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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Doch muß ich hier eines Göttinger Studenten gedenken, welcher der
Sprache nach, in der Gegend von Stade zu Hanse sein mochte. Ueber ein
ganz einfaches Ereigniß, das sich auf der Rothenburg zutrug, hielt er, im
trunkenen Zustande, mit einer leisen Selbstironie a" einige zufällig anwesende
Bürger und Bauern eine vortreffliche Rede, die von einem so kräftigen
Rechtsbewußtsein zeugte, wie es sich in Hannover selten finden mochte und
aus die Angeredeten einen so tiefen Eindruck machte, daß sie in ihm ganz
im Allgemeinen einen Kämpfer für Freiheit und Recht sahen. Er hatte
einen Tornister dem Einsiedler zum Aufbewahren gegeben und dieser war,
mit noch drei andern, in der offnen und oft ganz menschenleeren Klause
abhanden gekommen. Er hielt nun eine förmliche Rede hierüber an jene
Bürger und Bauern, in der er die Wichtigkeit des Eigenthums mit
schlagenden Gründen auseinander setzte. Und insbesondere sei das Rän¬
zel wichtig für den Studenten. Wer denn wandern könne ohne Ränzel?
und ob denn nicht der Student während der Ferien anf's Wandern ange¬
wiesen sei? Zwar, wenn nur sein Tornister abhanden gekommen sei, so
würde er kein Wort darüber verlieren; aber vier Tornister seien abhanden
gekommen! Was daraus werden solle, wenn ein Student, der dein Ein¬
siedler ein Ränzel übergäbe, nicht sicher sei, daß er es auch wieder von der
Rothenburg mit hinunter nehmen könne? Eine solche Unsicherheit des Ei¬
genthums mache gradezu seinen Verstand schwindeln! Zwar der Einsiedler
sei ein Ehrenmann; aber ob die Herren nicht auch der Ansicht seien, daß er
ihm und seinen Commilitionen ihren Schaden vergüten müsse (was ihnen
übrigens noch gar nicht verweigert war)? So ungefähr sprach er. Der
ernsthafte Eindruck, 5en seine Worte aus die Leute machten, wurde selbst
durch manche komische Unterbrechungen nur wenig geschwächt. Einmal un¬
terbrach er sich selbst und eilte zornig der Klause zu, um, wie er sagte, den
Einsiedler am Barte zu zupfen. Oefters stimmten seine Zuhörer das ihnen
bekannt gewordene Lied an:


Und hat der Bursch kein Geld im Beutel,
So schiert er sich den Teufel d'rum --

worauf er sie mit freudiger Rührung umarmte und mit sang. War aber
das für seine Lage allerdings passende Lied zu Ende, so fing er seine Aus¬
einandersetzung wieder von vorn an, und als er endlich aufbrach, drückte
ihm ein Mann aus Kelbra mit den begeisterten Worten : "Leben Sie wohl,
Sie wackrer Kämpfer für Freiheit und Recht" die Hand.

Ueberhaupt aber ging es in der Gesellschaft auf der Rothenburg an


Doch muß ich hier eines Göttinger Studenten gedenken, welcher der
Sprache nach, in der Gegend von Stade zu Hanse sein mochte. Ueber ein
ganz einfaches Ereigniß, das sich auf der Rothenburg zutrug, hielt er, im
trunkenen Zustande, mit einer leisen Selbstironie a» einige zufällig anwesende
Bürger und Bauern eine vortreffliche Rede, die von einem so kräftigen
Rechtsbewußtsein zeugte, wie es sich in Hannover selten finden mochte und
aus die Angeredeten einen so tiefen Eindruck machte, daß sie in ihm ganz
im Allgemeinen einen Kämpfer für Freiheit und Recht sahen. Er hatte
einen Tornister dem Einsiedler zum Aufbewahren gegeben und dieser war,
mit noch drei andern, in der offnen und oft ganz menschenleeren Klause
abhanden gekommen. Er hielt nun eine förmliche Rede hierüber an jene
Bürger und Bauern, in der er die Wichtigkeit des Eigenthums mit
schlagenden Gründen auseinander setzte. Und insbesondere sei das Rän¬
zel wichtig für den Studenten. Wer denn wandern könne ohne Ränzel?
und ob denn nicht der Student während der Ferien anf's Wandern ange¬
wiesen sei? Zwar, wenn nur sein Tornister abhanden gekommen sei, so
würde er kein Wort darüber verlieren; aber vier Tornister seien abhanden
gekommen! Was daraus werden solle, wenn ein Student, der dein Ein¬
siedler ein Ränzel übergäbe, nicht sicher sei, daß er es auch wieder von der
Rothenburg mit hinunter nehmen könne? Eine solche Unsicherheit des Ei¬
genthums mache gradezu seinen Verstand schwindeln! Zwar der Einsiedler
sei ein Ehrenmann; aber ob die Herren nicht auch der Ansicht seien, daß er
ihm und seinen Commilitionen ihren Schaden vergüten müsse (was ihnen
übrigens noch gar nicht verweigert war)? So ungefähr sprach er. Der
ernsthafte Eindruck, 5en seine Worte aus die Leute machten, wurde selbst
durch manche komische Unterbrechungen nur wenig geschwächt. Einmal un¬
terbrach er sich selbst und eilte zornig der Klause zu, um, wie er sagte, den
Einsiedler am Barte zu zupfen. Oefters stimmten seine Zuhörer das ihnen
bekannt gewordene Lied an:


