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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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narchie und Cultus im Bunde gegen die Glaubensfreiheit dargestellt.
Man sieht, wie der heidnisch religiöse Glaube bei dem Volke unterhöhlt ist, seit¬
dem Euhemeros jenes allgemein faßliche religionfeindliche Buch geschrieben; und
wie doch selbst der Priesterstand, als der Zahl der Gebildeten angehörig, ungläu¬
big und heuchlerisch seine Funktionen fortgesetzt, weil man die Volksreligion als
Zaum und Zügel des Volks und Pöbels betrachtet. Ferner wie das tiefere reli¬
giöse Bedürfniß sich im Mysticismus und Aberglauben verloren. Weiter, wie die
Monarchie, wohl erkennend, daß Neuerungen in der Religion neue Sit¬
ten, Verschwörungen, Zusammenrottungen und Clubs mit sich
führen, Dinge, die am wenigsten mit einer Alleinherrschaft ver¬
träglich, die Aufrechthaltung der alten Religion sich besonders hat angelegen
sein lassen, daher der Einführung fremder Culte sich entschieden widersetzt (Ver¬
folgung der jüdischen und christlichen Religion). Dies haben namentlich die Kaiser
aus dem Mischen Geschlechte gethan, von denen keiner aus innerster Ueberzeugung
orthodox war. Dagegen begünstigten sie die damalige Richtung der platonischen
Schule, welche eine mystische Philosophie der Offenbarung des Heidenthums er¬
strebte. ("Doch nur, weil sie das Wesen vom Schein nicht zu unterscheiden ver¬
standen. Denn auch die Philosophie der Offenbarung ist niemals ein Katechis¬
mus der bestehenden Religion," sagt der Verfasser S. 173.) -- Cap. VII.: Die
Philosophie im Widerstreit mit dem Absolutismus und der Staats¬
religion enthält eine Darlegung aller alten philosophischen Secten in ihrem
Verhältnisse zur damaligen Zeitstimmung und auf römischem Boden. Philosophi¬
scher Bildung, wird dargethan, sei die ganze Masse der Gebildeten theilhaftig
gewesen, obschon die Meisten keiner bestimmten Secte angehangen, sondern im
Eklekticismus sich befriedigt. Das Uebergewicht habe jedoch das Praktische
der stoischen Lehre behauptet mit ihrem herrlichen Kernprinzip: daß nur der
Sittliche frei sei. Uebereingekommen sei aber jede philosophische Ueberzeugung
in der Opposition gegen den Absolutismus und die Orthodoxie. Das Ge¬
meinsame ist nun in politischer Beziehung: 1) Verneinung des Ab¬
solutismus, 2) die Ansicht von der nothwendigen harmonischen Verbindung demo¬
kratischer, aristokratischer und monarchischer Elemente (über Art und Maß aller¬
dings verschiedener Meinungen, da Einige Fürst, Senat und Volksversammlung,
Andere das Volk durch den Senat repräsentirt gewollt. Dagegen wird die
reine Demokratie von keiner Schule mehr verfochten). In reli¬
giöser Beziehung ist das Gemeinsame: eine vernunftgemäße, natürliche Theologie,
worin jedoch die skeptischen Elemente vorherrschend (dabei wird der schon in den
Zeiten der Republik allgemein verbreiteten Ansicht gedacht, daß es dreierlei Art
von Religion gebe. Varro: drin Amer", tlievIvAiile: mvtllicou, puo niuximv
utlmwi- poetne; pnvsicoo, ^no nkilosoplu (tneolo^la" verg,); civile, qiio
nopuli. pria" tneoloZia maximo aceomockatk est "et tneatrum; seeuncka ita


narchie und Cultus im Bunde gegen die Glaubensfreiheit dargestellt.
Man sieht, wie der heidnisch religiöse Glaube bei dem Volke unterhöhlt ist, seit¬
dem Euhemeros jenes allgemein faßliche religionfeindliche Buch geschrieben; und
wie doch selbst der Priesterstand, als der Zahl der Gebildeten angehörig, ungläu¬
big und heuchlerisch seine Funktionen fortgesetzt, weil man die Volksreligion als
Zaum und Zügel des Volks und Pöbels betrachtet. Ferner wie das tiefere reli¬
giöse Bedürfniß sich im Mysticismus und Aberglauben verloren. Weiter, wie die
Monarchie, wohl erkennend, daß Neuerungen in der Religion neue Sit¬
ten, Verschwörungen, Zusammenrottungen und Clubs mit sich
führen, Dinge, die am wenigsten mit einer Alleinherrschaft ver¬
träglich, die Aufrechthaltung der alten Religion sich besonders hat angelegen
sein lassen, daher der Einführung fremder Culte sich entschieden widersetzt (Ver¬
folgung der jüdischen und christlichen Religion). Dies haben namentlich die Kaiser
aus dem Mischen Geschlechte gethan, von denen keiner aus innerster Ueberzeugung
orthodox war. Dagegen begünstigten sie die damalige Richtung der platonischen
Schule, welche eine mystische Philosophie der Offenbarung des Heidenthums er¬
strebte. („Doch nur, weil sie das Wesen vom Schein nicht zu unterscheiden ver¬
standen. Denn auch die Philosophie der Offenbarung ist niemals ein Katechis¬
mus der bestehenden Religion," sagt der Verfasser S. 173.) — Cap. VII.: Die
Philosophie im Widerstreit mit dem Absolutismus und der Staats¬
religion enthält eine Darlegung aller alten philosophischen Secten in ihrem
Verhältnisse zur damaligen Zeitstimmung und auf römischem Boden. Philosophi¬
scher Bildung, wird dargethan, sei die ganze Masse der Gebildeten theilhaftig
gewesen, obschon die Meisten keiner bestimmten Secte angehangen, sondern im
Eklekticismus sich befriedigt. Das Uebergewicht habe jedoch das Praktische
der stoischen Lehre behauptet mit ihrem herrlichen Kernprinzip: daß nur der
Sittliche frei sei. Uebereingekommen sei aber jede philosophische Ueberzeugung
in der Opposition gegen den Absolutismus und die Orthodoxie. Das Ge¬
meinsame ist nun in politischer Beziehung: 1) Verneinung des Ab¬
solutismus, 2) die Ansicht von der nothwendigen harmonischen Verbindung demo¬
kratischer, aristokratischer und monarchischer Elemente (über Art und Maß aller¬
dings verschiedener Meinungen, da Einige Fürst, Senat und Volksversammlung,
Andere das Volk durch den Senat repräsentirt gewollt. Dagegen wird die
reine Demokratie von keiner Schule mehr verfochten). In reli¬
giöser Beziehung ist das Gemeinsame: eine vernunftgemäße, natürliche Theologie,
worin jedoch die skeptischen Elemente vorherrschend (dabei wird der schon in den
Zeiten der Republik allgemein verbreiteten Ansicht gedacht, daß es dreierlei Art
von Religion gebe. Varro: drin Amer», tlievIvAiile: mvtllicou, puo niuximv
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/130>, abgerufen am 29.06.2024.