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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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rüstung gegen Polen herrscht, es ist ganz Westpreußen, das sich durch die slavi¬
schen Tendenzen beeinträchtigt glaubt.

Ich will den Polen ihre eigenthümliche Stellung nicht zur Last legen, ich
will von den einzelnen Excessen nicht reden, die in einer Zeit so ungeheurer Auf¬
regung kaum zu vermeiden sind; aber ich will die Unwahrheit rügen, mit welcher
das polnische Comite in derselben Zeit, wo es öffentlich von Freundschaftsversiche¬
rungen gegen Deutschland überströmte, den religiösen Fanatismus der blinden
Masse gegen eine vermeintliche antikatholische Reaction hervorrief und zur Lüge
griff, um das Volk zu seinen Zwecken auszubeuten.

Sehr spät, auf Andringen der Deutschen, faßte die Regierung den Entschluß,
mit welchem sie hätte anfangen sollen. Sie erklärte, die deutschen Kreise der
Provinz der polnischen Reorganisation entziehn und den Provinzen Preußen und
Schlesien einverleiben zu wollen. Desto eifriger solle an der Umgestaltung der
übrigen Provinz gearbeitet werden.

In diesem Augenblick ist ein solcher Entschluß nicht mehr geeignet, eine von
beiden Parteien zu befriedigen. Die Polen betrachten diese Trennung als einen
Raub, als einen Wortbruch der Regierung. In dem letzten haben sie so ganz
Unrecht uicht, denn nach den ersten Erklärungen des General v. Willisen hatte
es wenigstens den Anschein, als solle die Provinz zusammenbleiben. Die rechtli¬
che" Gründe aber, die sie gegen die Trennung vorbringen, sind mehr als sonder¬
bar. Sie erklären, jene Kreise seien deutsch gewesen schon zur Zeit des polnischen
Reichs; sie betrachten diese Deutschen als ihre legitimen Unterthanen. Alle sonstigen
Ereignisse der Geschichte gelten als Rechtsquelle, mit alleinigem Ausschluß der
Zeit von 1772 an. Ein Argument, mit dein sich nur unsere sentimentalen Phan¬
tasten der Politik einverstanden erklären werden. Wenn wir auf diese Weise
argumentireu wollen, so sind die Polen des Großherzogthums unsere legitimen
Unterthanen. Hätte man dagegen mit jenem Schritt angefangen, und wäre dann
ernstlich an eine adniinistrative Umgestaltung des polnischen Theils gegangen, so
wäre eine Wohlthat gewesen, was jetzt als Beeinträchtigung erscheint.

Aber auch die Deutschen sind mit dieser Wendung nicht mehr zufrieden.
fühlen sich jetzt in ihrer Kraft, sie flehte" sich als Brüder. Sie wolle" mich die
Deutschen in den eigentlich polnischen Kreisen --- namentlich aber in der Haupt¬
stadt -- nicht mehr in die Hände der Polen geben. Sie verlangen eine Einde
rufnng der Urversammlungen in jedem Kreise und eine Befragung derselben, ob
sie deutsch bleiben, ob sie polnisch werden wollen; und sie sind überzeugt, daß
die Juden und der größere Theil der polnischen Bauern sich für die preußische
Regierung gegen das polnische Adelsreich erklären werden.

Es kommt noch ein mächtiger Umstand hinzu, der für ihre Ansicht spricht.
Die Festung Posen ist von der Regierung mit schweren Kosten als Greuzveste
gegen den Osten errichtet. Soll Preußen diese ohne Weiteres aufgeben? Es


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rüstung gegen Polen herrscht, es ist ganz Westpreußen, das sich durch die slavi¬
schen Tendenzen beeinträchtigt glaubt.

Ich will den Polen ihre eigenthümliche Stellung nicht zur Last legen, ich
will von den einzelnen Excessen nicht reden, die in einer Zeit so ungeheurer Auf¬
regung kaum zu vermeiden sind; aber ich will die Unwahrheit rügen, mit welcher
das polnische Comite in derselben Zeit, wo es öffentlich von Freundschaftsversiche¬
rungen gegen Deutschland überströmte, den religiösen Fanatismus der blinden
Masse gegen eine vermeintliche antikatholische Reaction hervorrief und zur Lüge
griff, um das Volk zu seinen Zwecken auszubeuten.

Sehr spät, auf Andringen der Deutschen, faßte die Regierung den Entschluß,
mit welchem sie hätte anfangen sollen. Sie erklärte, die deutschen Kreise der
Provinz der polnischen Reorganisation entziehn und den Provinzen Preußen und
Schlesien einverleiben zu wollen. Desto eifriger solle an der Umgestaltung der
übrigen Provinz gearbeitet werden.

