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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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gesicherte Geschichte der ersten preußischen Revolution zu schreibe", wenn auch
künstig ein liberaler Papst die römischen Archive mit all' den Berichten, welche
die Besten der Diplomaten, die Jesuiten, ihm davon als Augenzeugen haben zu¬
kommen lassen, dem gelehrten Historiker öffnen sollte.

Um nur gleich das Positivste anzuführen, die Zahlen: Aerzte, die in allen
Lazarethen gewesen sein wollten, gaben mit großer Bestimmtheit die Zahl der ge¬
bliebenen Soldaten auf 17 an; ein Herr dagegen, der mitten im Feuer gewesen, der
17 Barrikaden commandirt hatte, nannte mit eben so großer Gewißheit 087. So
werden denn auch die einzelnen Begebenheiten je nach der poetischen Richtung und
dem Geschmack des Referenten, wie's kommt, in's Tragische oder Humoristische
hinübergezogen.

Folgende Umstände aber scheinen festzustehen.

Die ansässigen Bürger haben nur in geringer Zahl am Kampfe Theil genom¬
men ; sie haben das Volk nur indirect, durch Oeffnung der Häuser u. dergl. begün¬
stigt. Es scheint aber, das gegen das Ende des Kampfes die ganze Stadt eine
solche Erbitterung ergriffen habe, daß wen" der König nicht Friede geschlossen,
die ganze Bevölkerung aufgestanden wäre. Mau muß hier den Ausdruck Bour¬
geoisie uicht zu weit nehmen: junge Leute haben sich in sehr großer Zahl in's
Handgemenge eingelassen; zum wahren Wesen der Bourgeoisie gehört ein dicker
Bauch und ein mächtig anwachsendes Kinn.

Was man von den Heldenthaten Einzelner erzählt, ist Mythus. Mythus ist
z. B. die in Leipzig verbreitete Darstellung, nach welchem der Thierarzt Urban
der Hauptheld und Anführer des gauzeu Barrikadenkampfes gewesen sei.

Das Militär hat sich, namentlich bei dem Transport der Gefangenen nach
Spandau, mit empörender Brutalität benommen, einer Brutalität, die um so ab¬
scheulicher war, da sie zum großen Theil wirklich Unschuldige traf.

Das Militär ist wirklich geschlagen worden; eS hat zwar die meisten Barri¬
kaden forcirt, aber es hat die Stadt nicht unterwerfen können, nud ist so voll¬
kommen ermüdet gewesen, daß jede Verlängerung des Kampfes sein Untergang
hätte sein müsse".

Der eigentliche Kampf ist nur aus Erbitterung gegen das Militär hervor¬
gegangen und hat nur den Zweck gehabt, das Militär zu vertreiben. Nachdem
dieser Zweck erreicht ward und man damit absolute Freiheit erlangt hatte zu thun,
was man wollte, hat man für den ersten Augenblick nicht gewußt, was man
eigentlich zu erlangen, was man zu erreichen habe. Daher die Verwirrung der
nächsten Tage.

Aber ein edler Instinkt hat das Berliner Volk geleitet. In diesem Volk --
ich meine gerade die sogenannten niedern Stände -- schlummert eine Kraft und eine
Poesie, die mitunter selbst in der Frivolität etwas Grandioses hat. Die Thee¬
poeten unserer Tage mit ihrer verwaschenen Sprache sollten sich einmal hier unter


gesicherte Geschichte der ersten preußischen Revolution zu schreibe», wenn auch
künstig ein liberaler Papst die römischen Archive mit all' den Berichten, welche
die Besten der Diplomaten, die Jesuiten, ihm davon als Augenzeugen haben zu¬
kommen lassen, dem gelehrten Historiker öffnen sollte.

Um nur gleich das Positivste anzuführen, die Zahlen: Aerzte, die in allen
Lazarethen gewesen sein wollten, gaben mit großer Bestimmtheit die Zahl der ge¬
bliebenen Soldaten auf 17 an; ein Herr dagegen, der mitten im Feuer gewesen, der
17 Barrikaden commandirt hatte, nannte mit eben so großer Gewißheit 087. So
werden denn auch die einzelnen Begebenheiten je nach der poetischen Richtung und
dem Geschmack des Referenten, wie's kommt, in's Tragische oder Humoristische
hinübergezogen.

Folgende Umstände aber scheinen festzustehen.

Die ansässigen Bürger haben nur in geringer Zahl am Kampfe Theil genom¬
men ; sie haben das Volk nur indirect, durch Oeffnung der Häuser u. dergl. begün¬
stigt. Es scheint aber, das gegen das Ende des Kampfes die ganze Stadt eine
solche Erbitterung ergriffen habe, daß wen» der König nicht Friede geschlossen,
die ganze Bevölkerung aufgestanden wäre. Mau muß hier den Ausdruck Bour¬
geoisie uicht zu weit nehmen: junge Leute haben sich in sehr großer Zahl in's
Handgemenge eingelassen; zum wahren Wesen der Bourgeoisie gehört ein dicker
Bauch und ein mächtig anwachsendes Kinn.

Was man von den Heldenthaten Einzelner erzählt, ist Mythus. Mythus ist
z. B. die in Leipzig verbreitete Darstellung, nach welchem der Thierarzt Urban
der Hauptheld und Anführer des gauzeu Barrikadenkampfes gewesen sei.

Das Militär hat sich, namentlich bei dem Transport der Gefangenen nach
Spandau, mit empörender Brutalität benommen, einer Brutalität, die um so ab¬
scheulicher war, da sie zum großen Theil wirklich Unschuldige traf.

Das Militär ist wirklich geschlagen worden; eS hat zwar die meisten Barri¬
kaden forcirt, aber es hat die Stadt nicht unterwerfen können, nud ist so voll¬
kommen ermüdet gewesen, daß jede Verlängerung des Kampfes sein Untergang
hätte sein müsse».

Der eigentliche Kampf ist nur aus Erbitterung gegen das Militär hervor¬
gegangen und hat nur den Zweck gehabt, das Militär zu vertreiben. Nachdem
dieser Zweck erreicht ward und man damit absolute Freiheit erlangt hatte zu thun,
was man wollte, hat man für den ersten Augenblick nicht gewußt, was man
eigentlich zu erlangen, was man zu erreichen habe. Daher die Verwirrung der
nächsten Tage.

Aber ein edler Instinkt hat das Berliner Volk geleitet. In diesem Volk —
ich meine gerade die sogenannten niedern Stände — schlummert eine Kraft und eine
Poesie, die mitunter selbst in der Frivolität etwas Grandioses hat. Die Thee¬
poeten unserer Tage mit ihrer verwaschenen Sprache sollten sich einmal hier unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/18>, abgerufen am 22.07.2024.