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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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diese bürgerlichen Gutsbesitzer sind sehr roh und ohne alle Bildung, verstehen wohl
ihren Acker zu bebauen, aber von Geschäften gar nichts. Sie feinden den Adel
an, sagen ihm Sottisen, geben ihre grobe Ungeschliffenheit für Liberalität aus,
und schelten Alles, was gute Sitte heißt, aristokratisch. -- Mit bloßen Schelt-
worten kann man aber keine Reformen hervorbringen und dieser bedarf dies arme
Land doch sehr ernstlich.

Für die Herren Bürgermeister läßt sich auch wenig sagen. Sie sind eigent¬
lich alle kleine Tyrannen, die nichts kennen, als den Buchstaben des Gesetzes, die
in ihren Städten unbedingt herrschen und durch ihren Machtspruch über das Wohl
und Wehe der Städter bestimmen. Die Regierung steht ihnen hierin redlich bei,
weil sonst auf dem alljährlichen Landtage der Herr Bürgermeister gegen die For¬
derungen der Regierung stimmen könnte. So arbeiten sie sich gegenseitig in die
Hände. Diese kleinen städtischen Fürsten haben nun eine unbeschreiblich lächerliche
Idee vou ihrer Wichtigkeit, und wirklich, wollte der liebe Gott auf der Erde
in sichtbarer Gestalt umherwandeln, er könnte keine erhabenere Miene annehmen,
als so ein mecklenburgischer Bürgermeister von irgend einem Krähwinkel. Er
regiert fortwährend und kommt in dieser Function nie aus der Uebung. Ob er
aber wohl regiere, steht noch zu bezweifeln, denn ein schwach bevölkertes, nur halb
angebautes Laud, aus dem die Menschen auswandern, ist eben kein ehrcbrin-
gendes Resultat. Ganze Flächen Landes sieht mau uncultivirt; die Dörfer liegeu
in großer Entfernung von einander und neue Häuser, die auf eine zunehmende
Bevölkerung hindeuten würden, gewahrt man nirgends. Auch ist es erwiesen, daß
die Zahl der Einwohner sich alljährlich vermindert, ein Umstand, der in Zeiten
des Friedens, wo keine Seuchen oder andere Krankheiten herrschen, auf ein radi¬
kales Uebel schließen läßt. -- Mecklenburg hat im letzten Winter viel von der
Hungersnot!) gelitten und noch augenblicklich sind alle Lebensmittel über die Ge¬
bühr theuer. Dennoch liegen in der Nähe der Städte viele Aecker, oft sehr guten
Bodens unangebaut. Kommt man auf deu Bahnhof bei Hagenow an und fragt,
warum die Gegend dort einer Wüste gleiche, ohne Bäume, ohne Sträuche, ohne
Anschein der Nachbarschaft einer Stadt, die sich sonst gewöhnlich durch wohlbe¬
pflanzte Gärten und verschönernde Anlagen verräth, so heißt die Antwort, daß
es hier vor hundert Jahren so gewesen sei, und daß die alten Spießbürger keinen
Gefallen daran fänden, Getreide, Kartoffeln oder Bäume aufwachsen zu sehen, wo
ihre Vorväter deren keine gehabt. Die Stadt Parchim ist vielleicht die ärmste des
Landes und wird nur des Gymnasiums wegen von unbemittelten Wittwen bewohnt,
die ihre Söhne zu erziehen wünschen; sie hat keinen Handel, keinen Verkehr, keine
Landstraße führt durch dieselbe, und sieht man um sich, gewahrt man im ganzen
Gesichtskreise weder ein Dorf, noch ein Gehöft. Es wird also von Außen her
wenig auf deu Markt gebracht, die Lebensmittel sind daher theuer, Fleisch ist oft
kaum zu bekommen, Fische gar nicht, und gute Kartoffeln stehen hoch im Preise


diese bürgerlichen Gutsbesitzer sind sehr roh und ohne alle Bildung, verstehen wohl
ihren Acker zu bebauen, aber von Geschäften gar nichts. Sie feinden den Adel
an, sagen ihm Sottisen, geben ihre grobe Ungeschliffenheit für Liberalität aus,
und schelten Alles, was gute Sitte heißt, aristokratisch. — Mit bloßen Schelt-
worten kann man aber keine Reformen hervorbringen und dieser bedarf dies arme
Land doch sehr ernstlich.

Für die Herren Bürgermeister läßt sich auch wenig sagen. Sie sind eigent¬
lich alle kleine Tyrannen, die nichts kennen, als den Buchstaben des Gesetzes, die
in ihren Städten unbedingt herrschen und durch ihren Machtspruch über das Wohl
und Wehe der Städter bestimmen. Die Regierung steht ihnen hierin redlich bei,
weil sonst auf dem alljährlichen Landtage der Herr Bürgermeister gegen die For¬
derungen der Regierung stimmen könnte. So arbeiten sie sich gegenseitig in die
Hände. Diese kleinen städtischen Fürsten haben nun eine unbeschreiblich lächerliche
Idee vou ihrer Wichtigkeit, und wirklich, wollte der liebe Gott auf der Erde
in sichtbarer Gestalt umherwandeln, er könnte keine erhabenere Miene annehmen,
als so ein mecklenburgischer Bürgermeister von irgend einem Krähwinkel. Er
regiert fortwährend und kommt in dieser Function nie aus der Uebung. Ob er
aber wohl regiere, steht noch zu bezweifeln, denn ein schwach bevölkertes, nur halb
angebautes Laud, aus dem die Menschen auswandern, ist eben kein ehrcbrin-
gendes Resultat. Ganze Flächen Landes sieht mau uncultivirt; die Dörfer liegeu
in großer Entfernung von einander und neue Häuser, die auf eine zunehmende
Bevölkerung hindeuten würden, gewahrt man nirgends. Auch ist es erwiesen, daß
die Zahl der Einwohner sich alljährlich vermindert, ein Umstand, der in Zeiten
des Friedens, wo keine Seuchen oder andere Krankheiten herrschen, auf ein radi¬
kales Uebel schließen läßt. — Mecklenburg hat im letzten Winter viel von der
Hungersnot!) gelitten und noch augenblicklich sind alle Lebensmittel über die Ge¬
bühr theuer. Dennoch liegen in der Nähe der Städte viele Aecker, oft sehr guten
Bodens unangebaut. Kommt man auf deu Bahnhof bei Hagenow an und fragt,
warum die Gegend dort einer Wüste gleiche, ohne Bäume, ohne Sträuche, ohne
Anschein der Nachbarschaft einer Stadt, die sich sonst gewöhnlich durch wohlbe¬
pflanzte Gärten und verschönernde Anlagen verräth, so heißt die Antwort, daß
es hier vor hundert Jahren so gewesen sei, und daß die alten Spießbürger keinen
Gefallen daran fänden, Getreide, Kartoffeln oder Bäume aufwachsen zu sehen, wo
ihre Vorväter deren keine gehabt. Die Stadt Parchim ist vielleicht die ärmste des
Landes und wird nur des Gymnasiums wegen von unbemittelten Wittwen bewohnt,
die ihre Söhne zu erziehen wünschen; sie hat keinen Handel, keinen Verkehr, keine
Landstraße führt durch dieselbe, und sieht man um sich, gewahrt man im ganzen
Gesichtskreise weder ein Dorf, noch ein Gehöft. Es wird also von Außen her
wenig auf deu Markt gebracht, die Lebensmittel sind daher theuer, Fleisch ist oft
kaum zu bekommen, Fische gar nicht, und gute Kartoffeln stehen hoch im Preise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/551>, abgerufen am 01.09.2024.