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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Ans Wie n.



i.
Die deutsche Fahne auf dem Stephansthurme.

Seit heute Morgen weht die schwarz-roth-goldene Fahne von den Zinnen der alt-
ehrwürdigen Kathedrale Wiens. Vor meinem Fenster vorüber ziehen Studenten- und
Sängerchöre, um durch Lieder und Lebehochs sie zu begrüßen.

Es ist auch die höchste Zeit, daß Wien sich wiederfindet als deutsche Stadt, daß
die Oesterreicher, die Deutschösterrcicher sich besinnen, daß sie Deutsche sind. Vor lau¬
ter Gerechtigkeitsgefühl gegen andere angereihte Nationalitäten ist man ungerecht gegen
sich selbst geworden. vor lauter Glcichstellungswüuschen den Slaven und Magyaren ge¬
genüber drohet die Unterjochung dem Hauptbestandtheil der Monarchie. Czechen, Ma¬
gyaren, Kroaten, Italiener, Polen, Jedes geht angreifend gegen das deutsche Element
zu Werke, sanatisircnd. zum Kampfe aufrufend. Mag sein, daß sie im eigenen Lande
ihre nationale Oberherrschaft erobern, das Fremde ausscheiden; aber Wien ist eine
deutsche Stadt und muß vor Allem deutsch sein. Oesterreich ist nur als deutsche
Großmacht etwas geworden, hat nur als deutsche Macht die Nebenländer allmälig er¬
obert, kann nur als deutsche Macht in Zukunft etwas sein und muß daher vor Allem
deutsch bleiben. Die Zeiten der Germanisation sind vorüber. Das frühere Oesterreich
hat mit Hülse der Finsterniß zu germanisiren gestrebt und hat den Haß sich zugezogen,
jetzt kann und darf es nichts mehr dem Deutschthum erobern wollen. Aber es hüte
sich davor, sich erobern zu lassen. Es hüte sich, seine Hauptpolitik, die nur Hand in
Hand mit Deutschland gehen kann, aus Rücksicht aus die Nebenländer ans dem Auge
zu verlieren, es hüte sich halb und halb zu sein und nach zwei Seiten hinschielcnd
zwischen zwei Stühlen durchzuhalten. Wir sind auf dem schönsten Wege dazu, denn
leider predigen eine Masse von Patnoten, von ehrlichen Patrioten, die Deutsche und
wirkliche Liberale sind, die Doctrine von der Gleichberechtigung aller Nationen im Kai¬
serstaate mit solcher Ueberschwänglichkeit, daß gerade Dasjenige, was sie retten wollen,
die Einheit, die Größe Oesterreichs dnrch ihr Bemühen zuerst in Stücken zu reißen
droht. Die Gleichberechtigung aller Nationen reißt den Staat in vier Stücke ausein¬
ander. Bereits hat Ungarn ein verantwortliches Ministerium für sich errungen, das
seinen Sitz nicht mehr in Wien hat. Seine auswärtige Politik, seine Handelspolitik
wird nicht mehr von Wien bestimmt, sondern von seinen eigenen verantwortlichen Mi¬
nistern. Böhmen ist aus dem Wege, dasselbe zu fordern. Italien ist fast ganz, Ga-
lizien zu drei Viertheilen aufgegeben. Oesterreichs Kraft beruht jetzt rein in seinen
deutschen Provinzen; was soll daher das Umherblicken nach einer andern Richtung als nach
der deutschen? Das sind schlechte Patrioten und unselige Politiker, die immer vcrhin-


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i.
Die deutsche Fahne auf dem Stephansthurme.

Seit heute Morgen weht die schwarz-roth-goldene Fahne von den Zinnen der alt-
ehrwürdigen Kathedrale Wiens. Vor meinem Fenster vorüber ziehen Studenten- und
Sängerchöre, um durch Lieder und Lebehochs sie zu begrüßen.

