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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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liehen Gerichten übergeben werde". Das Standrecht ist offenbar in alten Zeiten
als ein Schutzmittel für den Bauern und Bürger gegen die Uebergriffe des viel¬
fach durch'S Gesetz begünstigten Edelmannes eingeführt worden.

Mit heißem Kopf ging ich aus der erbitterten Kongregation in ein Kaffee¬
haus, um mich durch süßes Eis zu kühlen. Hier hatte man keine Ahnung von den
Stürmen, die in dem mitten in der Stadt gelegenen Cvmitathans bliesen. Ueber¬
haupt ist bei der deutschen Bevölkerung der Stadt wenig politische Regung zu be¬
merken. Der Magyare hält die Deutschen für ein retardircndes der Regierung
ganz ergebenes Element, und die Opposition wollte darum den königlichen Frei-
städter keine zahlreiche Vertretung beim Landtag gestatten. Sämmtliche Freistätte,
der eigentliche Sitz eines wohlhabenden und gebildeten Mittelstandes, haben auf
dem Landtag nnr eine einzige gemeinschaftliche Stimme, die bei der Abstimmung
"ach Comitaten gänzlich wegfällt.

Die Opposition begeht aber hierin einen großen Fehler; würde sie jeder Stadt
einen Deputirten gestatten, so käme in Folge der Wahl desselben und im Bewußt¬
sein der Mitwirkung an der Gesetzgebung politisches Leben in die Städte; und
die Geschichte aller Staaten hat es gezeigt, daß Ideen der Freiheit und des Fort¬
schrittes nirgends so diese und feste Wurzeln schlagen als eben in den großen
Städten, wo Wohlstand und Bildung eine unüberwindliche Neigung zur Selbst-
ständigkeit erzeugen, und eine Idee durch die Menge der Köpfe, in denen sie keimt,
sich Achtung verschafft. Die Opposition müßte nnr eine Bedingung an die Ver¬
mehrung der Bürgerdeputirteu knüpfen. Diese sollten nämlich von der Bürger¬
schaft selbst und nicht vom Magistrat gewählt werden, der freilich bis jetzt uur ein
blindes Werkzeug der Negierung ist.

Der deutsche Bürger Ungarns, wenigstens wie ich deren viele in Pesth ken¬
nen lernte, ist kein stagnirendcr Oesterreicher; er besitzt viel von dem Hochmuth
und dem Eigensinn der alten deutschen Reichsstädte, gemischt mit der Lebhaftigkeit
und dem Trotz der Ungarn. Er demüthigt sich vor Niemanden, die Magistrate
sind zwar uicht absetzbar, aber doch Geschöpfe seiner Wahl, und in der Versamm¬
lung der Wahlbnrgerschaft, worin überdies viele Ungarn als städtische Bürger
sitzen, (Stadtverordneten) geht es oft stürmisch genug her, wenn der Magistrat
sich nicht fügen will. Der deutsche Bürger möchte um nichts in der Welt Ungarn
in eine österreichische Provinz verwandelt sehen, er fühlt wohl, daß die Anstren¬
gungen der Liberalen auch seinen Interessen gelten, und nennt darum die Kory¬
phäen des Landtags mit Liebe und Hochachtung. Sein Widerstand gegen das
Magyarenthum ist nnr der träge Widerstand des Bestehenden gegen die überflu-
thende Neuerung. Das Deutschthum in Ungarn gleicht einer Insel, die allmälig
von einem mächtigen Strom überdeckt wird, dem sie keine Dämme entgegensetzt.
Nur zwei öffentliche deutsche Institute ragen uoch in Pesth über das Alles ver¬
schlingende Magyarenthum hervor: das deutsche Theater, welches der städtischen


Grenzten. NI. 18^7. 55

liehen Gerichten übergeben werde». Das Standrecht ist offenbar in alten Zeiten
als ein Schutzmittel für den Bauern und Bürger gegen die Uebergriffe des viel¬
fach durch'S Gesetz begünstigten Edelmannes eingeführt worden.

Mit heißem Kopf ging ich aus der erbitterten Kongregation in ein Kaffee¬
haus, um mich durch süßes Eis zu kühlen. Hier hatte man keine Ahnung von den
Stürmen, die in dem mitten in der Stadt gelegenen Cvmitathans bliesen. Ueber¬
haupt ist bei der deutschen Bevölkerung der Stadt wenig politische Regung zu be¬
merken. Der Magyare hält die Deutschen für ein retardircndes der Regierung
ganz ergebenes Element, und die Opposition wollte darum den königlichen Frei-
städter keine zahlreiche Vertretung beim Landtag gestatten. Sämmtliche Freistätte,
der eigentliche Sitz eines wohlhabenden und gebildeten Mittelstandes, haben auf
dem Landtag nnr eine einzige gemeinschaftliche Stimme, die bei der Abstimmung
»ach Comitaten gänzlich wegfällt.

Die Opposition begeht aber hierin einen großen Fehler; würde sie jeder Stadt
einen Deputirten gestatten, so käme in Folge der Wahl desselben und im Bewußt¬
sein der Mitwirkung an der Gesetzgebung politisches Leben in die Städte; und
die Geschichte aller Staaten hat es gezeigt, daß Ideen der Freiheit und des Fort¬
schrittes nirgends so diese und feste Wurzeln schlagen als eben in den großen
Städten, wo Wohlstand und Bildung eine unüberwindliche Neigung zur Selbst-
ständigkeit erzeugen, und eine Idee durch die Menge der Köpfe, in denen sie keimt,
sich Achtung verschafft. Die Opposition müßte nnr eine Bedingung an die Ver¬
mehrung der Bürgerdeputirteu knüpfen. Diese sollten nämlich von der Bürger¬
schaft selbst und nicht vom Magistrat gewählt werden, der freilich bis jetzt uur ein
blindes Werkzeug der Negierung ist.

Der deutsche Bürger Ungarns, wenigstens wie ich deren viele in Pesth ken¬
nen lernte, ist kein stagnirendcr Oesterreicher; er besitzt viel von dem Hochmuth
und dem Eigensinn der alten deutschen Reichsstädte, gemischt mit der Lebhaftigkeit
und dem Trotz der Ungarn. Er demüthigt sich vor Niemanden, die Magistrate
sind zwar uicht absetzbar, aber doch Geschöpfe seiner Wahl, und in der Versamm¬
lung der Wahlbnrgerschaft, worin überdies viele Ungarn als städtische Bürger
sitzen, (Stadtverordneten) geht es oft stürmisch genug her, wenn der Magistrat
sich nicht fügen will. Der deutsche Bürger möchte um nichts in der Welt Ungarn
in eine österreichische Provinz verwandelt sehen, er fühlt wohl, daß die Anstren¬
gungen der Liberalen auch seinen Interessen gelten, und nennt darum die Kory¬
phäen des Landtags mit Liebe und Hochachtung. Sein Widerstand gegen das
Magyarenthum ist nnr der träge Widerstand des Bestehenden gegen die überflu-
thende Neuerung. Das Deutschthum in Ungarn gleicht einer Insel, die allmälig
von einem mächtigen Strom überdeckt wird, dem sie keine Dämme entgegensetzt.
Nur zwei öffentliche deutsche Institute ragen uoch in Pesth über das Alles ver¬
schlingende Magyarenthum hervor: das deutsche Theater, welches der städtischen


Grenzten. NI. 18^7. 55
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/423>, abgerufen am 01.09.2024.