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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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und sind schwer genug zu erhalten. Trotzdem erlaubt der Magistrat, daß ganze
Flächen schönen Lehmbodens unbebaut daliegen, und will man die Ursache wissen,
oder äußert den Wunsch, den armen Leuten möchten hier kleine Gärten zuertheilt
werden, so erwidert so ein löbliches Mitglied des Stadtrathes ungefähr: die Schweine
hätten sich vou Anbeginn der Welt behaglich in dem weichen Boden herumgewühlt;
wie man also die armen Thiere eines solchen Vorrechtes berauben könne?'--Was
kann mau gegen einen Grund anführen, den immer die Liebe zu dem Geschöpf
eingeflößt hat, wenn dieselbe gleich nicht menschlich zu nennen ist! So lebt man
im Lande Mecklenburg aus die alte Weise fort und hat sich über nichts zu wun¬
dern, als daß man so leben kann. Jedes Interesse scheint hier von dem kleinen
Ich auszugehen und auf dasselbe zurückzuführen, die Unterhaltung dreht sich stets
um Personen, nie um Dinge, das Leben fließt in der Sorge sür die Erhaltung
und in der Herbeischaffung der nothwendigen Bedürfnisse dahin. Die Frauen sind
hier die Haushälterinnen des Mannes, die Wärterinnen seiner Kinder und nichts
mehr; -- eine Corinna wurde hier die Aufnahme finden, die weiland der Heldin
von Frau von Stal-l in einer entfernten Provinz ihres Vaterlandes zu Theil ward.
Der Adel lebt auf seinen Gütern und jagt und spielt und trinkt; die Städter
leben wieder für sich und haben wenig oder keine Gemeinschaft mit jenen, denn
hier sowohl als in Hannover sind der Bürgerstand und die Aristokratie noch
strenge von einander geschieden, und nur wer sechzehn Ahnen hat, ist wirklich hof¬
fähig. Die Frau Großherzogin hat überdem noch eine besondere Vorliebe für altes
Blut, und erlaubt uicht einmal, daß der Mann seiner Frau mit seinem Namen
auch eine Stellung neben sich in der Gesellschaft anweise, sobald ihr Stamm-
baum Makel hat. Nur selten macht sie eine Ausnahme hievon und eine solche
Gunst wird als ein hohes Glück erkannt. Der Großherzog ist ihr unbedingt
ergeben. Der Hof hält sich jetzt gewöhnlich in Schwerin anf, wo es an einem
Theater und andern Lustbarkeiten nicht fehlt. Ludivigslnst, die frühere Residenz,
wird jetzt von adeligen Wittwen und deren Töchtern bewohnt, die hier eine höchst
noble und antike Gesellschaft vom reinsten Blute bilden. Da diese jungen Da¬
men eine heilige Scheu vor einer Mesalliance haben, so sind ihrer eine sehr große
Zahl, die diese Welt rein und unbefleckt verlassen und das schöne Bewußtsein mit
sich in den Himmel nehmen, lieber ein einsam verkümmertes und nutzloses Leben
geführt zu haben, als daß sie eine Nachkommenschaft zurückgelassen hätten, die
nicht hoffähig gewesen wäre. Solcher edlen Aufopferung sind doch nnr noble
Seelen fähig! -- Aber gewiß bedarf es auch wiederum einer noblen Seele, um
sie nach Verdienst würdigen zu können.

Was würde die Frau Großherzogin Alexandriua nun gar sagen, wenn sie
am englischen, französischen und belgischen Hofe einen Juden erscheinen sähe, wie
das doch häusig vorkommt, all' das audere bürgerliche Volk nicht einmal zu rech¬
nen? Mecklenburg hat so etwas noch nicht gesehen, so wie überhaupt manches


und sind schwer genug zu erhalten. Trotzdem erlaubt der Magistrat, daß ganze
Flächen schönen Lehmbodens unbebaut daliegen, und will man die Ursache wissen,
oder äußert den Wunsch, den armen Leuten möchten hier kleine Gärten zuertheilt
werden, so erwidert so ein löbliches Mitglied des Stadtrathes ungefähr: die Schweine
hätten sich vou Anbeginn der Welt behaglich in dem weichen Boden herumgewühlt;
wie man also die armen Thiere eines solchen Vorrechtes berauben könne?'—Was
kann mau gegen einen Grund anführen, den immer die Liebe zu dem Geschöpf
eingeflößt hat, wenn dieselbe gleich nicht menschlich zu nennen ist! So lebt man
im Lande Mecklenburg aus die alte Weise fort und hat sich über nichts zu wun¬
dern, als daß man so leben kann. Jedes Interesse scheint hier von dem kleinen
Ich auszugehen und auf dasselbe zurückzuführen, die Unterhaltung dreht sich stets
um Personen, nie um Dinge, das Leben fließt in der Sorge sür die Erhaltung
und in der Herbeischaffung der nothwendigen Bedürfnisse dahin. Die Frauen sind
hier die Haushälterinnen des Mannes, die Wärterinnen seiner Kinder und nichts
mehr; — eine Corinna wurde hier die Aufnahme finden, die weiland der Heldin
von Frau von Stal-l in einer entfernten Provinz ihres Vaterlandes zu Theil ward.
Der Adel lebt auf seinen Gütern und jagt und spielt und trinkt; die Städter
leben wieder für sich und haben wenig oder keine Gemeinschaft mit jenen, denn
hier sowohl als in Hannover sind der Bürgerstand und die Aristokratie noch
strenge von einander geschieden, und nur wer sechzehn Ahnen hat, ist wirklich hof¬
fähig. Die Frau Großherzogin hat überdem noch eine besondere Vorliebe für altes
Blut, und erlaubt uicht einmal, daß der Mann seiner Frau mit seinem Namen
auch eine Stellung neben sich in der Gesellschaft anweise, sobald ihr Stamm-
baum Makel hat. Nur selten macht sie eine Ausnahme hievon und eine solche
Gunst wird als ein hohes Glück erkannt. Der Großherzog ist ihr unbedingt
ergeben. Der Hof hält sich jetzt gewöhnlich in Schwerin anf, wo es an einem
Theater und andern Lustbarkeiten nicht fehlt. Ludivigslnst, die frühere Residenz,
wird jetzt von adeligen Wittwen und deren Töchtern bewohnt, die hier eine höchst
noble und antike Gesellschaft vom reinsten Blute bilden. Da diese jungen Da¬
men eine heilige Scheu vor einer Mesalliance haben, so sind ihrer eine sehr große
Zahl, die diese Welt rein und unbefleckt verlassen und das schöne Bewußtsein mit
sich in den Himmel nehmen, lieber ein einsam verkümmertes und nutzloses Leben
geführt zu haben, als daß sie eine Nachkommenschaft zurückgelassen hätten, die
nicht hoffähig gewesen wäre. Solcher edlen Aufopferung sind doch nnr noble
Seelen fähig! — Aber gewiß bedarf es auch wiederum einer noblen Seele, um
sie nach Verdienst würdigen zu können.

Was würde die Frau Großherzogin Alexandriua nun gar sagen, wenn sie
am englischen, französischen und belgischen Hofe einen Juden erscheinen sähe, wie
das doch häusig vorkommt, all' das audere bürgerliche Volk nicht einmal zu rech¬
nen? Mecklenburg hat so etwas noch nicht gesehen, so wie überhaupt manches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/552>, abgerufen am 01.09.2024.