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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Jntiliren und Protestirc". -- ÄricgSlust und Kri-gSrüstungen. -- Reactionär- Gelüst- der Polizei. --
Schwarz'roth-goldene Spielereien. -- Wie man das Proletariat erzieht. -- Mangel
an Politikern,

Fast ist es dem Schriftsteller nicht mehr möglich, mit den Ereignissen der neuen
Zeit gleichen Schritt zu halten. Kaum hatten wir uns von unserm Erstaunen über
die Abdankung König Ludwigs erholt, da kommen die Nachrichten der Berliner Gräuel-
scenen und königlicher Anmaßung, und rufen Autodafe's und ähnliche Demonstrationen
hervor. Adressen werden unterschrieben (auch vom König Ludwig), um sich gegen den
neuen deutschen Kaiser zu verwahren, Karrikaturen erscheinen an den Buchläden und
Pereats hallen aus allen Trinkstube". Dazwischen klirren die Waffen an allen Ecken
und Enden, denn Künstler, Studenten und Bürgcrsöhne haben Freikorps gebildet und
exerciren Tag für Tag, sogar die Männer des baicrschen Hochlandes treten unter der
Anführung des Herzogs Max von Baiern in eine Art Landsturm zusammen. Die
Linie selbst wird auf den Kriegsfuß gestellt und schon haben viele Truppen die Garni¬
son verlassen, um die Grenze gegen Westen decken zu helfen. Eine ungeheure Kriegslust
herrscht unter der Jugend, aber leider vergißt sie dabei das vor kurzer Zeit Errungene
sich zu wahren. Die Polizeiwillkür hat ihre goldenen Tage noch nicht vergessen und
sucht allgemach sich wieder geltend zu machen. Schon ward das Aufbieten von Flug¬
blättern an den Straßenecken und in Wirthshäusern verboten -- unbeschadet der vollen
Freiheit der Presse, wie die Polizei sich auszudrücken beliebt -- und irren wir uns
nicht, so werden gar bald andere ähnliche Verordnungen nachfolgen, wenn man nicht
die Augen offen behält. Das Spielen mit der schwarz-roth-goldenen Fahne, die nun
auch hier auf der Feldherrnhalle flattert, macht den Fortschritt noch nicht aus, und
nur zu loben ist der Takt der Bamberger Landwehr, welche dem neuen König den
Huldigungseid erst schwören will, wenn des baierischen Volks gerechte Forderungen
sämmtlich erfüllt sind. Aber wie weit ist's noch bis dahin! Im ganzen westlichen
Deutschland rüstet man sich gegen die deutscheu Legionen, die von Paris aus uns Frei¬
heit und Gleichheit bringen wollen, man fürchtet die Massen von Proletariern, die
bis jetzt nicht gelebt haben, sondern nur am Leben waren, und doch stößt man
bei uns mit jedem Tage eine hoffnungsvolle intelligente Jugend in die Arme des Pro¬
letariats, eine Masse von Rechtspraktikantcn und jungen Aerzten, die ihr Vermögen
darangesetzt haben, etwas zu lernen und nach Beendigung ihrer Studien sich nicht ei¬
nen Kreuzer verdienen können, weil die ärztliche Praxis nicht freigegeben ist und kein
Landrichter einem RechtSpraktikantm etwas bezahlt, wenn er nicht durch ihn einen Schrei-


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Jntiliren und Protestirc». — ÄricgSlust und Kri-gSrüstungen. — Reactionär- Gelüst- der Polizei. —
Schwarz'roth-goldene Spielereien. — Wie man das Proletariat erzieht. — Mangel
an Politikern,

Fast ist es dem Schriftsteller nicht mehr möglich, mit den Ereignissen der neuen
Zeit gleichen Schritt zu halten. Kaum hatten wir uns von unserm Erstaunen über
die Abdankung König Ludwigs erholt, da kommen die Nachrichten der Berliner Gräuel-
scenen und königlicher Anmaßung, und rufen Autodafe's und ähnliche Demonstrationen
hervor. Adressen werden unterschrieben (auch vom König Ludwig), um sich gegen den
neuen deutschen Kaiser zu verwahren, Karrikaturen erscheinen an den Buchläden und
Pereats hallen aus allen Trinkstube». Dazwischen klirren die Waffen an allen Ecken
und Enden, denn Künstler, Studenten und Bürgcrsöhne haben Freikorps gebildet und
exerciren Tag für Tag, sogar die Männer des baicrschen Hochlandes treten unter der
Anführung des Herzogs Max von Baiern in eine Art Landsturm zusammen. Die
Linie selbst wird auf den Kriegsfuß gestellt und schon haben viele Truppen die Garni¬
son verlassen, um die Grenze gegen Westen decken zu helfen. Eine ungeheure Kriegslust
herrscht unter der Jugend, aber leider vergißt sie dabei das vor kurzer Zeit Errungene
sich zu wahren. Die Polizeiwillkür hat ihre goldenen Tage noch nicht vergessen und
sucht allgemach sich wieder geltend zu machen. Schon ward das Aufbieten von Flug¬
blättern an den Straßenecken und in Wirthshäusern verboten — unbeschadet der vollen
Freiheit der Presse, wie die Polizei sich auszudrücken beliebt — und irren wir uns
nicht, so werden gar bald andere ähnliche Verordnungen nachfolgen, wenn man nicht
die Augen offen behält. Das Spielen mit der schwarz-roth-goldenen Fahne, die nun
auch hier auf der Feldherrnhalle flattert, macht den Fortschritt noch nicht aus, und
nur zu loben ist der Takt der Bamberger Landwehr, welche dem neuen König den
Huldigungseid erst schwören will, wenn des baierischen Volks gerechte Forderungen
sämmtlich erfüllt sind. Aber wie weit ist's noch bis dahin! Im ganzen westlichen
Deutschland rüstet man sich gegen die deutscheu Legionen, die von Paris aus uns Frei¬
heit und Gleichheit bringen wollen, man fürchtet die Massen von Proletariern, die
bis jetzt nicht gelebt haben, sondern nur am Leben waren, und doch stößt man
bei uns mit jedem Tage eine hoffnungsvolle intelligente Jugend in die Arme des Pro¬
letariats, eine Masse von Rechtspraktikantcn und jungen Aerzten, die ihr Vermögen
darangesetzt haben, etwas zu lernen und nach Beendigung ihrer Studien sich nicht ei¬
nen Kreuzer verdienen können, weil die ärztliche Praxis nicht freigegeben ist und kein
Landrichter einem RechtSpraktikantm etwas bezahlt, wenn er nicht durch ihn einen Schrei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/33>, abgerufen am 26.06.2024.