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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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gestehen, daß ich keines der bekannten Bilder vermißt habe, und daß namentlich
Herr Räder Alles aufgeboten hat, die Portraitähnlichkeit zur vMvmmcnsten Täu¬
schung zu steigern; namentlich hat er in dem von der österreichischen Polizei strick-
förmig zusammengedrehten Leibrock, der seine eigenen Muskeln hat, und sich von
selbst bewegt, das Unmögliche geleistet. Theils spielt eine Liebesintrigue der ein¬
fachsten Art dazwischen; ein Bauunternehmer findet seine Tochter zu gut für einen
Emplvyv bei der Eisenbahn, den Sohn eines Kleinhändlers, bis dieser bei einer
Plötzlich eintretenden Finanzkrise Gelegenheit erhält, seinen Edelmut!) zu zeigen,
und sich als einen wünschenswerthen Eidam zu legitimiren. Die Sitten der Dresd¬
ner Gasthöfe, die Mängel der einzelnen Straßen und Aehnliches wird mit ge¬
lindem, sehr gelindem Witz besprochen; der StaatShömorrhvidarius fehlt auch nicht;
ebensowenig die deutsche Flotte und die Censur. Die letztere wird hintergangen,
indem nach vollzogener Verlobung an Stelle des Vorhangs ein ungeheurer Jnser-
tivnözettcl sich herabläßt, auf dem nnter andern, unbefangenen Anzeigen einige
sehr gelinde Obscönitäten prangen. Auch hier bewundere man die Naivität des
Dresdners; es sind doch Damen im Theater, und um diese zu schonen, werden
die obscönen Anzeigen nicht so schwarz gedruckt, wie die übrigen. Freilich sieht
das beinahe so aus, wie manche Edition des Horaz in us"in Dolplimi, in der
das Anstößige ohne Gnade ausgemerzt, und dafür als Anhang zum Schluß in
plviw nachgeliefert wurde, so daß man die schlüpfrigen Stellen mit größerer Be¬
quemlichkeit zusammenfand. Als Anhang vou Eisele und Beisele tritt ein Mario¬
nettentheater ans, in welchem drei kleine Eisele's und drei kleine Beisele's figuri-
veu, worauf der wahre Eisele plötzlich unt gewaltigen! Geschrei ans einer Loge hervor¬
stürzt, auf's Theater springt, und hier zur allgemeinen Heiterkeit des zuschauenden
Publikums durch eine Prügelsccne das Stück harmonisch endigt. Daß übrigens
dnrch Anwendung hochtragischer Musik auf komische Gegenstände allerdings eine
^tre Humor in die Sache gebracht, und durch die Kunst, mit der Herr Räder die
Manier der heroischen Oper in's Groteske spielt, in's wesentliche Licht gestellt
wird, läßt sich nicht in Abrede stellen. Das Theater selbst ist ziemlich klein, aber
sehr wirthschaftlich eingerichtet und benutzt, so daß ziemlich der eine dem andern
"uf dem Schooß sitzt. Als eine Dresden eigenthümliche Erscheinung muß noch
hervorgehoben werden, daß das Parterre stark vom schönen Geschlecht besucht
wird. Die Romantik der als Symbole künftiger Besitzer auf deu Parterrebänken
ünsgelegten Taschentücher und Stöcke ist in diese Hauptstadt nicht eingedrungen.

Die "Concerte," die auf deu verschiedenen Verguügnngsörtern Dresdens --
"Uf der Brühl'schen Terrasse, dem großen Garten, im Plauenschen Grunde, im
Waldschloßchen, auf Findlaiers Weinberg n. f. w. -- täglich dem kunstliebenden
Publikum vorgeführt werden, unterscheiden sich von den Leipzigern ans das Vor¬
teilhafteste, schon dadurch, daß man sie hören kann, was in Leipzig, wenn nicht
einmal eine kriegerische Fanfare die müden Schläfer ans ihrer Ruhe weckt, nicht


