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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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>-- eine Vormundschaft, welche zwar nie ausgesprochen worden ist, und nie aus¬
gesprochen werden, um so strenger aber gehandhabt wird. So achtungswürdig
diese Ursachen sind, so schädlich sind deren Wirkungen für das Land, und so hem¬
mend werden sie für die künftigen Monarchen sein, welche, ohne wie Kaiser Franz
mit den Völkern die Erinnerung an gemeinsame Leiden für sich zu haben, den
Thron mit gebundenen Händen besteigen werden.

Die österreichische Regierung oder Bureaukratie spricht sich nur im äußersten
Nothfalle über Principien aus, und streitet so wenig wie möglich über Worte, um
ihnen zu rechter Zeit die zweckmäßige Deutung geben zu können Sie ist und
war viel zu vorsichtig, um sich bis jetzt, wo sie noch nicht dazu genöthigt war, in
Erläuterungen einzulassen, wie die Worte "Stände," "Volk," "Nation," "Re¬
präsentant," "Vertreter" von ihr verstanden werden, oder wie selbe von den Land¬
ständen und der Nation zu verstehen seien.

So lange die österreichischen Stände nichts als schön uniformirte Repräsen¬
tanten, und zwar -- nicht des Volkes, sondern nnr des Zustandes sind, in
welchem sich die österreichischen Völker befinden, --- das Miniaturbild eines stum¬
men Gehorsams, so lange wird ihnen die Bureaukratie die unschuldige Freude,
sich Volksrepräsentanten zu nennen, nicht nehmen, und sie ohne weiteres in dem
frommen Glauben lassen, die Regierung sehe sie als solche wirklich an.

Sobald aber das Gewissen und das Ehrgefühl der Stände reger wird, als
dies heute der Fall ist, sobald sie als Vertreter der Nationalinteressen und Rechts¬
ansprüche handeln und sich nicht durch Formwesen werden beschwichtigen lassen wol¬
len, sobald sich ferner die Bureaukratie überzeugen wird, daß die Einzelnen
von ihr durch Stellen, Orden und Titel gewonnenen Mitglieder des ständischen
Körpers ihren frühern Einfluß auf die Körperschaft verlieren, und die indirect
und unsichtbar wirkenden Mittel, einzelne unliebsame Personen zu beseitigen, auf
zu viele Individuen ausgedehnt werden müßten, -- sobald sie es sich endlich selbst



*) Als Beispiel folgendes: In dem Publications - Edikt Kaiser Ferdinand II., welches
der Landesordnung für Böhmen vorgedruckt ist, kommen einige Worte vor, die, wenn man
sie allein herausnimmt, und aus dem Verbände mit dem Sinne der ganzen Publication her-
ausreißt, dem Könige das Recht vorzubehalten scheinen, die Verfassung nach seinem Belie¬
ben arbiträr zu ändern, sie also, wenn es ihm beliebt, auch ganz aufzuheben. Wir wollen
nicht untersuchen, welchen Grad von Eidesbruch Kaiser Ferdinand II. beging, als er, der die
alte Verfassung beschworen hatte, den ihm treu gebliebenen Theil der Böhmen die erneuerte
Landesordnung einseitig aufdrang; daß er aber selbst diesen Vorbehalt, nicht so wie oben an¬
gedeutet, gemeint haben kann, beweisen außer der gesunden Vernunft auch noch Pergamente,
und zwar der von ihm selbst vorgeschriebene Krönungscid und der Revers, der den Ständen
auch jetzt noch jährlich gegeben wird. Diese Worte blieben nun fort und fort unaufgelegt,
bis sich die Stände Böhmens in neuerer Zeit auf verschiedene Punkte der Landesordnung zu
berufen wagten; da fand dieser Borbehalt gleich obige Auslegung, nach welcher die ganze
Landesordnung sammt Eiden und Reversen jeden Augenblick vom König geändert oder auch
ganz eingezogen werden könnte.

