Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.Worte beizufügen. Kein Wunder zwar, daß sich ein Dunkelmann, wie der Re¬ "Ans unerhört großartige Weise sei die römische Geschichte Worte beizufügen. Kein Wunder zwar, daß sich ein Dunkelmann, wie der Re¬ „Ans unerhört großartige Weise sei die römische Geschichte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276375"/> <p xml:id="ID_573" prev="#ID_572"> Worte beizufügen. Kein Wunder zwar, daß sich ein Dunkelmann, wie der Re¬<lb/> censent, an der ewigen Wahrheit der Geschichte ärgert, — sind doch in Nußland<lb/> die Geschichtswerke deS Tacitus verboten. Aber die offenbare und blinde Bös-<lb/> Willigkeit jenes halb kleinmeistcrisch kritisirenden, halb denuncircnden Geschreibes,<lb/> womit man das Buch vor Laien und Gelehrten zu vernichten sich abmüht, ist<lb/> vielleicht uur in unsern Tagen eine Möglichkeit. Der Recensent scheint gar nicht<lb/> zu ahnen, daß er mit seinem vermeintlichen Haupttadel: das Buch sei geschrieben,<lb/> um zwischen den Zeilen gelesen zu werden, vor der vernünftigen Welt nur das<lb/> bewirkt, daß mau auch ihn sammt Seinesgleichen und was sie im Schilde führen,<lb/> recht gut aus seinen eigenen Zeilen herausliest? Aber dennoch erachten wir uns<lb/> verpflichtet, um der ganz Umgekehrten willen und in Rücksicht auf unsere Zeit, wo<lb/> die Schreier so oft der großen Masse imponiren, einige jener Ausstellungen zur<lb/> Probe zu geben. Noch ein anderer Grund bewegt uns dazu. Es ist dem Re¬<lb/> censenten lwie es uns scheint) etwa ein oder zweimal gelungen, in gewissen Ein¬<lb/> zelnheiten dem Verfasser einen Fehler nachzuweisen; womit er denn nach seiner<lb/> Art sich des vollen Rechts rühmt, das Ganze als unwissenschaftlich zu verdammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_574"> „Ans unerhört großartige Weise sei die römische Geschichte<lb/> dnrch den Verfasser gefälscht" — dies aber vorzüglich darum, weil das<lb/> religiöse Bewußtsein bei den Alten von dem nationalen gar nicht verschieden ge¬<lb/> wesen. Deshalb sei anch kein Glaubenszwang möglich gewesen. Die philosophi¬<lb/> schen Lehren des Alterthums seien nichts weniger als eine neue Religion gewesen.<lb/> Uebrigens hätten die Machthaber nur das Praktische zu fürchten. — Wie sophi¬<lb/> stisch! — Findet sich denn im Alterthum eine rein nationale Religion? Nein!<lb/> der Polytheismus ist das Gemeinsame. National war die Religion bei den ver¬<lb/> schiedenen Völkern wohl auch, wie es ja überhaupt nie anders sein kann, und<lb/> wie auch die christliche Kirche im Mittelalter es war, wo man eine deutsche, fran¬<lb/> zösische und englische Kirche mit Recht unterscheidet. Die philosophischen Lehren<lb/> waren allerdings keine neue Religion, als welche immer nur allmälig aus dem<lb/> Leben entstehen kann, von dem sie geschichtlich offenbart wird. So entstand früher<lb/> der Polytheismus, so keimte damals das Christenthum auf. Jeue Philosophien<lb/> hingegen konnten ihrer Natur nach nicht anders als negativ sein. Aber zugleich<lb/> waren sie vorbereitend und bedeuteten eine gänzliche Umwälzung der gesammten<lb/> menschlichen Denkweise; sie waren daher die Vorboten einer neuen positiven Reli¬<lb/> gion. — Es ist auch zuzugeben, daß, wenn irgend wo, dem praktischen Römer-<lb/> volke Staat und Kirche Eins und dasselbe, daß ihnen politisches und religiöses<lb/> Bewußtsein auf das engste verbunden war. Aber um so gewisser war deshalb<lb/> im politischen Despotismus zugleich der kirchliche enthalten; sie waren Eins und<lb/> einig. Und will etwa Recensent im Ernste behaupten, daß auch der politische<lb/> Freiheitsdrang den Zwingherrn nicht praktisch und nicht fürchtenswerth erschienen?<lb/> Das wäre doch ein wenig lächerlich.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0169]
