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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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vorräthc. Von irgend einer Bequemlichkeit', einem Luxus, einer Verschönerung
wissen diese Menschen nichts und sie begehren auch nichts, was sie nicht keuneiu
Ihr Sinn ist roh, ihre Nahrung ist roh, ihre Einrichtung roh. Sie leben -ni
Mir Ki i<i",-"L<;, sie streben nicht, sie denken nicht, sie wünschen nicht. Sie essen
aus einer großen Schüssel -- Teller haben sie nicht -- sie bedienen sich hölzerner
Löffel, die sie selbst schneiden und sitzen auf eiuer hölzernen Bank. Ihr Bier
trinken sie aus einem großen zinnernen Kruge, der die Runde macht, lind dabei
sind sie ganz conservativ und hassen den, der ihnen ihren Rauch und deu großen
Düngerhaufen nehmen wollte, den sie der Bequemlichkeit wegen immer so nahe
wie möglich vor der Thüre ihres Hanfes anlegen. Ihre Gärten, ihre Felder be¬
bauen sie, wie ihre Vorväter es vor Jahrhunderten gethan, und alle Fortschritte,
die mau im Ackerbau, in der Viehzucht und der Cultur des Obstes gemacht, sind
an ihnen vorübergegangen. Auf diese Weise lebt der Bauer hier fort auf dem
kleinen Erbgute, das er der Regierung verzinst, und das vom Vater auf deu Sohn
geht, ohne eine Veränderung zu erleiden, und ohne daß die neuen Besitzer je neue
Kenntnisse, neue Erfahrungen oder Pläne für dasselbe mitbringen. Denn woher
sollte dies ihm kommen? Als Kind besucht er die Schule des Dorfes, wo er von
einem Lehrer unterrichtet wird, der von dem Ertrage seines Ackers lebt und nicht
von seinem Einkommen als Jugendlehrer, was spärlich genug ausfallen möchte;
nachdem er also früh morgens ein paar Stunden gepflügt, kommt er nach Hanse,
die Jugend in d e in zu unterweisen, was er entweder selbst nie gewußt, oder sonst
doch auch längst wieder vergessen hat. Nachdem nnn der junge Erbbaner alle Kennt-
nisse eingesogen hat, die er hier erwerben kann -- und das beschränkt sich wohl
meistens auf das Buchstabieren leichter Worte -- wird er, sobald er confirmirt
ist, Knecht bei einem andern Bauer, oder steht seinem Vater als Gehülfe zur
Seite, bis er selbst in sein Erbe eintritt. Dieser Zustand der Dinge hat ge¬
dauert und wird dauern, bis die Negierung endlich einmal Zeit gewinnt daran
zu denken, für die Bildung dieser Classe Sorge zu tragen, die einen bedeutenden
Theil der Bevölkerung ausmacht und deren Einfluß auf deu Wohlstand eines Lan¬
des, dessen Betriebsamkeit in Ackerbau besteht, bedeutend ist. -- Mit dem "Volk"
auf den ritterschaftlichen Gütern sieht es gerade eben so ans. Bis später als 1820
waren diese nennen Leute das Eigenthum des Gutsbesitzers, dem sie so gut ange¬
hörten, wie die Kühe und Pferde und andere Gegenstände, die er bei der Besitz¬
nahme in Empfang nahm. Seitdem sind sie nicht mehr sein, man kann sie nicht
mehr seine Sklaven nennen, denn er kann sie nicht veräußern; doch sind sie ab¬
hängig genug. Sie können kündigen und wegziehen wenn sie wollen, das ist
wahr genug, aber wer sagt ihnen denn anch gleich, daß ihr künftiger Oberherr
menschlicher sein werde? Der Besitzer des Gutes gibt jedem seiner Arbeiter ein
Häuschen, dafür müssen sie gewisse Tage im Jahre für ihn arbeiten. Gibt er ihnen
