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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Se. Petri, welchen wir bisher zum größten Schaden des Volkes und zum
Nutzen des absolutistischen Verdummungssystems im östreichischen Staate geduldet
haben, kann nnn aufgehoben werden; denn die Priester, welche noch ihren Herrn
in Rom suchen, müßte das Volk als Feinde des Vaterlandes betrachten. Eine
katholische Episkopalkirche, welche keine neue Hierarchie im Staate bildete, sondern
aus der freien Wahl der Gemeinden hervorginge und in welcher die Priester vom
Staate besoldet werden, Säcularisation der Klöster, welche bisher das beste Mark
des Landes ausgesaugt, und Umwandlung der bisherigen geisttödtenden Semina¬
rien in wahre Bildungsanstalten für die Seelsorger des Volkes -- eine derartige
totale Reform des Clerikalwesens in Oestreich würde in diesem Augenblicke die
segensreichste Wirkung hervorbringen. Wir würden dadurch dem die besten geisti¬
gen und politischen Kräfte verzehrenden Dissenter- und Sektenwesen entgehen,
welches bis jetzt im übrigen Deutschland geherrscht hat und durch die Glaubenö-
und Gewissensfreiheit, diesem untastbaren Rechte jedes freien Staatsbürgers, auch
in Oestreich bei dem jetzigen Zustande der Staatskirche entstehen müßte.--

Wir waren im Vorhergehenden bemüht zu zeigen, was das jetzige Ministerium
in Oestreich bisher geleistet hat. Wie viel noch zu leisten übrig bleibt, welcher
energische Umschwung in allen Zweigen der Verfassung und Verwaltung des Lan¬
des geschehen muß, wird Jeder fühlen, der die in Oestreich herrschende Anarchie
als eine nothwendige Revolution ansieht, welche das Volk so lange fortsetzen
wird, bis die Regierung, d. h. ein tüchtiges Ministerium sich selbst an die Spitze
dieser Revolution stellen und dieselbe in einen gesetzlichen Zustand verwandeln
wird. Dazu gehört aber von Seiten der Regierungsmänner eben so viel Geist
und Verständniß für die Forderungen und Bedingungen des neue" Staatslebens,
als ungeschwächte Kraft und Energie. Das Ministerium in seiner jetzigen Zusam¬
mensetzung jedoch hat keinen Stützpunkt im Vertrauen des Volkes und keinen
Muth für oder gegen die neue Lage des Staates. Wir sehen ein immerwäh¬
rendes Schwanken in seinen Zusicherungen, eine schwache Handhabung der Regie-
rungsgewalt, eine versteckte und unconstitutionelle Politik nach Außen, einen
gänzlichen Mangel an Productivität in jeder Beziehung. Dieser Man-
gel an Productivität ist übrigens auch auf Seite der Bürger zu bemerken, so daß
dieselben stets nur eine Kritik gegen die Regierungsgewalt ausüben, in keinem
Punkte aber die Initiative ergreifen. Besonders fehlt es in Wien an organisiren-
den Talenten unter den Volksführern, so wie an kräftigen Vertretern des deutschen
Elementes in den Provinzen. So bietet uns nun der böhmische Ausschuß allein
das Bild einer tüchtigen, seiner moralischen Macht bewußten Körperschaft.

Es ist Zeit, daß die Ostreicher den provisorischen Zustand, in welchem sie
bisher ihre Freiheit genossen haben, aufgeben. Die Bildung eines neuen Mini¬
steriums (vielleicht durch Pillersdorf selbst), welches gleich bei seinem Eintritt ein


Se. Petri, welchen wir bisher zum größten Schaden des Volkes und zum
Nutzen des absolutistischen Verdummungssystems im östreichischen Staate geduldet
haben, kann nnn aufgehoben werden; denn die Priester, welche noch ihren Herrn
in Rom suchen, müßte das Volk als Feinde des Vaterlandes betrachten. Eine
katholische Episkopalkirche, welche keine neue Hierarchie im Staate bildete, sondern
aus der freien Wahl der Gemeinden hervorginge und in welcher die Priester vom
Staate besoldet werden, Säcularisation der Klöster, welche bisher das beste Mark
des Landes ausgesaugt, und Umwandlung der bisherigen geisttödtenden Semina¬
rien in wahre Bildungsanstalten für die Seelsorger des Volkes — eine derartige
totale Reform des Clerikalwesens in Oestreich würde in diesem Augenblicke die
segensreichste Wirkung hervorbringen. Wir würden dadurch dem die besten geisti¬
gen und politischen Kräfte verzehrenden Dissenter- und Sektenwesen entgehen,
welches bis jetzt im übrigen Deutschland geherrscht hat und durch die Glaubenö-
und Gewissensfreiheit, diesem untastbaren Rechte jedes freien Staatsbürgers, auch
in Oestreich bei dem jetzigen Zustande der Staatskirche entstehen müßte.--

