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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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nißnahme dieser Verhältnisse, durch eine reifliche Erwägung der agrarischen und
industriellen Zustände in den einzelnen Provinzen, durch ein wohlberechtetes Han¬
delssystem kann der allmählige Anschluß an den deutschen Zollverein von Seiten
Oestreichs vermittelt werden. Es frägt sich nun, ob das deutsche Parlament
die Aufnahme Oestreichs in den deutschen Bundesstaat beschließen kann, so
lange dieses große Bundesglied gerade in dem wichtigsten Interesse eine separa¬
tistische Stellung einnimmt, so lange die deutsche Schiffahrt auf der Elbe, Donan,
im adriatischen Meere durch östreichische Zölle gelähmt ist? -----

Man sieht jedenfalls, daß die Frage, ob Oestreich in den deutsche" Volks-
buud aufzunehmen sei, noch immer keine müßige ist. Die östreichische Negierung
wird endlich gezwungen sein, ihr diplomatisches Schweigen zu brechen und offen
und klar ihre Ansicht in Bezug auf die Möglichkeit ihres Veitrittes auszusprechen.

So lange sie dies nicht gethan hat, so lange muß das Behaupten des Prä¬
sidiums von Seiten des östreichischen Bundestagsgesandter als eine Anmaßung
gegenüber den übrigen Bundesstaaten und als eine Verhöhnung des östreichischen
Volkes erscheinen, welches laut und entschieden den Ruf nach einer voll¬
ständigen Vereinigung mit den deutschen Brüdern erhoben hat.

Das Verhältniß zum deutschen Zollverein, der ganze durch Monopole und Credit¬
mangel gedrückte Zustand der Industrie und Gewerbe, so wie die Noth des Arbeiter¬
standes machen für Oestreich die sofortige Errichtung eines Ministeriums des Handels
und der Arbeit*) dringend nothwendig. Dieses Ministerium müßte mit Han¬
delskammern in Verbindung stehen, welche nach dem Muster der preußischen, in den
einzelnen Provinzen zu organisiren wären. Eben so sehr ist das Verfahren des säch¬
sischen Ministeriums des Innern zu empfehlen, welches die Bedürfnisse des ArbcitS-
standes dnrch im ganzen Lande gebildete Ausschüsse erforschen und in einer eigenen
Commission unter Vorsitz des Ministers berathen läßt. Auf diese Weise wird die
Frage der Organisation der Arbeit von den sachkundigen Wahlcomitvs des betrof¬
fenen Stande? durchgreifend erörtert und praktisch und friedlich gelöst werden.
Das Finanzministerium in Oestreich wird zu sehr durch die Regelung des Staats¬
haushaltes beschäftigt, als daß es zu gleicher Zeit die Arbeiten zum schnellen Ge¬
deihen des ganzen materiellen Volkswohles übernehmen könnte. --

Die Ausbrüche der Volkswuth gegen die Klöster und geistlichen Besitzungen
würden einem erleuchteten Staatsmanne Gelegenheit geben, das Werk Josephs II.
wieder aufzunehmen und eine Reorganisation der katholischen Kirche in Oestreich
in's Werk zu setzen. Der offene Krieg mit dem päbstlichen Staate, welcher mit
der Beschimpfung des östreichischen Wappens begonnen, macht in diesem Augenblick
ein Losreißen der Kirche von der päbstlichen Hierarchie leicht möglich. Der Staat



*) welchem zugleich die öffentlichen Bauten und Arbeiten zugetheilt würden.
Grcnzl'denn. II. I!!

nißnahme dieser Verhältnisse, durch eine reifliche Erwägung der agrarischen und
industriellen Zustände in den einzelnen Provinzen, durch ein wohlberechtetes Han¬
delssystem kann der allmählige Anschluß an den deutschen Zollverein von Seiten
Oestreichs vermittelt werden. Es frägt sich nun, ob das deutsche Parlament
die Aufnahme Oestreichs in den deutschen Bundesstaat beschließen kann, so
lange dieses große Bundesglied gerade in dem wichtigsten Interesse eine separa¬
tistische Stellung einnimmt, so lange die deutsche Schiffahrt auf der Elbe, Donan,
im adriatischen Meere durch östreichische Zölle gelähmt ist? —---

Man sieht jedenfalls, daß die Frage, ob Oestreich in den deutsche» Volks-
buud aufzunehmen sei, noch immer keine müßige ist. Die östreichische Negierung
wird endlich gezwungen sein, ihr diplomatisches Schweigen zu brechen und offen
und klar ihre Ansicht in Bezug auf die Möglichkeit ihres Veitrittes auszusprechen.

So lange sie dies nicht gethan hat, so lange muß das Behaupten des Prä¬
sidiums von Seiten des östreichischen Bundestagsgesandter als eine Anmaßung
gegenüber den übrigen Bundesstaaten und als eine Verhöhnung des östreichischen
Volkes erscheinen, welches laut und entschieden den Ruf nach einer voll¬
ständigen Vereinigung mit den deutschen Brüdern erhoben hat.

Das Verhältniß zum deutschen Zollverein, der ganze durch Monopole und Credit¬
mangel gedrückte Zustand der Industrie und Gewerbe, so wie die Noth des Arbeiter¬
standes machen für Oestreich die sofortige Errichtung eines Ministeriums des Handels
und der Arbeit*) dringend nothwendig. Dieses Ministerium müßte mit Han¬
delskammern in Verbindung stehen, welche nach dem Muster der preußischen, in den
einzelnen Provinzen zu organisiren wären. Eben so sehr ist das Verfahren des säch¬
sischen Ministeriums des Innern zu empfehlen, welches die Bedürfnisse des ArbcitS-
standes dnrch im ganzen Lande gebildete Ausschüsse erforschen und in einer eigenen
Commission unter Vorsitz des Ministers berathen läßt. Auf diese Weise wird die
Frage der Organisation der Arbeit von den sachkundigen Wahlcomitvs des betrof¬
fenen Stande? durchgreifend erörtert und praktisch und friedlich gelöst werden.
Das Finanzministerium in Oestreich wird zu sehr durch die Regelung des Staats¬
haushaltes beschäftigt, als daß es zu gleicher Zeit die Arbeiten zum schnellen Ge¬
deihen des ganzen materiellen Volkswohles übernehmen könnte. —

Die Ausbrüche der Volkswuth gegen die Klöster und geistlichen Besitzungen
würden einem erleuchteten Staatsmanne Gelegenheit geben, das Werk Josephs II.
wieder aufzunehmen und eine Reorganisation der katholischen Kirche in Oestreich
in's Werk zu setzen. Der offene Krieg mit dem päbstlichen Staate, welcher mit
der Beschimpfung des östreichischen Wappens begonnen, macht in diesem Augenblick
ein Losreißen der Kirche von der päbstlichen Hierarchie leicht möglich. Der Staat



*) welchem zugleich die öffentlichen Bauten und Arbeiten zugetheilt würden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/107>, abgerufen am 29.06.2024.