In diesem Augenblick ist ein solcher Entschluß nicht mehr geeignet, eine von
beiden Parteien zu befriedigen. Die Polen betrachten diese Trennung als einen
Raub, als einen Wortbruch der Regierung. In dem letzten haben sie so ganz
Unrecht uicht, denn nach den ersten Erklärungen des General v. Willisen hatte
es wenigstens den Anschein, als solle die Provinz zusammenbleiben. Die rechtli¬
che» Gründe aber, die sie gegen die Trennung vorbringen, sind mehr als sonder¬
bar. Sie erklären, jene Kreise seien deutsch gewesen schon zur Zeit des polnischen
Reichs; sie betrachten diese Deutschen als ihre legitimen Unterthanen. Alle sonstigen
Ereignisse der Geschichte gelten als Rechtsquelle, mit alleinigem Ausschluß der
Zeit von 1772 an. Ein Argument, mit dein sich nur unsere sentimentalen Phan¬
tasten der Politik einverstanden erklären werden. Wenn wir auf diese Weise
argumentireu wollen, so sind die Polen des Großherzogthums unsere legitimen
Unterthanen. Hätte man dagegen mit jenem Schritt angefangen, und wäre dann
ernstlich an eine adniinistrative Umgestaltung des polnischen Theils gegangen, so
wäre eine Wohlthat gewesen, was jetzt als Beeinträchtigung erscheint.

Aber auch die Deutschen sind mit dieser Wendung nicht mehr zufrieden.
fühlen sich jetzt in ihrer Kraft, sie flehte» sich als Brüder. Sie wolle» mich die
Deutschen in den eigentlich polnischen Kreisen —- namentlich aber in der Haupt¬
stadt — nicht mehr in die Hände der Polen geben. Sie verlangen eine Einde
rufnng der Urversammlungen in jedem Kreise und eine Befragung derselben, ob
sie deutsch bleiben, ob sie polnisch werden wollen; und sie sind überzeugt, daß
die Juden und der größere Theil der polnischen Bauern sich für die preußische
Regierung gegen das polnische Adelsreich erklären werden.

Es kommt noch ein mächtiger Umstand hinzu, der für ihre Ansicht spricht.
Die Festung Posen ist von der Regierung mit schweren Kosten als Greuzveste
gegen den Osten errichtet. Soll Preußen diese ohne Weiteres aufgeben? Es


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[0161] rüstung gegen Polen herrscht, es ist ganz Westpreußen, das sich durch die slavi¬ schen Tendenzen beeinträchtigt glaubt. Ich will den Polen ihre eigenthümliche Stellung nicht zur Last legen, ich will von den einzelnen Excessen nicht reden, die in einer Zeit so ungeheurer Auf¬ regung kaum zu vermeiden sind; aber ich will die Unwahrheit rügen, mit welcher das polnische Comite in derselben Zeit, wo es öffentlich von Freundschaftsversiche¬ rungen gegen Deutschland überströmte, den religiösen Fanatismus der blinden Masse gegen eine vermeintliche antikatholische Reaction hervorrief und zur Lüge griff, um das Volk zu seinen Zwecken auszubeuten. Sehr spät, auf Andringen der Deutschen, faßte die Regierung den Entschluß, mit welchem sie hätte anfangen sollen. Sie erklärte, die deutschen Kreise der Provinz der polnischen Reorganisation entziehn und den Provinzen Preußen und Schlesien einverleiben zu wollen. Desto eifriger solle an der Umgestaltung der übrigen Provinz gearbeitet werden. In diesem Augenblick ist ein solcher Entschluß nicht mehr geeignet, eine von beiden Parteien zu befriedigen. Die Polen betrachten diese Trennung als einen Raub, als einen Wortbruch der Regierung. In dem letzten haben sie so ganz Unrecht uicht, denn nach den ersten Erklärungen des General v. Willisen hatte es wenigstens den Anschein, als solle die Provinz zusammenbleiben. Die rechtli¬ che» Gründe aber, die sie gegen die Trennung vorbringen, sind mehr als sonder¬ bar. Sie erklären, jene Kreise seien deutsch gewesen schon zur Zeit des polnischen Reichs; sie betrachten diese Deutschen als ihre legitimen Unterthanen. Alle sonstigen Ereignisse der Geschichte gelten als Rechtsquelle, mit alleinigem Ausschluß der Zeit von 1772 an. Ein Argument, mit dein sich nur unsere sentimentalen Phan¬ tasten der Politik einverstanden erklären werden. Wenn wir auf diese Weise argumentireu wollen, so sind die Polen des Großherzogthums unsere legitimen Unterthanen. Hätte man dagegen mit jenem Schritt angefangen, und wäre dann ernstlich an eine adniinistrative Umgestaltung des polnischen Theils gegangen, so wäre eine Wohlthat gewesen, was jetzt als Beeinträchtigung erscheint. Aber auch die Deutschen sind mit dieser Wendung nicht mehr zufrieden. fühlen sich jetzt in ihrer Kraft, sie flehte» sich als Brüder. Sie wolle» mich die Deutschen in den eigentlich polnischen Kreisen —- namentlich aber in der Haupt¬ stadt — nicht mehr in die Hände der Polen geben. Sie verlangen eine Einde rufnng der Urversammlungen in jedem Kreise und eine Befragung derselben, ob sie deutsch bleiben, ob sie polnisch werden wollen; und sie sind überzeugt, daß die Juden und der größere Theil der polnischen Bauern sich für die preußische Regierung gegen das polnische Adelsreich erklären werden. Es kommt noch ein mächtiger Umstand hinzu, der für ihre Ansicht spricht. Die Festung Posen ist von der Regierung mit schweren Kosten als Greuzveste gegen den Osten errichtet. Soll Preußen diese ohne Weiteres aufgeben? Es 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/161>, abgerufen am 26.06.2024.