Wir waren im Vorhergehenden bemüht zu zeigen, was das jetzige Ministerium
in Oestreich bisher geleistet hat. Wie viel noch zu leisten übrig bleibt, welcher
energische Umschwung in allen Zweigen der Verfassung und Verwaltung des Lan¬
des geschehen muß, wird Jeder fühlen, der die in Oestreich herrschende Anarchie
als eine nothwendige Revolution ansieht, welche das Volk so lange fortsetzen
wird, bis die Regierung, d. h. ein tüchtiges Ministerium sich selbst an die Spitze
dieser Revolution stellen und dieselbe in einen gesetzlichen Zustand verwandeln
wird. Dazu gehört aber von Seiten der Regierungsmänner eben so viel Geist
und Verständniß für die Forderungen und Bedingungen des neue» Staatslebens,
als ungeschwächte Kraft und Energie. Das Ministerium in seiner jetzigen Zusam¬
mensetzung jedoch hat keinen Stützpunkt im Vertrauen des Volkes und keinen
Muth für oder gegen die neue Lage des Staates. Wir sehen ein immerwäh¬
rendes Schwanken in seinen Zusicherungen, eine schwache Handhabung der Regie-
rungsgewalt, eine versteckte und unconstitutionelle Politik nach Außen, einen
gänzlichen Mangel an Productivität in jeder Beziehung. Dieser Man-
gel an Productivität ist übrigens auch auf Seite der Bürger zu bemerken, so daß
dieselben stets nur eine Kritik gegen die Regierungsgewalt ausüben, in keinem
Punkte aber die Initiative ergreifen. Besonders fehlt es in Wien an organisiren-
den Talenten unter den Volksführern, so wie an kräftigen Vertretern des deutschen
Elementes in den Provinzen. So bietet uns nun der böhmische Ausschuß allein
das Bild einer tüchtigen, seiner moralischen Macht bewußten Körperschaft.

Es ist Zeit, daß die Ostreicher den provisorischen Zustand, in welchem sie
bisher ihre Freiheit genossen haben, aufgeben. Die Bildung eines neuen Mini¬
steriums (vielleicht durch Pillersdorf selbst), welches gleich bei seinem Eintritt ein


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[0108] Se. Petri, welchen wir bisher zum größten Schaden des Volkes und zum Nutzen des absolutistischen Verdummungssystems im östreichischen Staate geduldet haben, kann nnn aufgehoben werden; denn die Priester, welche noch ihren Herrn in Rom suchen, müßte das Volk als Feinde des Vaterlandes betrachten. Eine katholische Episkopalkirche, welche keine neue Hierarchie im Staate bildete, sondern aus der freien Wahl der Gemeinden hervorginge und in welcher die Priester vom Staate besoldet werden, Säcularisation der Klöster, welche bisher das beste Mark des Landes ausgesaugt, und Umwandlung der bisherigen geisttödtenden Semina¬ rien in wahre Bildungsanstalten für die Seelsorger des Volkes — eine derartige totale Reform des Clerikalwesens in Oestreich würde in diesem Augenblicke die segensreichste Wirkung hervorbringen. Wir würden dadurch dem die besten geisti¬ gen und politischen Kräfte verzehrenden Dissenter- und Sektenwesen entgehen, welches bis jetzt im übrigen Deutschland geherrscht hat und durch die Glaubenö- und Gewissensfreiheit, diesem untastbaren Rechte jedes freien Staatsbürgers, auch in Oestreich bei dem jetzigen Zustande der Staatskirche entstehen müßte.-- Wir waren im Vorhergehenden bemüht zu zeigen, was das jetzige Ministerium in Oestreich bisher geleistet hat. Wie viel noch zu leisten übrig bleibt, welcher energische Umschwung in allen Zweigen der Verfassung und Verwaltung des Lan¬ des geschehen muß, wird Jeder fühlen, der die in Oestreich herrschende Anarchie als eine nothwendige Revolution ansieht, welche das Volk so lange fortsetzen wird, bis die Regierung, d. h. ein tüchtiges Ministerium sich selbst an die Spitze dieser Revolution stellen und dieselbe in einen gesetzlichen Zustand verwandeln wird. Dazu gehört aber von Seiten der Regierungsmänner eben so viel Geist und Verständniß für die Forderungen und Bedingungen des neue» Staatslebens, als ungeschwächte Kraft und Energie. Das Ministerium in seiner jetzigen Zusam¬ mensetzung jedoch hat keinen Stützpunkt im Vertrauen des Volkes und keinen Muth für oder gegen die neue Lage des Staates. Wir sehen ein immerwäh¬ rendes Schwanken in seinen Zusicherungen, eine schwache Handhabung der Regie- rungsgewalt, eine versteckte und unconstitutionelle Politik nach Außen, einen gänzlichen Mangel an Productivität in jeder Beziehung. Dieser Man- gel an Productivität ist übrigens auch auf Seite der Bürger zu bemerken, so daß dieselben stets nur eine Kritik gegen die Regierungsgewalt ausüben, in keinem Punkte aber die Initiative ergreifen. Besonders fehlt es in Wien an organisiren- den Talenten unter den Volksführern, so wie an kräftigen Vertretern des deutschen Elementes in den Provinzen. So bietet uns nun der böhmische Ausschuß allein das Bild einer tüchtigen, seiner moralischen Macht bewußten Körperschaft. Es ist Zeit, daß die Ostreicher den provisorischen Zustand, in welchem sie bisher ihre Freiheit genossen haben, aufgeben. Die Bildung eines neuen Mini¬ steriums (vielleicht durch Pillersdorf selbst), welches gleich bei seinem Eintritt ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/108>, abgerufen am 29.06.2024.