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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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nach den Barrikadentagen in Berlin der seltsame Aufzug des Königs von Preußen
erfolgte, erhob sich durch ganz Deutschland ein wüthendes Geschrei, als ob Deutsch¬
land in Gefahr stände, von der preußischen Bureaukratie und dem märkischen Jun-
kerthum geknechtet zu werden, wie es das preußische Volk bisher gewesen. Preußen
wurde mit seinem Königthum identificirt, und die Abneigung gegen die Person
Friedrich Wilhelm's äußerte sich ziemlich unzweideutig als Abneigung gegen Preußen
überhaupt.

Unter diesen Umständen trat das Frankfurter "Vorparlament" zusammen,
um über die Form der neuen Verfassung zu Herathen. Den Stamm desselben
bildeten die parlamentarischen Notabilitäten der kleinen konstitutionellen Staaten;
es waren zwar noch Schriftsteller n. tgi. dazugekommen, aber diese mußten je¬
denfalls zurücktreten. Aus den bereits angeführten Gründen konnte von einer
eigentlichen Vertretung Oestreichs und Preußens in dieser Versammlung nicht
die Rede sein; es waren zwar ziemlich viele Preußen darin, aber lauter Männer,
die entweder völlig indifferent waren oder einen entschiedenen Gegensatz gegen
das bisher in Preußen herrschende Ständewesen bildeten; Männer, von denen
man eine viel größere Opposition gegen das Preußenthum erwarten mußte, als
von den Süddeutschen selbst. Denn an einen Patriotismus, wie den östreichscheu,
der selbst die Verbannten dieses Landes erfüllt, war in Preußen nicht zu denke",
das in tausend unmittelbare Verzweigungen mit dem übrigen Deutschland ver¬
flochten ist; das zwar oft genug die Idee der Hegemonie des übrigen Deutschland,
aber nie die Möglichkeit einer selbstständigen, von dem übrigen Deutschland ge¬
trennten Existenz in's Auge gefaßt hat.

Wenn man also die Stimmung in Preußen nur nach den im Frankfurter
Vorparlament versammelten Männern beurtheilt hätte, so würde Preußen gar
keinen Widerstand geleistet haben, wenn die Versammlung gradezu den preußischen
Staat aufgehoben und eine allgemeine deutsche Republik oder Gott weiß was sonst
decretirt hätte. So einfach ist die Sache aber keineswegs. Auch Preußen hat
eine Geschichte, geschichtliche Erinnerungen und trotz seiner absolute" Regierungs-
form ein sehr ausgebildetes Staatsleben gehabt, in welchem eine große Anzahl
bedeutender Kräfte mit dem ganzen Umfang ihrer Hoffnungen Und Bestrebungen
betheiligt waren.

Hätte also das Frankfurter Vorparlament, wie es die Radicalen beabsichtig¬
ten, unmittelbar die Gewalt einer souveräne" Versammlung usurpirt, so hätte
nicht allein Oestreich, sondern auch Preußen den entschiedensten Protest dagegen
eingelegt.

Die gemäßigte Partei hat den Sieg davongetragen; sie hat sich darauf be¬
schränkt, die Formen der neu zu bildenden constituirenden Versammlung festzu¬
stellen; der Bundestag, aus den Gesandten der neuen liberalen Regierungen zu¬
sammengesetzt, hat diese Bestimmungen legalistrt, sie entsprechen im Wesentlichen


nach den Barrikadentagen in Berlin der seltsame Aufzug des Königs von Preußen
erfolgte, erhob sich durch ganz Deutschland ein wüthendes Geschrei, als ob Deutsch¬
land in Gefahr stände, von der preußischen Bureaukratie und dem märkischen Jun-
kerthum geknechtet zu werden, wie es das preußische Volk bisher gewesen. Preußen
wurde mit seinem Königthum identificirt, und die Abneigung gegen die Person
Friedrich Wilhelm's äußerte sich ziemlich unzweideutig als Abneigung gegen Preußen
überhaupt.

Unter diesen Umständen trat das Frankfurter „Vorparlament" zusammen,
um über die Form der neuen Verfassung zu Herathen. Den Stamm desselben
bildeten die parlamentarischen Notabilitäten der kleinen konstitutionellen Staaten;
es waren zwar noch Schriftsteller n. tgi. dazugekommen, aber diese mußten je¬
denfalls zurücktreten. Aus den bereits angeführten Gründen konnte von einer
eigentlichen Vertretung Oestreichs und Preußens in dieser Versammlung nicht
die Rede sein; es waren zwar ziemlich viele Preußen darin, aber lauter Männer,
die entweder völlig indifferent waren oder einen entschiedenen Gegensatz gegen
das bisher in Preußen herrschende Ständewesen bildeten; Männer, von denen
man eine viel größere Opposition gegen das Preußenthum erwarten mußte, als
von den Süddeutschen selbst. Denn an einen Patriotismus, wie den östreichscheu,
der selbst die Verbannten dieses Landes erfüllt, war in Preußen nicht zu denke»,
das in tausend unmittelbare Verzweigungen mit dem übrigen Deutschland ver¬
flochten ist; das zwar oft genug die Idee der Hegemonie des übrigen Deutschland,
aber nie die Möglichkeit einer selbstständigen, von dem übrigen Deutschland ge¬
trennten Existenz in's Auge gefaßt hat.

