opposition keine große
Wichtigkeit.

Dagegen durfte die liberale Partei mit Recht von der neuen Regierung ver¬
langen, sie solle sich erklären, in welchem Sinne nach den verschiedenen Richtungen
sie ihre Aufgabe aufzufassen gedenke. Es wurde ein entscheidender Schritt erwar¬
tet, durch den man die Möglichkeit einer Reaction auf immer abschnitt, durch den
das Princip der freien Entwickelung an die Fortdauer des gegenwärtigen Gou¬
vernements geknüpft würde.

Ein solcher Schritt ist nicht erfolgt. Es ist ein Unglück, daß mit der Ge¬
walt auch regelmäßig die Neigung zur Diplomatie verbunden ist. Man will im
Kleinen bessern und flicken, und verliert dadurch das Vertrauen, das aus einem
großen, principiellen Entschluß nothwendig erfolgt wäre. Bei den Deutschen kommt
noch hinzu, daß sie sich vor theatralischen Wendungen schämen, daß sie, um den


setzte sich aufs Katheder, aber im Waffenrock mit dem Helm und mit Kanonen zu beiden
Seiten. Sie blieb nicht mir taub gegen die rechtlichen Forderungen des Volkes, sie
griff mit frecher Hand in seine heiligsten Erwerbnisse ein, sie drängte sich mit ihrem
Gefolge erkaufter, heuchlerischer Pietisten in seine Schulen, sie verlachte das Heilig--
thun, der Gerichte, sie schnitt dem Handel aus vornehmer Gleichgültigkeit oder aus
wahrhaft kindischer Ignoranz seine besten Quellen ab; sie hemmte den freien Lauf
der Wissenschaft, sie verfälschte selbst die Geschichte durch einen königl. preußischen
Dogmatismus. Und dieses System, das ans allen Geistern wie der Alp eiues
bösen Traumes drückt, hatte nicht einmal den edlen Anstrich der Stärke; verachtet
und gehaßt von den deutschen Brüdern, verkaufte es sich seinem guten Freunde,
dem russischen Despoten, ließ es sich von jedem pfiffigen Diplomaten, von Oestreich,
von England, ja von Dänemark auf 'eine Weise gängeln, daß alle edlen Herzen
gepreßt wurden — der doppelten Schmach, geknechtet zu sein und noch dazu von
einem ohnmächtigen Despotismus.

Das ist die Vergangenheit, deren Erbtheil Herr Camphausen und seine poli¬
tischen Freunde vertreten. Mehrere von den neuen Machthabern hatten sich blind¬
lings, bei der ersten Aufforderung, dem Gouvernement hingegeben; Camphausen
und Hansemann traten, wie es ihre Pflicht war, erst da ein, als ihnen die allei¬
nige Verantwortlichkeit der neuen Organisation in die Hände gegeben wurde.

Die Stellung des neuen Ministeriums war überaus günstig. Die liberale
Partei trat ihm mit dem schönsten Vertrauen entgegen, die sogenannten Konserva¬
tiven mußten sich an es, als an den letzten Staatsämter anklammern.

Von den Radikalen » tont ni-ix war freilich zu erwarten, daß sie gegen
Camphausen eben so Opposition machen würden, als früher gegen Arnim oder
Bodelschwingh, als sie es auch thun würden, wenn der König die Herren Held,
Oppenheim, Ottensvsser und Eichlcr in seinen Rath berufen würde. Bei diesen
Oppositionsmännern von Fach liegt das Verbrechen nicht darin, wie man regiert,
sondern daß man regiert. Indessen hatte eine solche Opposition keine große
Wichtigkeit.

Dagegen durfte die liberale Partei mit Recht von der neuen Regierung ver¬
langen, sie solle sich erklären, in welchem Sinne nach den verschiedenen Richtungen
sie ihre Aufgabe aufzufassen gedenke. Es wurde ein entscheidender Schritt erwar¬
tet, durch den man die Möglichkeit einer Reaction auf immer abschnitt, durch den
das Princip der freien Entwickelung an die Fortdauer des gegenwärtigen Gou¬
vernements geknüpft würde.

