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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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großgewachsene Katzen. Wenn der ungarische Bauer drei Hühner oder zwei
Dutzend Eier fahren soll, spannt er vier bis fünf solcher "Pferde" vor sein
Wägelchen. Wagen kann man diese Fahrzeuge nicht nennen, die der Erfin¬
dung des ersten Wagners in den Zeiten der Mythologie entsprechen; nur
mit den russischen Kibitken dürsten sie einen Vergleich aushalten können.

Der magyarische Natursohn, wie man ihn da auf dem Wochenmarkt in
Hunderten Exemplaren sehen kann, hat wohl finstere Züge, wild herabhängendes
Haar, einen furchtbaren Schnurrbart, einen spitzen stechenden Blick, einen
angebornen grünlich bleichen Teint, den Sonne, Wind und Wetter noch
etwas düsterer gefärbt, aber man muß sich gar nicht vor ihn fürchten. Er
besitzt freilich nicht das eiweiche Gemüth des Deutschen, die Politesse des
Franzosen, ja er kann fluchen wie kein anderes Menschenkind; er ist darum
doch die beste Seele von der Welt. Er ist noch heute so gastfrei, wie es
die Deutschen einst gewesen sein sollen. Dieses finstre Gesicht kann schäumend
luftig sein, wenn das Weinglas blinkt, ja er tanzt sogar, der ungehobelte
Patron, wenn die Geige des Zigeuners, seines privilegirten Musikanten, ihr
seltsam wildes Lied im Wirthshaus beginnt, und die glühenden Augen der
ungarischen Maid sein leicht wallendes Blut erhitzen.

Das ungarische Volk keimt nur einen Tanz den "Csardas". Unsere
verzärtelten Damen würden gewiß die prüden Angen von diesem Lieblings¬
tanz Ungarns abwenden. Der "Csardas" ist nicht eine gleichmäßig verschie¬
dene Stellung der Füße uach einem menschlichen Takte, sondern ein wildes con-
vulsivisches Zucken aller Muskeln von der Fußsohle bis zum Scheitel. Er ist
die wildeste sinnliche Leidenschaft in ihren choreographischen Symbolen aus¬
gedrückt. Und doch wird der Csardas selbst auf den Bällen der gebildeten
Welt sehr häusig getanzt; ja die Damen gestehen es unverholen, daß sie
diesen feurigen Tanz den deutschen und französischen Tänzen vorziehen, die
ihnen zu frostig und gemessen scheinen. Rümpfen Sie indessen nicht die
Nase, zarte Landsmännin, das Sprichwort sagt: ländlich sittlich. -- Unsere
Tänze sind kalt, wie unsere Weine, unsere Liebe und unsere Philosophie.
Ungarn hat heiße Weine, heiße Herzen, heiße Köpfe und heiße Tänze. Die
treffendste Beschreibung des "Csardas" findet man in Karl Beck's "fahrenden
Poeten."

Die "Donauzeile" ist gewiß eine der prächtigsten und interessantesten
Straßen der Welt. Sie läuft sehr breit über eine Stunde lang ein dem
prächtigen Strome hin und man hat fortwährend auf der einen Seite eine
Reihe herrlicher Häuser und gegenüber die aus malerischen Höhen gelegene
Stadt Ofen, die zweite Hauptstadt des Landes. Abends ergeht sich darum


großgewachsene Katzen. Wenn der ungarische Bauer drei Hühner oder zwei
Dutzend Eier fahren soll, spannt er vier bis fünf solcher „Pferde" vor sein
Wägelchen. Wagen kann man diese Fahrzeuge nicht nennen, die der Erfin¬
dung des ersten Wagners in den Zeiten der Mythologie entsprechen; nur
mit den russischen Kibitken dürsten sie einen Vergleich aushalten können.

Der magyarische Natursohn, wie man ihn da auf dem Wochenmarkt in
Hunderten Exemplaren sehen kann, hat wohl finstere Züge, wild herabhängendes
Haar, einen furchtbaren Schnurrbart, einen spitzen stechenden Blick, einen
angebornen grünlich bleichen Teint, den Sonne, Wind und Wetter noch
etwas düsterer gefärbt, aber man muß sich gar nicht vor ihn fürchten. Er
besitzt freilich nicht das eiweiche Gemüth des Deutschen, die Politesse des
Franzosen, ja er kann fluchen wie kein anderes Menschenkind; er ist darum
doch die beste Seele von der Welt. Er ist noch heute so gastfrei, wie es
die Deutschen einst gewesen sein sollen. Dieses finstre Gesicht kann schäumend
luftig sein, wenn das Weinglas blinkt, ja er tanzt sogar, der ungehobelte
Patron, wenn die Geige des Zigeuners, seines privilegirten Musikanten, ihr
seltsam wildes Lied im Wirthshaus beginnt, und die glühenden Augen der
ungarischen Maid sein leicht wallendes Blut erhitzen.