Es ist auch die höchste Zeit, daß Wien sich wiederfindet als deutsche Stadt, daß
die Oesterreicher, die Deutschösterrcicher sich besinnen, daß sie Deutsche sind. Vor lau¬
ter Gerechtigkeitsgefühl gegen andere angereihte Nationalitäten ist man ungerecht gegen
sich selbst geworden. vor lauter Glcichstellungswüuschen den Slaven und Magyaren ge¬
genüber drohet die Unterjochung dem Hauptbestandtheil der Monarchie. Czechen, Ma¬
gyaren, Kroaten, Italiener, Polen, Jedes geht angreifend gegen das deutsche Element
zu Werke, sanatisircnd. zum Kampfe aufrufend. Mag sein, daß sie im eigenen Lande
ihre nationale Oberherrschaft erobern, das Fremde ausscheiden; aber Wien ist eine
deutsche Stadt und muß vor Allem deutsch sein. Oesterreich ist nur als deutsche
Großmacht etwas geworden, hat nur als deutsche Macht die Nebenländer allmälig er¬
obert, kann nur als deutsche Macht in Zukunft etwas sein und muß daher vor Allem
deutsch bleiben. Die Zeiten der Germanisation sind vorüber. Das frühere Oesterreich
hat mit Hülse der Finsterniß zu germanisiren gestrebt und hat den Haß sich zugezogen,
jetzt kann und darf es nichts mehr dem Deutschthum erobern wollen. Aber es hüte
sich davor, sich erobern zu lassen. Es hüte sich, seine Hauptpolitik, die nur Hand in
Hand mit Deutschland gehen kann, aus Rücksicht aus die Nebenländer ans dem Auge
zu verlieren, es hüte sich halb und halb zu sein und nach zwei Seiten hinschielcnd
zwischen zwei Stühlen durchzuhalten. Wir sind auf dem schönsten Wege dazu, denn
leider predigen eine Masse von Patnoten, von ehrlichen Patrioten, die Deutsche und
wirkliche Liberale sind, die Doctrine von der Gleichberechtigung aller Nationen im Kai¬
serstaate mit solcher Ueberschwänglichkeit, daß gerade Dasjenige, was sie retten wollen,
die Einheit, die Größe Oesterreichs dnrch ihr Bemühen zuerst in Stücken zu reißen
droht. Die Gleichberechtigung aller Nationen reißt den Staat in vier Stücke ausein¬
ander. Bereits hat Ungarn ein verantwortliches Ministerium für sich errungen, das
seinen Sitz nicht mehr in Wien hat. Seine auswärtige Politik, seine Handelspolitik
wird nicht mehr von Wien bestimmt, sondern von seinen eigenen verantwortlichen Mi¬
nistern. Böhmen ist aus dem Wege, dasselbe zu fordern. Italien ist fast ganz, Ga-
lizien zu drei Viertheilen aufgegeben. Oesterreichs Kraft beruht jetzt rein in seinen
deutschen Provinzen; was soll daher das Umherblicken nach einer andern Richtung als nach
der deutschen? Das sind schlechte Patrioten und unselige Politiker, die immer vcrhin-


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[0035] Ans Wie n. i. Die deutsche Fahne auf dem Stephansthurme. Seit heute Morgen weht die schwarz-roth-goldene Fahne von den Zinnen der alt- ehrwürdigen Kathedrale Wiens. Vor meinem Fenster vorüber ziehen Studenten- und Sängerchöre, um durch Lieder und Lebehochs sie zu begrüßen. Es ist auch die höchste Zeit, daß Wien sich wiederfindet als deutsche Stadt, daß die Oesterreicher, die Deutschösterrcicher sich besinnen, daß sie Deutsche sind. Vor lau¬ ter Gerechtigkeitsgefühl gegen andere angereihte Nationalitäten ist man ungerecht gegen sich selbst geworden. vor lauter Glcichstellungswüuschen den Slaven und Magyaren ge¬ genüber drohet die Unterjochung dem Hauptbestandtheil der Monarchie. Czechen, Ma¬ gyaren, Kroaten, Italiener, Polen, Jedes geht angreifend gegen das deutsche Element zu Werke, sanatisircnd. zum Kampfe aufrufend. Mag sein, daß sie im eigenen Lande ihre nationale Oberherrschaft erobern, das Fremde ausscheiden; aber Wien ist eine deutsche Stadt und muß vor Allem deutsch sein. Oesterreich ist nur als deutsche Großmacht etwas geworden, hat nur als deutsche Macht die Nebenländer allmälig er¬ obert, kann nur als deutsche Macht in Zukunft etwas sein und muß daher vor Allem deutsch bleiben. Die Zeiten der Germanisation sind vorüber. Das frühere Oesterreich hat mit Hülse der Finsterniß zu germanisiren gestrebt und hat den Haß sich zugezogen, jetzt kann und darf es nichts mehr dem Deutschthum erobern wollen. Aber es hüte sich davor, sich erobern zu lassen. Es hüte sich, seine Hauptpolitik, die nur Hand in Hand mit Deutschland gehen kann, aus Rücksicht aus die Nebenländer ans dem Auge zu verlieren, es hüte sich halb und halb zu sein und nach zwei Seiten hinschielcnd zwischen zwei Stühlen durchzuhalten. Wir sind auf dem schönsten Wege dazu, denn leider predigen eine Masse von Patnoten, von ehrlichen Patrioten, die Deutsche und wirkliche Liberale sind, die Doctrine von der Gleichberechtigung aller Nationen im Kai¬ serstaate mit solcher Ueberschwänglichkeit, daß gerade Dasjenige, was sie retten wollen, die Einheit, die Größe Oesterreichs dnrch ihr Bemühen zuerst in Stücken zu reißen droht. Die Gleichberechtigung aller Nationen reißt den Staat in vier Stücke ausein¬ ander. Bereits hat Ungarn ein verantwortliches Ministerium für sich errungen, das seinen Sitz nicht mehr in Wien hat. Seine auswärtige Politik, seine Handelspolitik wird nicht mehr von Wien bestimmt, sondern von seinen eigenen verantwortlichen Mi¬ nistern. Böhmen ist aus dem Wege, dasselbe zu fordern. Italien ist fast ganz, Ga- lizien zu drei Viertheilen aufgegeben. Oesterreichs Kraft beruht jetzt rein in seinen deutschen Provinzen; was soll daher das Umherblicken nach einer andern Richtung als nach der deutschen? Das sind schlechte Patrioten und unselige Politiker, die immer vcrhin- Grenzboten. it. 1S4». />

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/35>, abgerufen am 26.06.2024.