Ein solcher Schritt ist nicht erfolgt. Es ist ein Unglück, daß mit der Ge¬
walt auch regelmäßig die Neigung zur Diplomatie verbunden ist. Man will im
Kleinen bessern und flicken, und verliert dadurch das Vertrauen, das aus einem
großen, principiellen Entschluß nothwendig erfolgt wäre. Bei den Deutschen kommt
noch hinzu, daß sie sich vor theatralischen Wendungen schämen, daß sie, um den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276591"/>
          <p xml:id="ID_1327" prev="#ID_1326"> setzte sich aufs Katheder, aber im Waffenrock mit dem Helm und mit Kanonen zu beiden<lb/>
Seiten. Sie blieb nicht mir taub gegen die rechtlichen Forderungen des Volkes, sie<lb/>
griff mit frecher Hand in seine heiligsten Erwerbnisse ein, sie drängte sich mit ihrem<lb/>
Gefolge erkaufter, heuchlerischer Pietisten in seine Schulen, sie verlachte das Heilig--<lb/>
thun, der Gerichte, sie schnitt dem Handel aus vornehmer Gleichgültigkeit oder aus<lb/>
wahrhaft kindischer Ignoranz seine besten Quellen ab; sie hemmte den freien Lauf<lb/>
der Wissenschaft, sie verfälschte selbst die Geschichte durch einen königl. preußischen<lb/>
Dogmatismus. Und dieses System, das ans allen Geistern wie der Alp eiues<lb/>
bösen Traumes drückt, hatte nicht einmal den edlen Anstrich der Stärke; verachtet<lb/>
und gehaßt von den deutschen Brüdern, verkaufte es sich seinem guten Freunde,<lb/>
dem russischen Despoten, ließ es sich von jedem pfiffigen Diplomaten, von Oestreich,<lb/>
von England, ja von Dänemark auf 'eine Weise gängeln, daß alle edlen Herzen<lb/>
gepreßt wurden &#x2014; der doppelten Schmach, geknechtet zu sein und noch dazu von<lb/>
einem ohnmächtigen Despotismus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328"> Das ist die Vergangenheit, deren Erbtheil Herr Camphausen und seine poli¬<lb/>
tischen Freunde vertreten. Mehrere von den neuen Machthabern hatten sich blind¬<lb/>
lings, bei der ersten Aufforderung, dem Gouvernement hingegeben; Camphausen<lb/>
und Hansemann traten, wie es ihre Pflicht war, erst da ein, als ihnen die allei¬<lb/>
nige Verantwortlichkeit der neuen Organisation in die Hände gegeben wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1329"> Die Stellung des neuen Ministeriums war überaus günstig. Die liberale<lb/>
Partei trat ihm mit dem schönsten Vertrauen entgegen, die sogenannten Konserva¬<lb/>
tiven mußten sich an es, als an den letzten Staatsämter anklammern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1330"> Von den Radikalen » tont ni-ix war freilich zu erwarten, daß sie gegen<lb/>
Camphausen eben so Opposition machen würden, als früher gegen Arnim oder<lb/>
Bodelschwingh, als sie es auch thun würden, wenn der König die Herren Held,<lb/>
Oppenheim, Ottensvsser und Eichlcr in seinen Rath berufen würde. Bei diesen<lb/>
Oppositionsmännern von Fach liegt das Verbrechen nicht darin, wie man regiert,<lb/>
sondern daß man regiert. Indessen hatte eine solche Opposition keine große<lb/>
Wichtigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1331"> Dagegen durfte die liberale Partei mit Recht von der neuen Regierung ver¬<lb/>
langen, sie solle sich erklären, in welchem Sinne nach den verschiedenen Richtungen<lb/>
sie ihre Aufgabe aufzufassen gedenke. Es wurde ein entscheidender Schritt erwar¬<lb/>
tet, durch den man die Möglichkeit einer Reaction auf immer abschnitt, durch den<lb/>
das Princip der freien Entwickelung an die Fortdauer des gegenwärtigen Gou¬<lb/>
vernements geknüpft würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Ein solcher Schritt ist nicht erfolgt. Es ist ein Unglück, daß mit der Ge¬<lb/>