gestehen, daß ich keines der bekannten Bilder vermißt habe, und daß namentlich
Herr Räder Alles aufgeboten hat, die Portraitähnlichkeit zur vMvmmcnsten Täu¬
schung zu steigern; namentlich hat er in dem von der österreichischen Polizei strick-
förmig zusammengedrehten Leibrock, der seine eigenen Muskeln hat, und sich von
selbst bewegt, das Unmögliche geleistet. Theils spielt eine Liebesintrigue der ein¬
fachsten Art dazwischen; ein Bauunternehmer findet seine Tochter zu gut für einen
Emplvyv bei der Eisenbahn, den Sohn eines Kleinhändlers, bis dieser bei einer
Plötzlich eintretenden Finanzkrise Gelegenheit erhält, seinen Edelmut!) zu zeigen,
und sich als einen wünschenswerthen Eidam zu legitimiren. Die Sitten der Dresd¬
ner Gasthöfe, die Mängel der einzelnen Straßen und Aehnliches wird mit ge¬
lindem, sehr gelindem Witz besprochen; der StaatShömorrhvidarius fehlt auch nicht;
ebensowenig die deutsche Flotte und die Censur. Die letztere wird hintergangen,
indem nach vollzogener Verlobung an Stelle des Vorhangs ein ungeheurer Jnser-
tivnözettcl sich herabläßt, auf dem nnter andern, unbefangenen Anzeigen einige
sehr gelinde Obscönitäten prangen. Auch hier bewundere man die Naivität des
Dresdners; es sind doch Damen im Theater, und um diese zu schonen, werden
die obscönen Anzeigen nicht so schwarz gedruckt, wie die übrigen. Freilich sieht
das beinahe so aus, wie manche Edition des Horaz in us»in Dolplimi, in der
das Anstößige ohne Gnade ausgemerzt, und dafür als Anhang zum Schluß in
plviw nachgeliefert wurde, so daß man die schlüpfrigen Stellen mit größerer Be¬
quemlichkeit zusammenfand. Als Anhang vou Eisele und Beisele tritt ein Mario¬
nettentheater ans, in welchem drei kleine Eisele's und drei kleine Beisele's figuri-
veu, worauf der wahre Eisele plötzlich unt gewaltigen! Geschrei ans einer Loge hervor¬
stürzt, auf's Theater springt, und hier zur allgemeinen Heiterkeit des zuschauenden
Publikums durch eine Prügelsccne das Stück harmonisch endigt. Daß übrigens
dnrch Anwendung hochtragischer Musik auf komische Gegenstände allerdings eine
^tre Humor in die Sache gebracht, und durch die Kunst, mit der Herr Räder die
Manier der heroischen Oper in's Groteske spielt, in's wesentliche Licht gestellt
wird, läßt sich nicht in Abrede stellen. Das Theater selbst ist ziemlich klein, aber
sehr wirthschaftlich eingerichtet und benutzt, so daß ziemlich der eine dem andern
«uf dem Schooß sitzt. Als eine Dresden eigenthümliche Erscheinung muß noch
hervorgehoben werden, daß das Parterre stark vom schönen Geschlecht besucht
wird. Die Romantik der als Symbole künftiger Besitzer auf deu Parterrebänken
ünsgelegten Taschentücher und Stöcke ist in diese Hauptstadt nicht eingedrungen.

Die „Concerte," die auf deu verschiedenen Verguügnngsörtern Dresdens —
"Uf der Brühl'schen Terrasse, dem großen Garten, im Plauenschen Grunde, im
Waldschloßchen, auf Findlaiers Weinberg n. f. w. — täglich dem kunstliebenden
Publikum vorgeführt werden, unterscheiden sich von den Leipzigern ans das Vor¬
teilhafteste, schon dadurch, daß man sie hören kann, was in Leipzig, wenn nicht
einmal eine kriegerische Fanfare die müden Schläfer ans ihrer Ruhe weckt, nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/523>, abgerufen am 27.07.2024.