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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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aufreizung Maßregeln getroffen, die das Uebel nur vermehren konnten. Als Herr
Julius, Redacteur der "Zeitungshalle," in einem leitenden Artikel den Staat
aufforderte, nicht bei der Emancipation der Bourgeoisie, wie es in der französischen
Julirevolution geschehen, stehen zu bleiben, sondern seine vorzügliche Aufmerksam¬
keit auf Hebung der niedern Volksklassen zu richten, da jetzt schon ein entschiedener
Bruch zwischen den Besitzenden und Besitzlosen vorhanden sei, rückten ihm die Bürger
mit Säbeln auf den Leib, und drohten ihm seine Druckerei zu demoliren. Als
ein durchreisender Schriftsteller, Herr Boas, den alten Landtag ein infames
Institut nannte -- Ausdrücke, an die man in deu Clubs so gewöhnt wird, daß
sie gar nicht mehr auffallen -- verhaftete ihn die Bürgerwache ohne Weiteres.
Aehnliche Scenen sind noch mehrere vorgegangen, und dienen natürlich nur dazu,
die Aufregung zu steigern, und zugleich die Ohnmacht der Reaction zu beweisen,
denn mau muß die Verhafteten doch gleich wieder freilassen. Die Bürgerschaft
bleibt zu sehr in ihrer negativen, ablehnenden Stellung; sie denkt zu wenig daran,
die Arbeiter hierseits aufzuklären, zu wenig daran, für ihre Hebung wirklich ener¬
gische Maßregeln anzubahnen.

Natürlich kennt man ans der andern Seite auch kein Maß; alle Augenblicke
hört man an den Clubs von der "feigen Bourgeoisie, die sich in den glorreichen
Tagen der Revolution versteckt habe, und die sie nun zu Gunsten der Hofjnweliere,
Hosschuster und Hofschneider ausbeuten wolle." Man droht hin und wieder ernst¬
lich, sich an die Spitze der Arbeiter zu stellen. Von beiden Seiten also eine ma߬
lose Leidenschaft, die alle möglichen Gefahren droht; nur darf man nicht vergessen,
daß jene Sprache in aufgeregten Augenblicken, in abendlichen Versammlungen ge¬
führt wird , daß ein Redner den andern steigert, und daß bei Tage die Sache
wohl nicht so gefährlich aussieht. Die niedern Volksklassen beobachten übrigens
eine musterhafte Haltung, ich habe in ihren Versammlungen Ehrfurcht vor den
Berliner Arbeitern bekommen.

Es handelt sich in den politischen Tendenzen der beiden Parteien, wie man
sieht, nur um einen quantitativen Unterschied. Die radicale Partei hat den
Vortheil, daß sie einig ist in ihren Forderungen, denn sie hat ein sehr allgemeines
Schema: gleiche Berechtigung Aller. Die Konservativen dagegen müssen die Be¬
schränkung dieses Rechts mehr oder minder nach Willkür festsetzen, und durchkreuzen
sich daher mehrfach in ihren Anforderungen. Ein ziemlich complicirtes System ward
von Herrn Professor Kries aus Breslau, der sich dort wegen seiner conservativen
Gesinnung viele Feinde zugezogen hat, in der Vossischen Zeitung veröffentlicht;
es sollten zwei Kammern gebildet werden, von denen die erste, demokratische, aus
den Urwähler, die zweite, conservative, aus den ProvinziaMnden gebildet würde.
Wie wir jetzt lesen, hat die Regierung die Idee der zweiten Kammer, wenigstens
für die constituirende Versammlung fallen lassen; dagegen hat sie Beschränkung
der Urwähler und indirecte Wahlen vorgeschlagen, eine Maßregel, die, was sich


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aufreizung Maßregeln getroffen, die das Uebel nur vermehren konnten. Als Herr
Julius, Redacteur der „Zeitungshalle," in einem leitenden Artikel den Staat
aufforderte, nicht bei der Emancipation der Bourgeoisie, wie es in der französischen
Julirevolution geschehen, stehen zu bleiben, sondern seine vorzügliche Aufmerksam¬
keit auf Hebung der niedern Volksklassen zu richten, da jetzt schon ein entschiedener
Bruch zwischen den Besitzenden und Besitzlosen vorhanden sei, rückten ihm die Bürger
mit Säbeln auf den Leib, und drohten ihm seine Druckerei zu demoliren. Als
ein durchreisender Schriftsteller, Herr Boas, den alten Landtag ein infames
Institut nannte — Ausdrücke, an die man in deu Clubs so gewöhnt wird, daß
sie gar nicht mehr auffallen — verhaftete ihn die Bürgerwache ohne Weiteres.
Aehnliche Scenen sind noch mehrere vorgegangen, und dienen natürlich nur dazu,
die Aufregung zu steigern, und zugleich die Ohnmacht der Reaction zu beweisen,
denn mau muß die Verhafteten doch gleich wieder freilassen. Die Bürgerschaft
bleibt zu sehr in ihrer negativen, ablehnenden Stellung; sie denkt zu wenig daran,
die Arbeiter hierseits aufzuklären, zu wenig daran, für ihre Hebung wirklich ener¬
gische Maßregeln anzubahnen.

Natürlich kennt man ans der andern Seite auch kein Maß; alle Augenblicke
hört man an den Clubs von der „feigen Bourgeoisie, die sich in den glorreichen
Tagen der Revolution versteckt habe, und die sie nun zu Gunsten der Hofjnweliere,
Hosschuster und Hofschneider ausbeuten wolle." Man droht hin und wieder ernst¬
lich, sich an die Spitze der Arbeiter zu stellen. Von beiden Seiten also eine ma߬
lose Leidenschaft, die alle möglichen Gefahren droht; nur darf man nicht vergessen,
daß jene Sprache in aufgeregten Augenblicken, in abendlichen Versammlungen ge¬
führt wird , daß ein Redner den andern steigert, und daß bei Tage die Sache
wohl nicht so gefährlich aussieht. Die niedern Volksklassen beobachten übrigens
eine musterhafte Haltung, ich habe in ihren Versammlungen Ehrfurcht vor den
Berliner Arbeitern bekommen.

Es handelt sich in den politischen Tendenzen der beiden Parteien, wie man
sieht, nur um einen quantitativen Unterschied. Die radicale Partei hat den
Vortheil, daß sie einig ist in ihren Forderungen, denn sie hat ein sehr allgemeines
Schema: gleiche Berechtigung Aller. Die Konservativen dagegen müssen die Be¬
schränkung dieses Rechts mehr oder minder nach Willkür festsetzen, und durchkreuzen
sich daher mehrfach in ihren Anforderungen. Ein ziemlich complicirtes System ward
von Herrn Professor Kries aus Breslau, der sich dort wegen seiner conservativen
Gesinnung viele Feinde zugezogen hat, in der Vossischen Zeitung veröffentlicht;
es sollten zwei Kammern gebildet werden, von denen die erste, demokratische, aus
den Urwähler, die zweite, conservative, aus den ProvinziaMnden gebildet würde.
Wie wir jetzt lesen, hat die Regierung die Idee der zweiten Kammer, wenigstens
für die constituirende Versammlung fallen lassen; dagegen hat sie Beschränkung
der Urwähler und indirecte Wahlen vorgeschlagen, eine Maßregel, die, was sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/27>, abgerufen am 26.06.2024.