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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Äus Paris.

Das neue Frankreich und die alten Parteien. -- Die vier Evangelisten des alten System". Girardin,
Thier". Opilio" Barrot. Berlin.

Im Gewimmel der sich überstürzenden Ereignisse thut es von Zeit zu Zeit Noth,
irgend einen abseitigen Standpunkt zu gewinnen, um einige Minuten Athem zu holen
und die Seelenkräfte zu neuem Gebrauch zu stärken. Einen solchen Standpunkt bietet
uns am besten die Hochwartc ungetrübter Betrachtung. Werfe" wir nun zunächst eine"
Blick auf die streitenden Mächte, welche in der jüngsten Zeit die menschliche Gesellschaft
bis auf den tiefsten Boden aufgerüttelt zu haben scheinen, so stellt sich die periodische
Presse als die wcitgreiftndste dieser Mächte heraus. Es dürfte daher nicht ganz un-
dienlich sein, einige sich ausdringende Bemerkungen über die neueste Haltung derjenigen
französischen Blätter zu machen, die unter der vorigen Regierung die auserwählten
Rüstzeuge der verschiedenen Parteien waren, und es der neuen Ordnung nicht ganz ver¬
zeihen können, sie um ihre Bedeutung gebracht zu haben. Wir meinen die Presse,
den Constitntionel, das Siecle und die Debats.

Die Presse war bis vor wenigen Tagen die denkwürdige Wahlstatt, wo Emil
Girardin seine ruhmvollen Windmühlenschlachten (?) lieferte, in denen Dinte in Strömen
floß, und unvergängliche Lorbeeren erbeutet wurden, um die ihn die noch zahlreiche
Nachkommenschaft des glorreichen Geschlechtes derer von La Mancha unzweifelhaft beneidet.
Aber die Pariser Republikaner verstehen verdammt wenig Spaß (sie!) und haben sein
kriegerisches Feuer durch das Sturzbad einer etwas bedenklichen Kundgebung abgekühlt:
sie machten nämlich Miene, ihm einen unerbetenen Staatsbesuch abzustatten und den
bleiernen Inhalt seiner Setzkasten in alle die 32 Winde des Kompasses hinauszuschicken,
mit denen Herr Girardin zu verschiedenen Zudem schon gesegelt hat. So sehr wir
nun auch einer Rechtspflege abgeneigt sind, wo die Gewalt in erster und letzter Instanz
entscheidet, so wenig können wir es den ängstlichen Teilnehmern jener Expedition ver¬
denken, daß sie in einem Zeitpunkte, wo, um mich so auszudrücken, alle Poren der
Gesellschaft durch die vorausgegangene Fieberhitze einer Revolution jedem schädlichen
Luftzüge geöffnet sind, wo allen wühlenden Umtrieben der steteste Spielraum gegeben
ist, ängstlich darüber wachen, daß das Ansehen der Regierung nicht geschwächt werde.
Denn die Franzosen -- was für unhaltbares Zeug auch über ihre Fähigkeit oder Un¬
fähigkeit, ihr Hauswesen zu bestellen, mancher deutsche Weisheitsschmied bei seinem
Lampenlicht mühsam zusammenschweißen mag -- die Franzosen fühlen, daß die Negie¬
rung jetzt in den Koth herabziehen, wie es Girardin that, die in diesem Momente so
nöthige Ruhe und die Wirksamkeit der Negicrungsmaßnahmen gefährden heiße, ohne doch
die Wohlthaten eines Oppositionsblattcs zu bieten. Denn die Opposition Girardins
hat nichts mit dem wohlthätigen Lichtstrom gemein, der durch das Medium einer freien
Presse das Staatsgebäude von allen Seiten durchdringt und die Lenker gleichsam als


Äus Paris.

Das neue Frankreich und die alten Parteien. — Die vier Evangelisten des alten System». Girardin,
Thier«. Opilio» Barrot. Berlin.

Im Gewimmel der sich überstürzenden Ereignisse thut es von Zeit zu Zeit Noth,
irgend einen abseitigen Standpunkt zu gewinnen, um einige Minuten Athem zu holen
und die Seelenkräfte zu neuem Gebrauch zu stärken. Einen solchen Standpunkt bietet
uns am besten die Hochwartc ungetrübter Betrachtung. Werfe» wir nun zunächst eine»
Blick auf die streitenden Mächte, welche in der jüngsten Zeit die menschliche Gesellschaft
bis auf den tiefsten Boden aufgerüttelt zu haben scheinen, so stellt sich die periodische
Presse als die wcitgreiftndste dieser Mächte heraus. Es dürfte daher nicht ganz un-
dienlich sein, einige sich ausdringende Bemerkungen über die neueste Haltung derjenigen
französischen Blätter zu machen, die unter der vorigen Regierung die auserwählten
Rüstzeuge der verschiedenen Parteien waren, und es der neuen Ordnung nicht ganz ver¬
zeihen können, sie um ihre Bedeutung gebracht zu haben. Wir meinen die Presse,
den Constitntionel, das Siecle und die Debats.

Die Presse war bis vor wenigen Tagen die denkwürdige Wahlstatt, wo Emil
Girardin seine ruhmvollen Windmühlenschlachten (?) lieferte, in denen Dinte in Strömen
floß, und unvergängliche Lorbeeren erbeutet wurden, um die ihn die noch zahlreiche
Nachkommenschaft des glorreichen Geschlechtes derer von La Mancha unzweifelhaft beneidet.
Aber die Pariser Republikaner verstehen verdammt wenig Spaß (sie!) und haben sein
kriegerisches Feuer durch das Sturzbad einer etwas bedenklichen Kundgebung abgekühlt:
sie machten nämlich Miene, ihm einen unerbetenen Staatsbesuch abzustatten und den
bleiernen Inhalt seiner Setzkasten in alle die 32 Winde des Kompasses hinauszuschicken,
mit denen Herr Girardin zu verschiedenen Zudem schon gesegelt hat. So sehr wir
nun auch einer Rechtspflege abgeneigt sind, wo die Gewalt in erster und letzter Instanz
entscheidet, so wenig können wir es den ängstlichen Teilnehmern jener Expedition ver¬
denken, daß sie in einem Zeitpunkte, wo, um mich so auszudrücken, alle Poren der
Gesellschaft durch die vorausgegangene Fieberhitze einer Revolution jedem schädlichen
Luftzüge geöffnet sind, wo allen wühlenden Umtrieben der steteste Spielraum gegeben
ist, ängstlich darüber wachen, daß das Ansehen der Regierung nicht geschwächt werde.
Denn die Franzosen — was für unhaltbares Zeug auch über ihre Fähigkeit oder Un¬
fähigkeit, ihr Hauswesen zu bestellen, mancher deutsche Weisheitsschmied bei seinem
Lampenlicht mühsam zusammenschweißen mag — die Franzosen fühlen, daß die Negie¬
rung jetzt in den Koth herabziehen, wie es Girardin that, die in diesem Momente so
nöthige Ruhe und die Wirksamkeit der Negicrungsmaßnahmen gefährden heiße, ohne doch
die Wohlthaten eines Oppositionsblattcs zu bieten. Denn die Opposition Girardins
hat nichts mit dem wohlthätigen Lichtstrom gemein, der durch das Medium einer freien
Presse das Staatsgebäude von allen Seiten durchdringt und die Lenker gleichsam als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/150>, abgerufen am 29.06.2024.