>— eine Vormundschaft, welche zwar nie ausgesprochen worden ist, und nie aus¬
gesprochen werden, um so strenger aber gehandhabt wird. So achtungswürdig
diese Ursachen sind, so schädlich sind deren Wirkungen für das Land, und so hem¬
mend werden sie für die künftigen Monarchen sein, welche, ohne wie Kaiser Franz
mit den Völkern die Erinnerung an gemeinsame Leiden für sich zu haben, den
Thron mit gebundenen Händen besteigen werden.

Die österreichische Regierung oder Bureaukratie spricht sich nur im äußersten
Nothfalle über Principien aus, und streitet so wenig wie möglich über Worte, um
ihnen zu rechter Zeit die zweckmäßige Deutung geben zu können Sie ist und
war viel zu vorsichtig, um sich bis jetzt, wo sie noch nicht dazu genöthigt war, in
Erläuterungen einzulassen, wie die Worte „Stände," „Volk," „Nation," „Re¬
präsentant," „Vertreter" von ihr verstanden werden, oder wie selbe von den Land¬
ständen und der Nation zu verstehen seien.

So lange die österreichischen Stände nichts als schön uniformirte Repräsen¬
tanten, und zwar — nicht des Volkes, sondern nnr des Zustandes sind, in
welchem sich die österreichischen Völker befinden, -— das Miniaturbild eines stum¬
men Gehorsams, so lange wird ihnen die Bureaukratie die unschuldige Freude,
sich Volksrepräsentanten zu nennen, nicht nehmen, und sie ohne weiteres in dem
frommen Glauben lassen, die Regierung sehe sie als solche wirklich an.

Sobald aber das Gewissen und das Ehrgefühl der Stände reger wird, als
dies heute der Fall ist, sobald sie als Vertreter der Nationalinteressen und Rechts¬
ansprüche handeln und sich nicht durch Formwesen werden beschwichtigen lassen wol¬
len, sobald sich ferner die Bureaukratie überzeugen wird, daß die Einzelnen
von ihr durch Stellen, Orden und Titel gewonnenen Mitglieder des ständischen
Körpers ihren frühern Einfluß auf die Körperschaft verlieren, und die indirect
und unsichtbar wirkenden Mittel, einzelne unliebsame Personen zu beseitigen, auf
zu viele Individuen ausgedehnt werden müßten, — sobald sie es sich endlich selbst



*) Als Beispiel folgendes: In dem Publications - Edikt Kaiser Ferdinand II., welches
der Landesordnung für Böhmen vorgedruckt ist, kommen einige Worte vor, die, wenn man
sie allein herausnimmt, und aus dem Verbände mit dem Sinne der ganzen Publication her-
ausreißt, dem Könige das Recht vorzubehalten scheinen, die Verfassung nach seinem Belie¬
ben arbiträr zu ändern, sie also, wenn es ihm beliebt, auch ganz aufzuheben. Wir wollen
nicht untersuchen, welchen Grad von Eidesbruch Kaiser Ferdinand II. beging, als er, der die
alte Verfassung beschworen hatte, den ihm treu gebliebenen Theil der Böhmen die erneuerte
Landesordnung einseitig aufdrang; daß er aber selbst diesen Vorbehalt, nicht so wie oben an¬
gedeutet, gemeint haben kann, beweisen außer der gesunden Vernunft auch noch Pergamente,
und zwar der von ihm selbst vorgeschriebene Krönungscid und der Revers, der den Ständen
auch jetzt noch jährlich gegeben wird. Diese Worte blieben nun fort und fort unaufgelegt,
bis sich die Stände Böhmens in neuerer Zeit auf verschiedene Punkte der Landesordnung zu
berufen wagten; da fand dieser Borbehalt gleich obige Auslegung, nach welcher die ganze
Landesordnung sammt Eiden und Reversen jeden Augenblick vom König geändert oder auch
ganz eingezogen werden könnte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/566>, abgerufen am 01.09.2024.