walt auch regelmäßig die Neigung zur Diplomatie verbunden ist. Man will im<lb/>
Kleinen bessern und flicken, und verliert dadurch das Vertrauen, das aus einem<lb/>
großen, principiellen Entschluß nothwendig erfolgt wäre. Bei den Deutschen kommt<lb/>
noch hinzu, daß sie sich vor theatralischen Wendungen schämen, daß sie, um den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] setzte sich aufs Katheder, aber im Waffenrock mit dem Helm und mit Kanonen zu beiden Seiten. Sie blieb nicht mir taub gegen die rechtlichen Forderungen des Volkes, sie griff mit frecher Hand in seine heiligsten Erwerbnisse ein, sie drängte sich mit ihrem Gefolge erkaufter, heuchlerischer Pietisten in seine Schulen, sie verlachte das Heilig-- thun, der Gerichte, sie schnitt dem Handel aus vornehmer Gleichgültigkeit oder aus wahrhaft kindischer Ignoranz seine besten Quellen ab; sie hemmte den freien Lauf der Wissenschaft, sie verfälschte selbst die Geschichte durch einen königl. preußischen Dogmatismus. Und dieses System, das ans allen Geistern wie der Alp eiues bösen Traumes drückt, hatte nicht einmal den edlen Anstrich der Stärke; verachtet und gehaßt von den deutschen Brüdern, verkaufte es sich seinem guten Freunde, dem russischen Despoten, ließ es sich von jedem pfiffigen Diplomaten, von Oestreich, von England, ja von Dänemark auf 'eine Weise gängeln, daß alle edlen Herzen gepreßt wurden — der doppelten Schmach, geknechtet zu sein und noch dazu von einem ohnmächtigen Despotismus. Das ist die Vergangenheit, deren Erbtheil Herr Camphausen und seine poli¬ tischen Freunde vertreten. Mehrere von den neuen Machthabern hatten sich blind¬ lings, bei der ersten Aufforderung, dem Gouvernement hingegeben; Camphausen und Hansemann traten, wie es ihre Pflicht war, erst da ein, als ihnen die allei¬ nige Verantwortlichkeit der neuen Organisation in die Hände gegeben wurde. Die Stellung des neuen Ministeriums war überaus günstig. Die liberale Partei trat ihm mit dem schönsten Vertrauen entgegen, die sogenannten Konserva¬ tiven mußten sich an es, als an den letzten Staatsämter anklammern. Von den Radikalen » tont ni-ix war freilich zu erwarten, daß sie gegen Camphausen eben so Opposition machen würden, als früher gegen Arnim oder Bodelschwingh, als sie es auch thun würden, wenn der König die Herren Held, Oppenheim, Ottensvsser und Eichlcr in seinen Rath berufen würde. Bei diesen Oppositionsmännern von Fach liegt das Verbrechen nicht darin, wie man regiert, sondern daß man regiert. Indessen hatte eine solche Opposition keine große Wichtigkeit. Dagegen durfte die liberale Partei mit Recht von der neuen Regierung ver¬ langen, sie solle sich erklären, in welchem Sinne nach den verschiedenen Richtungen sie ihre Aufgabe aufzufassen gedenke. Es wurde ein entscheidender Schritt erwar¬ tet, durch den man die Möglichkeit einer Reaction auf immer abschnitt, durch den das Princip der freien Entwickelung an die Fortdauer des gegenwärtigen Gou¬ vernements geknüpft würde. Ein solcher Schritt ist nicht erfolgt. Es ist ein Unglück, daß mit der Ge¬ walt auch regelmäßig die Neigung zur Diplomatie verbunden ist. Man will im Kleinen bessern und flicken, und verliert dadurch das Vertrauen, das aus einem großen, principiellen Entschluß nothwendig erfolgt wäre. Bei den Deutschen kommt noch hinzu, daß sie sich vor theatralischen Wendungen schämen, daß sie, um den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/385>, abgerufen am 23.07.2024.