außerdem zu thun, so bezahlt er ihnen eine mäßige Summe für den Tag, die im


7N

vorräthc. Von irgend einer Bequemlichkeit', einem Luxus, einer Verschönerung
wissen diese Menschen nichts und sie begehren auch nichts, was sie nicht keuneiu
Ihr Sinn ist roh, ihre Nahrung ist roh, ihre Einrichtung roh. Sie leben -ni
Mir Ki i<i»,-»L<;, sie streben nicht, sie denken nicht, sie wünschen nicht. Sie essen
aus einer großen Schüssel — Teller haben sie nicht — sie bedienen sich hölzerner
Löffel, die sie selbst schneiden und sitzen auf eiuer hölzernen Bank. Ihr Bier
trinken sie aus einem großen zinnernen Kruge, der die Runde macht, lind dabei
sind sie ganz conservativ und hassen den, der ihnen ihren Rauch und deu großen
Düngerhaufen nehmen wollte, den sie der Bequemlichkeit wegen immer so nahe
wie möglich vor der Thüre ihres Hanfes anlegen. Ihre Gärten, ihre Felder be¬
bauen sie, wie ihre Vorväter es vor Jahrhunderten gethan, und alle Fortschritte,
die mau im Ackerbau, in der Viehzucht und der Cultur des Obstes gemacht, sind
an ihnen vorübergegangen. Auf diese Weise lebt der Bauer hier fort auf dem
kleinen Erbgute, das er der Regierung verzinst, und das vom Vater auf deu Sohn
geht, ohne eine Veränderung zu erleiden, und ohne daß die neuen Besitzer je neue
Kenntnisse, neue Erfahrungen oder Pläne für dasselbe mitbringen. Denn woher
sollte dies ihm kommen? Als Kind besucht er die Schule des Dorfes, wo er von
einem Lehrer unterrichtet wird, der von dem Ertrage seines Ackers lebt und nicht
von seinem Einkommen als Jugendlehrer, was spärlich genug ausfallen möchte;
nachdem er also früh morgens ein paar Stunden gepflügt, kommt er nach Hanse,
die Jugend in d e in zu unterweisen, was er entweder selbst nie gewußt, oder sonst
doch auch längst wieder vergessen hat. Nachdem nnn der junge Erbbaner alle Kennt-
nisse eingesogen hat, die er hier erwerben kann — und das beschränkt sich wohl
meistens auf das Buchstabieren leichter Worte — wird er, sobald er confirmirt
ist, Knecht bei einem andern Bauer, oder steht seinem Vater als Gehülfe zur
Seite, bis er selbst in sein Erbe eintritt. Dieser Zustand der Dinge hat ge¬
dauert und wird dauern, bis die Negierung endlich einmal Zeit gewinnt daran
zu denken, für die Bildung dieser Classe Sorge zu tragen, die einen bedeutenden
Theil der Bevölkerung ausmacht und deren Einfluß auf deu Wohlstand eines Lan¬
des, dessen Betriebsamkeit in Ackerbau besteht, bedeutend ist. — Mit dem „Volk"
auf den ritterschaftlichen Gütern sieht es gerade eben so ans. Bis später als 1820
waren diese nennen Leute das Eigenthum des Gutsbesitzers, dem sie so gut ange¬
hörten, wie die Kühe und Pferde und andere Gegenstände, die er bei der Besitz¬
nahme in Empfang nahm. Seitdem sind sie nicht mehr sein, man kann sie nicht
mehr seine Sklaven nennen, denn er kann sie nicht veräußern; doch sind sie ab¬
hängig genug. Sie können kündigen und wegziehen wenn sie wollen, das ist
wahr genug, aber wer sagt ihnen denn anch gleich, daß ihr künftiger Oberherr
menschlicher sein werde? Der Besitzer des Gutes gibt jedem seiner Arbeiter ein
Häuschen, dafür müssen sie gewisse Tage im Jahre für ihn arbeiten. Gibt er ihnen
außerdem zu thun, so bezahlt er ihnen eine mäßige Summe für den Tag, die im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/549>, abgerufen am 27.07.2024.