Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.kam, musterte ich das Auditorium. Die ganze wilde Jugend des Quartier Ladin Bald machten sich die politischen Demonstrationen laut, die in Michelet's Col- "Worüber wird wohl Michelet in dem heutigen Vortrag sprechen?" fragte ich "Und der heilige Christoph?" fragte ich meinen guten Nachbar weiter, "wie kam Nur langsam und allmälig verlobten die Salven von Händeklatschen und An- kam, musterte ich das Auditorium. Die ganze wilde Jugend des Quartier Ladin Bald machten sich die politischen Demonstrationen laut, die in Michelet's Col- „Worüber wird wohl Michelet in dem heutigen Vortrag sprechen?" fragte ich „Und der heilige Christoph?" fragte ich meinen guten Nachbar weiter, „wie kam Nur langsam und allmälig verlobten die Salven von Händeklatschen und An- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184604"/> <p xml:id="ID_1550" prev="#ID_1549"> kam, musterte ich das Auditorium. Die ganze wilde Jugend des Quartier Ladin<lb/> umgab mich. Es waren lauter prächtige Gesellen mit schwarzen Haaren und blei¬<lb/> chen Gesichtern in abgeschabten Röcken und phantastischen Hüten, lauter ächte Pa¬<lb/> riser Studenten, die nichts mehr lieben als Wein, Weiber und Spektakel. Hie<lb/> und da verkündigte das rothe viereckige Mützchen mit Schafpelz verbrämt den pol¬<lb/> nischen Emigranten ächtesten Schlages, der sein Nationalwahrzeichen auch in der<lb/> Fremde nicht ablegt; alles Uebrige war französische Jugend und die wildeste, die<lb/> man nur finden mag.</p><lb/> <p xml:id="ID_1551"> Bald machten sich die politischen Demonstrationen laut, die in Michelet's Col-<lb/> legium nie fehlen. Ein tüchtiger Baß stimmte die erste Note der Marseillaise an<lb/> und bald erscholl der Triumphsgesang der Revolution in lautem Choral. Dann<lb/> kam das ^iwuüs I'^vAlitis en I?r-meo no r^mera und die Parisienne. Dazwischen<lb/> ließen sich einzelne Virtuosen hören, die die Stimmen von verschiedenen Vögeln<lb/> und Säugethieren nachzuahmen verstanden. Auch dies ist ein eigenthümlicher Reiz<lb/> der Vorlesung bei Professor Michelet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1552"> „Worüber wird wohl Michelet in dem heutigen Vortrag sprechen?" fragte ich<lb/> meinem Nachbar, einen alten Studio mit kurzgeschornem Haar, der eben seine Ci-<lb/> garette rollte. „Das weiß Gott", erwiederte er mir, „in seinem letzten hat er von<lb/> dem heiligen Christoph, von der dreisaitigen Leier und der Gräfin Guiccioli ge¬<lb/> sprochen." — „Ich glaubte, Michelet lese über die französische Revolution?"... —<lb/> „?ostv! ein Mann, wie Michelet, nimmt das nicht so genau, er spricht, worüber er<lb/> Lust hat, er improvisirt, er phantasirt, er spricht zu uns Achthundert, wie er zu<lb/> zwei Freunden sprechen würde, er läßt sich von seinen Inspirationen tragen und<lb/> umfaßt Alles." — „Und was ist das mit der dreisaitigen Leier?" „Die dreisai¬<lb/> tige Leier war eine Leier , die im College de France stand und mit ihrem Wohl-<lb/> laut die ganze Welt erfüllte. Ihre erste Saite war von Gold und hieß Mickie-<lb/> wicz, ihre zweite von Silber und hi^ß Quinet, ihre dritte ist von Stahl und heißt<lb/> Michelet. Die Polizei hat die Saite von Gold zerbrochen und die Saite von<lb/> Silber zerbrochen, die eiserne Saite schwingt noch einsam im College de France,<lb/> ihr Tönen ist ein Klagen geworden und auch sie will man brechen!" — Das ist<lb/> gut gesagt — He?