Und hat der Bursch kein Geld im Beutel,
So schiert er sich den Teufel d'rum —

worauf er sie mit freudiger Rührung umarmte und mit sang. War aber
das für seine Lage allerdings passende Lied zu Ende, so fing er seine Aus¬
einandersetzung wieder von vorn an, und als er endlich aufbrach, drückte
ihm ein Mann aus Kelbra mit den begeisterten Worten : „Leben Sie wohl,
Sie wackrer Kämpfer für Freiheit und Recht" die Hand.

Ueberhaupt aber ging es in der Gesellschaft auf der Rothenburg an


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[0038] Doch muß ich hier eines Göttinger Studenten gedenken, welcher der Sprache nach, in der Gegend von Stade zu Hanse sein mochte. Ueber ein ganz einfaches Ereigniß, das sich auf der Rothenburg zutrug, hielt er, im trunkenen Zustande, mit einer leisen Selbstironie a» einige zufällig anwesende Bürger und Bauern eine vortreffliche Rede, die von einem so kräftigen Rechtsbewußtsein zeugte, wie es sich in Hannover selten finden mochte und aus die Angeredeten einen so tiefen Eindruck machte, daß sie in ihm ganz im Allgemeinen einen Kämpfer für Freiheit und Recht sahen. Er hatte einen Tornister dem Einsiedler zum Aufbewahren gegeben und dieser war, mit noch drei andern, in der offnen und oft ganz menschenleeren Klause abhanden gekommen. Er hielt nun eine förmliche Rede hierüber an jene Bürger und Bauern, in der er die Wichtigkeit des Eigenthums mit schlagenden Gründen auseinander setzte. Und insbesondere sei das Rän¬ zel wichtig für den Studenten. Wer denn wandern könne ohne Ränzel? und ob denn nicht der Student während der Ferien anf's Wandern ange¬ wiesen sei? Zwar, wenn nur sein Tornister abhanden gekommen sei, so würde er kein Wort darüber verlieren; aber vier Tornister seien abhanden gekommen! Was daraus werden solle, wenn ein Student, der dein Ein¬ siedler ein Ränzel übergäbe, nicht sicher sei, daß er es auch wieder von der Rothenburg mit hinunter nehmen könne? Eine solche Unsicherheit des Ei¬ genthums mache gradezu seinen Verstand schwindeln! Zwar der Einsiedler sei ein Ehrenmann; aber ob die Herren nicht auch der Ansicht seien, daß er ihm und seinen Commilitionen ihren Schaden vergüten müsse (was ihnen übrigens noch gar nicht verweigert war)? So ungefähr sprach er. Der ernsthafte Eindruck, 5en seine Worte aus die Leute machten, wurde selbst durch manche komische Unterbrechungen nur wenig geschwächt. Einmal un¬ terbrach er sich selbst und eilte zornig der Klause zu, um, wie er sagte, den Einsiedler am Barte zu zupfen. Oefters stimmten seine Zuhörer das ihnen bekannt gewordene Lied an: Und hat der Bursch kein Geld im Beutel, So schiert er sich den Teufel d'rum — worauf er sie mit freudiger Rührung umarmte und mit sang. War aber das für seine Lage allerdings passende Lied zu Ende, so fing er seine Aus¬ einandersetzung wieder von vorn an, und als er endlich aufbrach, drückte ihm ein Mann aus Kelbra mit den begeisterten Worten : „Leben Sie wohl, Sie wackrer Kämpfer für Freiheit und Recht" die Hand. Ueberhaupt aber ging es in der Gesellschaft auf der Rothenburg an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/38>, abgerufen am 01.09.2024.