Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit nicht gering anzuschlagender Gewalt entgegenstemmt, so thut dies in Hanno¬
ver, Braunschweig, den beiden Mecklenburger und Oldenburg der Geburtsadel
in Verbindung mit den Fürsten und der noch nicht für die wahre Freiheit reisen
Militärmacht. Die Herzogthümer Schleswig-Holstein nehmen wir aus; dort hat
von jeher ein anderer, ein besserer Sinn geherrscht und thut es jetzt in der Be¬
geisterung des Kampfes gegen ein unerträgliches Joch doppelt. Auch steht die
Gesammtbevölkerung dieser beiden deutschen Provinzen, durch die ihr ertheilte
musterhafte Schulbildung, auf einer vielleicht in Süddeutschland kaum geahnten
Höhe der Intelligenz. Ein Schleswig-holsteinischer Bauer ist ein Mann, mit dem
ein Gelehrter sich mit Vergnügen unterhalten kann. Er liest täglich seine Zei¬
tungen nud hat den Atlas neben sich liegen, um darauf den Kriegsschauplatz vor
deu Augen zu haben. Deutschland hätte seine bravsten, intelligentesten Brüder
aufgeopfert, wenn eS die Herzogthümer dem Dänen preisgegeben. Es ist
ein herrliches, kräftiges, mannhaftes und ernstes Volk, und nirgends herrschen
wohl so Biederkeit und Sitte, als in diesem norddeutschen Winkel. Der Meck¬
lenburger ist dagegen ein rein materieller Mensch und man merkt es ihm an, daß
er noch nicht vor gar langer Zeit der Hörigkeit entwachsen. Hat er nur gut zu
essen und zu trinken, so kümmert er sich um die höhern Güter wenig oder gar
nicht. Hannover sühlt, trotz des ungeheuren Umschwunges im Gcsammtvatcrlaude,
noch immer die eiserne Hand seines Ernst-August's ans seinem Nacken. Wie
schwach das Volk ist, hat es zur Genüge in dem Kampfe um seine Verfassung,
dem Könige gegenüber, dargethan, und überdies seufzt es unter dem Joche einer
unerträglichen Aristokratie, die, weil tiefer als irgend , sonst wo eingewurzelt, schwer
auszurotten sein dürste, zumal da alle Ofsizicrstellcn von Adligen bekleidet werden.


M. C.


mit nicht gering anzuschlagender Gewalt entgegenstemmt, so thut dies in Hanno¬
ver, Braunschweig, den beiden Mecklenburger und Oldenburg der Geburtsadel
in Verbindung mit den Fürsten und der noch nicht für die wahre Freiheit reisen
Militärmacht. Die Herzogthümer Schleswig-Holstein nehmen wir aus; dort hat
von jeher ein anderer, ein besserer Sinn geherrscht und thut es jetzt in der Be¬
geisterung des Kampfes gegen ein unerträgliches Joch doppelt. Auch steht die
Gesammtbevölkerung dieser beiden deutschen Provinzen, durch die ihr ertheilte
musterhafte Schulbildung, auf einer vielleicht in Süddeutschland kaum geahnten
Höhe der Intelligenz. Ein Schleswig-holsteinischer Bauer ist ein Mann, mit dem
ein Gelehrter sich mit Vergnügen unterhalten kann. Er liest täglich seine Zei¬
tungen nud hat den Atlas neben sich liegen, um darauf den Kriegsschauplatz vor
deu Augen zu haben. Deutschland hätte seine bravsten, intelligentesten Brüder
aufgeopfert, wenn eS die Herzogthümer dem Dänen preisgegeben. Es ist
ein herrliches, kräftiges, mannhaftes und ernstes Volk, und nirgends herrschen
wohl so Biederkeit und Sitte, als in diesem norddeutschen Winkel. Der Meck¬
lenburger ist dagegen ein rein materieller Mensch und man merkt es ihm an, daß
er noch nicht vor gar langer Zeit der Hörigkeit entwachsen. Hat er nur gut zu
essen und zu trinken, so kümmert er sich um die höhern Güter wenig oder gar
nicht. Hannover sühlt, trotz des ungeheuren Umschwunges im Gcsammtvatcrlaude,
noch immer die eiserne Hand seines Ernst-August's ans seinem Nacken. Wie
schwach das Volk ist, hat es zur Genüge in dem Kampfe um seine Verfassung,
dem Könige gegenüber, dargethan, und überdies seufzt es unter dem Joche einer
unerträglichen Aristokratie, die, weil tiefer als irgend , sonst wo eingewurzelt, schwer
auszurotten sein dürste, zumal da alle Ofsizicrstellcn von Adligen bekleidet werden.


