Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

züglich auf den Nachweis des Herrn Oppenheim, daß jener Aufruf unklar sei,
und daß in der Politik nichts so sehr zu fürchten sei, als Unklarheit. Unklar ist
aber die Stellung einer Versammlung, die nichts vertritt als sich selbst, die nicht
eine rechtliche, sondern nur eine moralische Autorität, und allenfalls die Auto¬
rität der Fäuste an sich trägt.

Wenn diejenigen Männer, die den Frankfurter Redeübungsverein zusammen¬
beriefen, dies beherzigt hätten, so wäre Deutschland viel Verwirrung erspart
worden.

Mit jenem Antrag war es also nichts; auch unter den Radicalen siegte die
gemäßigte Ansicht, die freilich wieder ein wunderliches Ansehn gewann: mit Ord¬
nung könne die neue Verfassung uur durch ein bestehendes gesetzliches Organ her¬
gestellt werden, dieses Organ sei aber der König, der durch, eine offene Erklärung
die Souveränität des Volks anerkannt habe; ihm gebühre also die Initiative,
vorausgesetzt freilich, daß er nichts anders decretire, als was das Volk wolle,
d. h., das allgemeine Wahlrecht. "Wir wollen dir die Initiative lassen, wenn
du willst, was wir wollen; wo nicht, nicht." Aehnlich schwuren die Aragonesischen
Stände ihrem König Treue. Selbst der Antrag, den König durch eiuen morali¬
schen Zwang, durch eine numerisch imponirende Deputation zu dem Schritt zu
nöthigen, den man wünschte, fand keinen Beifall, denn wie Herr v. Brandt,
einer der bedeutendsten Redner der radicalen Partei, ganz richtig bemerkte, das
Berliner Volk ist nicht das Preußische Volt, und man müsse dem König die
Freiheit lassen, nach seiner Ueberzeugung zu handeln, man müsse diese Ueberzeu¬
gung nur durch Gründe zu modificiren suchen, dann aber freilich auch sich die
Freiheit vorbehalten, die Fahne der Volkssouveränität zum zweitenmal aufzupflanzen.

Man hatte demnach -- wie es auch von andern Städten des preußischen
Staats geschehen war, eine Petition an den König gerichtet, den Landtag nicht
einzuberufen, sondern aus eigener Macht Urwahleu auszuschreiben. Seitdem hat
sich die Sachlage dadurch geändert, daß der König seine volle Verantwortlichkeit
einem neuen, populären Ministerium übertragen hat. Ich reiste den folgenden Tag
ab, darauf ist der Landtag factisch zusammengetreten, und wie nun die Stimmung
der radicalen Partei sich weiter entwickelt hat, kann man aus den Zeitungen
nicht klar erkennen.

Die conservative Partei hat ihren eigentlichen Träger in der Bourgeoisie, die
durch die Idee, mit der Polizei höre auch die Sicherheit des Eigenthums auf,
und man wollte das Volk zum Communismus und zur Anarchie aufreizen, in
eine unglaubliche Aufregung versetzt ist. Sie schreibt alle Schuld deu Literaten
zu, von denen sie meint, sie schrieben nur des Geldes, allenfalls persönlichen
Ehrgeizes wegen. Sie ist nicht abgeneigt, gegen diese denselben Terrorismus zu
wenden, den sie von Seiten der Massen befürchtet. Da in ihren Händen aus¬
schließlich die Bürgerbewaffnung war, hat sie zuweilen zur Abwehr der Volks-


züglich auf den Nachweis des Herrn Oppenheim, daß jener Aufruf unklar sei,
und daß in der Politik nichts so sehr zu fürchten sei, als Unklarheit. Unklar ist
aber die Stellung einer Versammlung, die nichts vertritt als sich selbst, die nicht
eine rechtliche, sondern nur eine moralische Autorität, und allenfalls die Auto¬
rität der Fäuste an sich trägt.

Wenn diejenigen Männer, die den Frankfurter Redeübungsverein zusammen¬
beriefen, dies beherzigt hätten, so wäre Deutschland viel Verwirrung erspart
worden.

