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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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hat sich das Blatt in Ungarn allein an 2000 Abonnenten (wovon ans Pesth blos
W0 kommen), und unzählige Leser bei einer Bevölkerung verschafft, von der nur
ein kleiner Theil lesen kann, und von diesem nur die Hälfte der deutschen Sprache
mächtig ist. Diese Zeitschrift liefert übrigens auch einen sichern Beweis, daß die
Deutschen in Ungarn sich stark zu den Magyaren und ihren Bestrebungen neigen;
denn mau kaun das Interesse für den "Ungar" zum Theil seiner Vorliebe für
das magyarische Element zuschreiben, das er bei jeder Gelegenheit anpreist und
vertheidigt. Es ist nebenbei das freisinnigste nich kampflustigste Blatt unter den
deutscheu Zeitschriften Pesth'S und soll deshalb in Wien nicht gut angeschrie¬
ben sein.

Vou den eigentlich ungarischen Zeitungen konnte ich nur das Format ange¬
ben, den Inhalt habe ich nicht dcchifftiren können; doch habe ich sie zusammenge¬
zählt und vier politische an ihrem Folivformat erkannt, die andern vier sind belle¬
tristisch, bewegen sich jedoch, wie man mir sagte, in einer zu glühenden Atmo¬
sphäre, um nicht auch ein wenig politischen Brandgeruch merken zu lassen. Das
liberalste politische Organ: "?esti IMIun" soll bedeutend an Einfluß und Ein-
kunst verloren haben, seit es von dem berühmten Kossuth, der durch eine In¬
trigue beseitigt wurde, nicht mehr redigirt wird. Der Antipode dieses Organs ist die
,,^pinx<>l,i dieses Blatt wird aber wenig gelesen und noch weniger geachtet.
Wo in aller Welt gebe es denn heute uoch einen Winkel, in dem ein ultramon¬
tanes und ultraconservatives Blatt Achtung gewinnen könnte? Diese beiden Blätter
haben es indeß nur mit Ideen zu thun, während der "Iliinclo" die materielle,
leider nur allzusichtbare Partei der Conservativen vertritt. Er soll sehr geschickt
redigirt und geschrieben sein. Er ist überdies im Vortheil gegen den "llirl-ip,"
der uur mit einem in der Scheide steckenden Schwert kämpfen kann, da die Censur
den Kampf mit blanker Waffe verbietet. Doch welche Schattirung diese Blätter auch
haben, sie zeigen alle von einem ungeheuren Schritt, den Ungarn vor den andern
Ländern Oesterreichs voraus hat, wo mau gar keine Meinung haben darf, als
etwa über die Kehle eiuer Sängerin und die Gesten eines Comödianten.

Ein Wanderer durch Pesth müßte sehr kurzsichtig sein, wenn er den hier
stark wachsenden "Ast vom Wnnderstamme," wie Anastasius Grün die Juden
"eure, nicht bemerken sollte. Es leben da unter 100,000 Einwohnern 13,000
Juden, oder wie sie sich lieber nennen hören, Jsraeliten. Da käme also ein Jude
"uf 70 Menschen. Während der Messe verdoppelt sich fast ihre Anzahl durch die
aus allen Gegenden herbeiströmenden Kaufleute, und da sie alle sehr beweglich
und geschäftig sind, so begegnet mau unter zehn Menschen einem Juden.

Es ist doch ein wunderbares Geschlecht diese zerstreuten. Auswanderer aus
jenem märchenhaften Lande, wo sie gemächlich hinter dem Weinstock und dem
Feigenbaum saßen und aus den vorbeifließenden Bächen von Milch und Honig
naschten, wie das alte Buch der Wunder erzählt. Hätte der heilige Stephan,


hat sich das Blatt in Ungarn allein an 2000 Abonnenten (wovon ans Pesth blos
W0 kommen), und unzählige Leser bei einer Bevölkerung verschafft, von der nur
ein kleiner Theil lesen kann, und von diesem nur die Hälfte der deutschen Sprache
mächtig ist. Diese Zeitschrift liefert übrigens auch einen sichern Beweis, daß die
Deutschen in Ungarn sich stark zu den Magyaren und ihren Bestrebungen neigen;
denn mau kaun das Interesse für den „Ungar" zum Theil seiner Vorliebe für
das magyarische Element zuschreiben, das er bei jeder Gelegenheit anpreist und
vertheidigt. Es ist nebenbei das freisinnigste nich kampflustigste Blatt unter den
deutscheu Zeitschriften Pesth'S und soll deshalb in Wien nicht gut angeschrie¬
ben sein.

Vou den eigentlich ungarischen Zeitungen konnte ich nur das Format ange¬
ben, den Inhalt habe ich nicht dcchifftiren können; doch habe ich sie zusammenge¬
zählt und vier politische an ihrem Folivformat erkannt, die andern vier sind belle¬
tristisch, bewegen sich jedoch, wie man mir sagte, in einer zu glühenden Atmo¬
sphäre, um nicht auch ein wenig politischen Brandgeruch merken zu lassen. Das
liberalste politische Organ: „?esti IMIun" soll bedeutend an Einfluß und Ein-
kunst verloren haben, seit es von dem berühmten Kossuth, der durch eine In¬
trigue beseitigt wurde, nicht mehr redigirt wird. Der Antipode dieses Organs ist die
,,^pinx<>l,i dieses Blatt wird aber wenig gelesen und noch weniger geachtet.
Wo in aller Welt gebe es denn heute uoch einen Winkel, in dem ein ultramon¬
tanes und ultraconservatives Blatt Achtung gewinnen könnte? Diese beiden Blätter
haben es indeß nur mit Ideen zu thun, während der „Iliinclo" die materielle,
leider nur allzusichtbare Partei der Conservativen vertritt. Er soll sehr geschickt
redigirt und geschrieben sein. Er ist überdies im Vortheil gegen den „llirl-ip,"
der uur mit einem in der Scheide steckenden Schwert kämpfen kann, da die Censur
den Kampf mit blanker Waffe verbietet. Doch welche Schattirung diese Blätter auch
haben, sie zeigen alle von einem ungeheuren Schritt, den Ungarn vor den andern
Ländern Oesterreichs voraus hat, wo mau gar keine Meinung haben darf, als
etwa über die Kehle eiuer Sängerin und die Gesten eines Comödianten.

Ein Wanderer durch Pesth müßte sehr kurzsichtig sein, wenn er den hier
stark wachsenden „Ast vom Wnnderstamme," wie Anastasius Grün die Juden
«eure, nicht bemerken sollte. Es leben da unter 100,000 Einwohnern 13,000
Juden, oder wie sie sich lieber nennen hören, Jsraeliten. Da käme also ein Jude
"uf 70 Menschen. Während der Messe verdoppelt sich fast ihre Anzahl durch die
aus allen Gegenden herbeiströmenden Kaufleute, und da sie alle sehr beweglich
und geschäftig sind, so begegnet mau unter zehn Menschen einem Juden.

Es ist doch ein wunderbares Geschlecht diese zerstreuten. Auswanderer aus
jenem märchenhaften Lande, wo sie gemächlich hinter dem Weinstock und dem
Feigenbaum saßen und aus den vorbeifließenden Bächen von Milch und Honig
naschten, wie das alte Buch der Wunder erzählt. Hätte der heilige Stephan,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/515>, abgerufen am 01.09.2024.