M. C.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276509"/>
          <p xml:id="ID_1047" prev="#ID_1046"> mit nicht gering anzuschlagender Gewalt entgegenstemmt, so thut dies in Hanno¬<lb/>
ver, Braunschweig, den beiden Mecklenburger und Oldenburg der Geburtsadel<lb/>
in Verbindung mit den Fürsten und der noch nicht für die wahre Freiheit reisen<lb/>
Militärmacht. Die Herzogthümer Schleswig-Holstein nehmen wir aus; dort hat<lb/>
von jeher ein anderer, ein besserer Sinn geherrscht und thut es jetzt in der Be¬<lb/>
geisterung des Kampfes gegen ein unerträgliches Joch doppelt. Auch steht die<lb/>
Gesammtbevölkerung dieser beiden deutschen Provinzen, durch die ihr ertheilte<lb/>
musterhafte Schulbildung, auf einer vielleicht in Süddeutschland kaum geahnten<lb/>
Höhe der Intelligenz. Ein Schleswig-holsteinischer Bauer ist ein Mann, mit dem<lb/>
ein Gelehrter sich mit Vergnügen unterhalten kann. Er liest täglich seine Zei¬<lb/>
tungen nud hat den Atlas neben sich liegen, um darauf den Kriegsschauplatz vor<lb/>
deu Augen zu haben. Deutschland hätte seine bravsten, intelligentesten Brüder<lb/>
aufgeopfert, wenn eS die Herzogthümer dem Dänen preisgegeben. Es ist<lb/>
ein herrliches, kräftiges, mannhaftes und ernstes Volk, und nirgends herrschen<lb/>
wohl so Biederkeit und Sitte, als in diesem norddeutschen Winkel. Der Meck¬<lb/>
lenburger ist dagegen ein rein materieller Mensch und man merkt es ihm an, daß<lb/>
er noch nicht vor gar langer Zeit der Hörigkeit entwachsen. Hat er nur gut zu<lb/>
essen und zu trinken, so kümmert er sich um die höhern Güter wenig oder gar<lb/>
nicht. Hannover sühlt, trotz des ungeheuren Umschwunges im Gcsammtvatcrlaude,<lb/>
noch immer die eiserne Hand seines Ernst-August's ans seinem Nacken. Wie<lb/>
schwach das Volk ist, hat es zur Genüge in dem Kampfe um seine Verfassung,<lb/>
dem Könige gegenüber, dargethan, und überdies seufzt es unter dem Joche einer<lb/>
unerträglichen Aristokratie, die, weil tiefer als irgend , sonst wo eingewurzelt, schwer<lb/>
auszurotten sein dürste, zumal da alle Ofsizicrstellcn von Adligen bekleidet werden.</p><lb/>
          <note type="byline"> M. C.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] mit nicht gering anzuschlagender Gewalt entgegenstemmt, so thut dies in Hanno¬ ver, Braunschweig, den beiden Mecklenburger und Oldenburg der Geburtsadel in Verbindung mit den Fürsten und der noch nicht für die wahre Freiheit reisen Militärmacht. Die Herzogthümer Schleswig-Holstein nehmen wir aus; dort hat von jeher ein anderer, ein besserer Sinn geherrscht und thut es jetzt in der Be¬ geisterung des Kampfes gegen ein unerträgliches Joch doppelt. Auch steht die Gesammtbevölkerung dieser beiden deutschen Provinzen, durch die ihr ertheilte musterhafte Schulbildung, auf einer vielleicht in Süddeutschland kaum geahnten Höhe der Intelligenz. Ein Schleswig-holsteinischer Bauer ist ein Mann, mit dem ein Gelehrter sich mit Vergnügen unterhalten kann. Er liest täglich seine Zei¬ tungen nud hat den Atlas neben sich liegen, um darauf den Kriegsschauplatz vor deu Augen zu haben. Deutschland hätte seine bravsten, intelligentesten Brüder aufgeopfert, wenn eS die Herzogthümer dem Dänen preisgegeben. Es ist ein herrliches, kräftiges, mannhaftes und ernstes Volk, und nirgends herrschen wohl so Biederkeit und Sitte, als in diesem norddeutschen Winkel. Der Meck¬ lenburger ist dagegen ein rein materieller Mensch und man merkt es ihm an, daß er noch nicht vor gar langer Zeit der Hörigkeit entwachsen. Hat er nur gut zu essen und zu trinken, so kümmert er sich um die höhern Güter wenig oder gar nicht. Hannover sühlt, trotz des ungeheuren Umschwunges im Gcsammtvatcrlaude, noch immer die eiserne Hand seines Ernst-August's ans seinem Nacken. Wie schwach das Volk ist, hat es zur Genüge in dem Kampfe um seine Verfassung, dem Könige gegenüber, dargethan, und überdies seufzt es unter dem Joche einer unerträglichen Aristokratie, die, weil tiefer als irgend , sonst wo eingewurzelt, schwer auszurotten sein dürste, zumal da alle Ofsizicrstellcn von Adligen bekleidet werden. M. C.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/303>, abgerufen am 26.06.2024.