Mit jenem Antrag war es also nichts; auch unter den Radicalen siegte die
gemäßigte Ansicht, die freilich wieder ein wunderliches Ansehn gewann: mit Ord¬
nung könne die neue Verfassung uur durch ein bestehendes gesetzliches Organ her¬
gestellt werden, dieses Organ sei aber der König, der durch, eine offene Erklärung
die Souveränität des Volks anerkannt habe; ihm gebühre also die Initiative,
vorausgesetzt freilich, daß er nichts anders decretire, als was das Volk wolle,
d. h., das allgemeine Wahlrecht. „Wir wollen dir die Initiative lassen, wenn
du willst, was wir wollen; wo nicht, nicht." Aehnlich schwuren die Aragonesischen
Stände ihrem König Treue. Selbst der Antrag, den König durch eiuen morali¬
schen Zwang, durch eine numerisch imponirende Deputation zu dem Schritt zu
nöthigen, den man wünschte, fand keinen Beifall, denn wie Herr v. Brandt,
einer der bedeutendsten Redner der radicalen Partei, ganz richtig bemerkte, das
Berliner Volk ist nicht das Preußische Volt, und man müsse dem König die
Freiheit lassen, nach seiner Ueberzeugung zu handeln, man müsse diese Ueberzeu¬
gung nur durch Gründe zu modificiren suchen, dann aber freilich auch sich die
Freiheit vorbehalten, die Fahne der Volkssouveränität zum zweitenmal aufzupflanzen.

Man hatte demnach — wie es auch von andern Städten des preußischen
Staats geschehen war, eine Petition an den König gerichtet, den Landtag nicht
einzuberufen, sondern aus eigener Macht Urwahleu auszuschreiben. Seitdem hat
sich die Sachlage dadurch geändert, daß der König seine volle Verantwortlichkeit
einem neuen, populären Ministerium übertragen hat. Ich reiste den folgenden Tag
ab, darauf ist der Landtag factisch zusammengetreten, und wie nun die Stimmung
der radicalen Partei sich weiter entwickelt hat, kann man aus den Zeitungen
nicht klar erkennen.