Worte beizufügen. Kein Wunder zwar, daß sich ein Dunkelmann, wie der Re¬
censent, an der ewigen Wahrheit der Geschichte ärgert, — sind doch in Nußland
die Geschichtswerke deS Tacitus verboten. Aber die offenbare und blinde Bös-
Willigkeit jenes halb kleinmeistcrisch kritisirenden, halb denuncircnden Geschreibes,
womit man das Buch vor Laien und Gelehrten zu vernichten sich abmüht, ist
vielleicht uur in unsern Tagen eine Möglichkeit. Der Recensent scheint gar nicht
zu ahnen, daß er mit seinem vermeintlichen Haupttadel: das Buch sei geschrieben,
um zwischen den Zeilen gelesen zu werden, vor der vernünftigen Welt nur das
bewirkt, daß mau auch ihn sammt Seinesgleichen und was sie im Schilde führen,
recht gut aus seinen eigenen Zeilen herausliest? Aber dennoch erachten wir uns
verpflichtet, um der ganz Umgekehrten willen und in Rücksicht auf unsere Zeit, wo
die Schreier so oft der großen Masse imponiren, einige jener Ausstellungen zur
Probe zu geben. Noch ein anderer Grund bewegt uns dazu. Es ist dem Re¬
censenten lwie es uns scheint) etwa ein oder zweimal gelungen, in gewissen Ein¬
zelnheiten dem Verfasser einen Fehler nachzuweisen; womit er denn nach seiner
Art sich des vollen Rechts rühmt, das Ganze als unwissenschaftlich zu verdammen.
„Ans unerhört großartige Weise sei die römische Geschichte
dnrch den Verfasser gefälscht" — dies aber vorzüglich darum, weil das
religiöse Bewußtsein bei den Alten von dem nationalen gar nicht verschieden ge¬
wesen. Deshalb sei anch kein Glaubenszwang möglich gewesen. Die philosophi¬
schen Lehren des Alterthums seien nichts weniger als eine neue Religion gewesen.
Uebrigens hätten die Machthaber nur das Praktische zu fürchten. — Wie sophi¬
stisch! — Findet sich denn im Alterthum eine rein nationale Religion? Nein!
der Polytheismus ist das Gemeinsame. National war die Religion bei den ver¬
schiedenen Völkern wohl auch, wie es ja überhaupt nie anders sein kann, und
wie auch die christliche Kirche im Mittelalter es war, wo man eine deutsche, fran¬
zösische und englische Kirche mit Recht unterscheidet. Die philosophischen Lehren
waren allerdings keine neue Religion, als welche immer nur allmälig aus dem
Leben entstehen kann, von dem sie geschichtlich offenbart wird. So entstand früher
der Polytheismus, so keimte damals das Christenthum auf. Jeue Philosophien
hingegen konnten ihrer Natur nach nicht anders als negativ sein. Aber zugleich
waren sie vorbereitend und bedeuteten eine gänzliche Umwälzung der gesammten
menschlichen Denkweise; sie waren daher die Vorboten einer neuen positiven Reli¬
gion. — Es ist auch zuzugeben, daß, wenn irgend wo, dem praktischen Römer-
volke Staat und Kirche Eins und dasselbe, daß ihnen politisches und religiöses
Bewußtsein auf das engste verbunden war. Aber um so gewisser war deshalb
im politischen Despotismus zugleich der kirchliche enthalten; sie waren Eins und
einig. Und will etwa Recensent im Ernste behaupten, daß auch der politische
Freiheitsdrang den Zwingherrn nicht praktisch und nicht fürchtenswerth erschienen?
Das wäre doch ein wenig lächerlich.
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