Wenn man also die Stimmung in Preußen nur nach den im Frankfurter
Vorparlament versammelten Männern beurtheilt hätte, so würde Preußen gar
keinen Widerstand geleistet haben, wenn die Versammlung gradezu den preußischen
Staat aufgehoben und eine allgemeine deutsche Republik oder Gott weiß was sonst
decretirt hätte. So einfach ist die Sache aber keineswegs. Auch Preußen hat
eine Geschichte, geschichtliche Erinnerungen und trotz seiner absolute» Regierungs-
form ein sehr ausgebildetes Staatsleben gehabt, in welchem eine große Anzahl
bedeutender Kräfte mit dem ganzen Umfang ihrer Hoffnungen Und Bestrebungen
betheiligt waren.

Hätte also das Frankfurter Vorparlament, wie es die Radicalen beabsichtig¬
ten, unmittelbar die Gewalt einer souveräne» Versammlung usurpirt, so hätte
nicht allein Oestreich, sondern auch Preußen den entschiedensten Protest dagegen
eingelegt.

Die gemäßigte Partei hat den Sieg davongetragen; sie hat sich darauf be¬
schränkt, die Formen der neu zu bildenden constituirenden Versammlung festzu¬
stellen; der Bundestag, aus den Gesandten der neuen liberalen Regierungen zu¬
sammengesetzt, hat diese Bestimmungen legalistrt, sie entsprechen im Wesentlichen


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[0140] nach den Barrikadentagen in Berlin der seltsame Aufzug des Königs von Preußen erfolgte, erhob sich durch ganz Deutschland ein wüthendes Geschrei, als ob Deutsch¬ land in Gefahr stände, von der preußischen Bureaukratie und dem märkischen Jun- kerthum geknechtet zu werden, wie es das preußische Volk bisher gewesen. Preußen wurde mit seinem Königthum identificirt, und die Abneigung gegen die Person Friedrich Wilhelm's äußerte sich ziemlich unzweideutig als Abneigung gegen Preußen überhaupt. Unter diesen Umständen trat das Frankfurter „Vorparlament" zusammen, um über die Form der neuen Verfassung zu Herathen. Den Stamm desselben bildeten die parlamentarischen Notabilitäten der kleinen konstitutionellen Staaten; es waren zwar noch Schriftsteller n. tgi. dazugekommen, aber diese mußten je¬ denfalls zurücktreten. Aus den bereits angeführten Gründen konnte von einer eigentlichen Vertretung Oestreichs und Preußens in dieser Versammlung nicht die Rede sein; es waren zwar ziemlich viele Preußen darin, aber lauter Männer, die entweder völlig indifferent waren oder einen entschiedenen Gegensatz gegen das bisher in Preußen herrschende Ständewesen bildeten; Männer, von denen man eine viel größere Opposition gegen das Preußenthum erwarten mußte, als von den Süddeutschen selbst. Denn an einen Patriotismus, wie den östreichscheu, der selbst die Verbannten dieses Landes erfüllt, war in Preußen nicht zu denke», das in tausend unmittelbare Verzweigungen mit dem übrigen Deutschland ver¬ flochten ist; das zwar oft genug die Idee der Hegemonie des übrigen Deutschland, aber nie die Möglichkeit einer selbstständigen, von dem übrigen Deutschland ge¬ trennten Existenz in's Auge gefaßt hat. Wenn man also die Stimmung in Preußen nur nach den im Frankfurter Vorparlament versammelten Männern beurtheilt hätte, so würde Preußen gar keinen Widerstand geleistet haben, wenn die Versammlung gradezu den preußischen Staat aufgehoben und eine allgemeine deutsche Republik oder Gott weiß was sonst decretirt hätte. So einfach ist die Sache aber keineswegs. Auch Preußen hat eine Geschichte, geschichtliche Erinnerungen und trotz seiner absolute» Regierungs- form ein sehr ausgebildetes Staatsleben gehabt, in welchem eine große Anzahl bedeutender Kräfte mit dem ganzen Umfang ihrer Hoffnungen Und Bestrebungen betheiligt waren. Hätte also das Frankfurter Vorparlament, wie es die Radicalen beabsichtig¬ ten, unmittelbar die Gewalt einer souveräne» Versammlung usurpirt, so hätte nicht allein Oestreich, sondern auch Preußen den entschiedensten Protest dagegen eingelegt. Die gemäßigte Partei hat den Sieg davongetragen; sie hat sich darauf be¬ schränkt, die Formen der neu zu bildenden constituirenden Versammlung festzu¬ stellen; der Bundestag, aus den Gesandten der neuen liberalen Regierungen zu¬ sammengesetzt, hat diese Bestimmungen legalistrt, sie entsprechen im Wesentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/140>, abgerufen am 28.09.2024.