Die conservative Partei hat ihren eigentlichen Träger in der Bourgeoisie, die
durch die Idee, mit der Polizei höre auch die Sicherheit des Eigenthums auf,
und man wollte das Volk zum Communismus und zur Anarchie aufreizen, in
eine unglaubliche Aufregung versetzt ist. Sie schreibt alle Schuld deu Literaten
zu, von denen sie meint, sie schrieben nur des Geldes, allenfalls persönlichen
Ehrgeizes wegen. Sie ist nicht abgeneigt, gegen diese denselben Terrorismus zu
wenden, den sie von Seiten der Massen befürchtet. Da in ihren Händen aus¬
schließlich die Bürgerbewaffnung war, hat sie zuweilen zur Abwehr der Volks-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276232"/>
            <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> züglich auf den Nachweis des Herrn Oppenheim, daß jener Aufruf unklar sei,<lb/>
und daß in der Politik nichts so sehr zu fürchten sei, als Unklarheit. Unklar ist<lb/>
aber die Stellung einer Versammlung, die nichts vertritt als sich selbst, die nicht<lb/>
eine rechtliche, sondern nur eine moralische Autorität, und allenfalls die Auto¬<lb/>
rität der Fäuste an sich trägt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_66"> Wenn diejenigen Männer, die den Frankfurter Redeübungsverein zusammen¬<lb/>
beriefen, dies beherzigt hätten, so wäre Deutschland viel Verwirrung erspart<lb/>
worden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_67"> Mit jenem Antrag war es also nichts; auch unter den Radicalen siegte die<lb/>
gemäßigte Ansicht, die freilich wieder ein wunderliches Ansehn gewann: mit Ord¬<lb/>
nung könne die neue Verfassung uur durch ein bestehendes gesetzliches Organ her¬<lb/>
gestellt werden, dieses Organ sei aber der König, der durch, eine offene Erklärung<lb/>
die Souveränität des Volks anerkannt habe; ihm gebühre also die Initiative,<lb/>
vorausgesetzt freilich, daß er nichts anders decretire, als was das Volk wolle,<lb/>
d. h., das allgemeine Wahlrecht. &#x201E;Wir wollen dir die Initiative lassen, wenn<lb/>
du willst, was wir wollen; wo nicht, nicht." Aehnlich schwuren die Aragonesischen<lb/>
Stände ihrem König Treue. Selbst der Antrag, den König durch eiuen morali¬<lb/>
schen Zwang, durch eine numerisch imponirende Deputation zu dem Schritt zu<lb/>
nöthigen, den man wünschte, fand keinen Beifall, denn wie Herr v. Brandt,<lb/>
einer der bedeutendsten Redner der radicalen Partei, ganz richtig bemerkte, das<lb/>
Berliner Volk ist nicht das Preußische Volt, und man müsse dem König die<lb/>
Freiheit lassen, nach seiner Ueberzeugung zu handeln, man müsse diese Ueberzeu¬<lb/>
gung nur durch Gründe zu modificiren suchen, dann aber freilich auch sich die<lb/>
Freiheit vorbehalten, die Fahne der Volkssouveränität zum zweitenmal aufzupflanzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_68"> Man hatte demnach &#x2014; wie es auch von andern Städten des preußischen<lb/>
Staats geschehen war, eine Petition an den König gerichtet, den Landtag nicht<lb/>
einzuberufen, sondern aus eigener Macht Urwahleu auszuschreiben. Seitdem hat<lb/>
sich die Sachlage dadurch geändert, daß der König seine volle Verantwortlichkeit<lb/>
einem neuen, populären Ministerium übertragen hat. Ich reiste den folgenden Tag<lb/>
ab, darauf ist der Landtag factisch zusammengetreten, und wie nun die Stimmung<lb/>
der radicalen Partei sich weiter entwickelt hat, kann man aus den Zeitungen<lb/>
nicht klar erkennen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_69" next="#ID_70"> Die conservative Partei hat ihren eigentlichen Träger in der Bourgeoisie, die<lb/>
durch die Idee, mit der Polizei höre auch die Sicherheit des Eigenthums auf,<lb/>
und man wollte das Volk zum Communismus und zur Anarchie aufreizen, in<lb/>
eine unglaubliche Aufregung versetzt ist. Sie schreibt alle Schuld deu Literaten<lb/>
zu, von denen sie meint, sie schrieben nur des Geldes, allenfalls persönlichen<lb/>
Ehrgeizes wegen. Sie ist nicht abgeneigt, gegen diese denselben Terrorismus zu<lb/>
wenden, den sie von Seiten der Massen befürchtet. Da in ihren Händen aus¬<lb/>
schließlich die Bürgerbewaffnung war, hat sie zuweilen zur Abwehr der Volks-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] züglich auf den Nachweis des Herrn Oppenheim, daß jener Aufruf unklar sei, und daß in der Politik nichts so sehr zu fürchten sei, als Unklarheit. Unklar ist aber die Stellung einer Versammlung, die nichts vertritt als sich selbst, die nicht eine rechtliche, sondern nur eine moralische Autorität, und allenfalls die Auto¬ rität der Fäuste an sich trägt. Wenn diejenigen Männer, die den Frankfurter Redeübungsverein zusammen¬ beriefen, dies beherzigt hätten, so wäre Deutschland viel Verwirrung erspart worden. Mit jenem Antrag war es also nichts; auch unter den Radicalen siegte die gemäßigte Ansicht, die freilich wieder ein wunderliches Ansehn gewann: mit Ord¬ nung könne die neue Verfassung uur durch ein bestehendes gesetzliches Organ her¬ gestellt werden, dieses Organ sei aber der König, der durch, eine offene Erklärung die Souveränität des Volks anerkannt habe; ihm gebühre also die Initiative, vorausgesetzt freilich, daß er nichts anders decretire, als was das Volk wolle, d. h., das allgemeine Wahlrecht. „Wir wollen dir die Initiative lassen, wenn du willst, was wir wollen; wo nicht, nicht." Aehnlich schwuren die Aragonesischen Stände ihrem König Treue. Selbst der Antrag, den König durch eiuen morali¬ schen Zwang, durch eine numerisch imponirende Deputation zu dem Schritt zu nöthigen, den man wünschte, fand keinen Beifall, denn wie Herr v. Brandt, einer der bedeutendsten Redner der radicalen Partei, ganz richtig bemerkte, das Berliner Volk ist nicht das Preußische Volt, und man müsse dem König die Freiheit lassen, nach seiner Ueberzeugung zu handeln, man müsse diese Ueberzeu¬ gung nur durch Gründe zu modificiren suchen, dann aber freilich auch sich die Freiheit vorbehalten, die Fahne der Volkssouveränität zum zweitenmal aufzupflanzen. Man hatte demnach — wie es auch von andern Städten des preußischen Staats geschehen war, eine Petition an den König gerichtet, den Landtag nicht einzuberufen, sondern aus eigener Macht Urwahleu auszuschreiben. Seitdem hat sich die Sachlage dadurch geändert, daß der König seine volle Verantwortlichkeit einem neuen, populären Ministerium übertragen hat. Ich reiste den folgenden Tag ab, darauf ist der Landtag factisch zusammengetreten, und wie nun die Stimmung der radicalen Partei sich weiter entwickelt hat, kann man aus den Zeitungen nicht klar erkennen. Die conservative Partei hat ihren eigentlichen Träger in der Bourgeoisie, die durch die Idee, mit der Polizei höre auch die Sicherheit des Eigenthums auf, und man wollte das Volk zum Communismus und zur Anarchie aufreizen, in eine unglaubliche Aufregung versetzt ist. Sie schreibt alle Schuld deu Literaten zu, von denen sie meint, sie schrieben nur des Geldes, allenfalls persönlichen Ehrgeizes wegen. Sie ist nicht abgeneigt, gegen diese denselben Terrorismus zu wenden, den sie von Seiten der Massen befürchtet. Da in ihren Händen aus¬ schließlich die Bürgerbewaffnung war, hat sie zuweilen zur Abwehr der Volks-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/26>, abgerufen am 26.06.2024.