</p><lb/> <p xml:id="ID_1553"> „Und der heilige Christoph?" fragte ich meinen guten Nachbar weiter, „wie kam<lb/> der in den Vortrag?" — „Der heilige Christoph, erwiederte er, ist eine Allegorie<lb/> Frankreichs. Christoph war ein Riese und wollte nur dem dienen, den er stärker<lb/> befunden als sich selbst. Da kam er eines Tages an den Hof eines Königs von<lb/> Assyrien — nein von Medien—nein" — Ein Donner von Applaus und Bravo-<lb/> ruf unterbrach den wackern Scolaren in der Erzählung seiner Mythen. „Michelet<lb/> ist da", rief er, „sehen Sie, da windet er sich durch die Reihen der das bleus,<lb/> die gewissermaßen das Parquett in diesem Theater inne haben..."</p><lb/> <p xml:id="ID_1554" next="#ID_1555"> Nur langsam und allmälig verlobten die Salven von Händeklatschen und An-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
kam, musterte ich das Auditorium. Die ganze wilde Jugend des Quartier Ladin
umgab mich. Es waren lauter prächtige Gesellen mit schwarzen Haaren und blei¬
chen Gesichtern in abgeschabten Röcken und phantastischen Hüten, lauter ächte Pa¬
riser Studenten, die nichts mehr lieben als Wein, Weiber und Spektakel. Hie
und da verkündigte das rothe viereckige Mützchen mit Schafpelz verbrämt den pol¬
nischen Emigranten ächtesten Schlages, der sein Nationalwahrzeichen auch in der
Fremde nicht ablegt; alles Uebrige war französische Jugend und die wildeste, die
man nur finden mag.
Bald machten sich die politischen Demonstrationen laut, die in Michelet's Col-
legium nie fehlen. Ein tüchtiger Baß stimmte die erste Note der Marseillaise an
und bald erscholl der Triumphsgesang der Revolution in lautem Choral. Dann
kam das ^iwuüs I'^vAlitis en I?r-meo no r^mera und die Parisienne. Dazwischen
ließen sich einzelne Virtuosen hören, die die Stimmen von verschiedenen Vögeln
und Säugethieren nachzuahmen verstanden. Auch dies ist ein eigenthümlicher Reiz
der Vorlesung bei Professor Michelet.
„Worüber wird wohl Michelet in dem heutigen Vortrag sprechen?" fragte ich
meinem Nachbar, einen alten Studio mit kurzgeschornem Haar, der eben seine Ci-
garette rollte. „Das weiß Gott", erwiederte er mir, „in seinem letzten hat er von
dem heiligen Christoph, von der dreisaitigen Leier und der Gräfin Guiccioli ge¬
sprochen." — „Ich glaubte, Michelet lese über die französische Revolution?"... —
„?ostv! ein Mann, wie Michelet, nimmt das nicht so genau, er spricht, worüber er
Lust hat, er improvisirt, er phantasirt, er spricht zu uns Achthundert, wie er zu
zwei Freunden sprechen würde, er läßt sich von seinen Inspirationen tragen und
umfaßt Alles." — „Und was ist das mit der dreisaitigen Leier?" „Die dreisai¬
tige Leier war eine Leier , die im College de France stand und mit ihrem Wohl-
laut die ganze Welt erfüllte. Ihre erste Saite war von Gold und hieß Mickie-
wicz, ihre zweite von Silber und hi^ß Quinet, ihre dritte ist von Stahl und heißt
Michelet. Die Polizei hat die Saite von Gold zerbrochen und die Saite von
Silber zerbrochen, die eiserne Saite schwingt noch einsam im College de France,
ihr Tönen ist ein Klagen geworden und auch sie will man brechen!" — Das ist
gut gesagt — He?
„Und der heilige Christoph?" fragte ich meinen guten Nachbar weiter, „wie kam
der in den Vortrag?" — „Der heilige Christoph, erwiederte er, ist eine Allegorie
Frankreichs. Christoph war ein Riese und wollte nur dem dienen, den er stärker
befunden als sich selbst. Da kam er eines Tages an den Hof eines Königs von
Assyrien — nein von Medien—nein" — Ein Donner von Applaus und Bravo-
ruf unterbrach den wackern Scolaren in der Erzählung seiner Mythen. „Michelet
ist da", rief er, „sehen Sie, da windet er sich durch die Reihen der das bleus,
die gewissermaßen das Parquett in diesem Theater inne haben..."
Nur langsam und allmälig verlobten die Salven von Händeklatschen und An-
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