Das ungarische Volk keimt nur einen Tanz den „Csardas". Unsere
verzärtelten Damen würden gewiß die prüden Angen von diesem Lieblings¬
tanz Ungarns abwenden. Der „Csardas" ist nicht eine gleichmäßig verschie¬
dene Stellung der Füße uach einem menschlichen Takte, sondern ein wildes con-
vulsivisches Zucken aller Muskeln von der Fußsohle bis zum Scheitel. Er ist
die wildeste sinnliche Leidenschaft in ihren choreographischen Symbolen aus¬
gedrückt. Und doch wird der Csardas selbst auf den Bällen der gebildeten
Welt sehr häusig getanzt; ja die Damen gestehen es unverholen, daß sie
diesen feurigen Tanz den deutschen und französischen Tänzen vorziehen, die
ihnen zu frostig und gemessen scheinen. Rümpfen Sie indessen nicht die
Nase, zarte Landsmännin, das Sprichwort sagt: ländlich sittlich. — Unsere
Tänze sind kalt, wie unsere Weine, unsere Liebe und unsere Philosophie.
Ungarn hat heiße Weine, heiße Herzen, heiße Köpfe und heiße Tänze. Die
treffendste Beschreibung des „Csardas" findet man in Karl Beck's „fahrenden
Poeten."

Die „Donauzeile" ist gewiß eine der prächtigsten und interessantesten
Straßen der Welt. Sie läuft sehr breit über eine Stunde lang ein dem
prächtigen Strome hin und man hat fortwährend auf der einen Seite eine
Reihe herrlicher Häuser und gegenüber die aus malerischen Höhen gelegene
Stadt Ofen, die zweite Hauptstadt des Landes. Abends ergeht sich darum


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[0378] großgewachsene Katzen. Wenn der ungarische Bauer drei Hühner oder zwei Dutzend Eier fahren soll, spannt er vier bis fünf solcher „Pferde" vor sein Wägelchen. Wagen kann man diese Fahrzeuge nicht nennen, die der Erfin¬ dung des ersten Wagners in den Zeiten der Mythologie entsprechen; nur mit den russischen Kibitken dürsten sie einen Vergleich aushalten können. Der magyarische Natursohn, wie man ihn da auf dem Wochenmarkt in Hunderten Exemplaren sehen kann, hat wohl finstere Züge, wild herabhängendes Haar, einen furchtbaren Schnurrbart, einen spitzen stechenden Blick, einen angebornen grünlich bleichen Teint, den Sonne, Wind und Wetter noch etwas düsterer gefärbt, aber man muß sich gar nicht vor ihn fürchten. Er besitzt freilich nicht das eiweiche Gemüth des Deutschen, die Politesse des Franzosen, ja er kann fluchen wie kein anderes Menschenkind; er ist darum doch die beste Seele von der Welt. Er ist noch heute so gastfrei, wie es die Deutschen einst gewesen sein sollen. Dieses finstre Gesicht kann schäumend luftig sein, wenn das Weinglas blinkt, ja er tanzt sogar, der ungehobelte Patron, wenn die Geige des Zigeuners, seines privilegirten Musikanten, ihr seltsam wildes Lied im Wirthshaus beginnt, und die glühenden Augen der ungarischen Maid sein leicht wallendes Blut erhitzen. Das ungarische Volk keimt nur einen Tanz den „Csardas". Unsere verzärtelten Damen würden gewiß die prüden Angen von diesem Lieblings¬ tanz Ungarns abwenden. Der „Csardas" ist nicht eine gleichmäßig verschie¬ dene Stellung der Füße uach einem menschlichen Takte, sondern ein wildes con- vulsivisches Zucken aller Muskeln von der Fußsohle bis zum Scheitel. Er ist die wildeste sinnliche Leidenschaft in ihren choreographischen Symbolen aus¬ gedrückt. Und doch wird der Csardas selbst auf den Bällen der gebildeten Welt sehr häusig getanzt; ja die Damen gestehen es unverholen, daß sie diesen feurigen Tanz den deutschen und französischen Tänzen vorziehen, die ihnen zu frostig und gemessen scheinen. Rümpfen Sie indessen nicht die Nase, zarte Landsmännin, das Sprichwort sagt: ländlich sittlich. — Unsere Tänze sind kalt, wie unsere Weine, unsere Liebe und unsere Philosophie. Ungarn hat heiße Weine, heiße Herzen, heiße Köpfe und heiße Tänze. Die treffendste Beschreibung des „Csardas" findet man in Karl Beck's „fahrenden Poeten." Die „Donauzeile" ist gewiß eine der prächtigsten und interessantesten Straßen der Welt. Sie läuft sehr breit über eine Stunde lang ein dem prächtigen Strome hin und man hat fortwährend auf der einen Seite eine Reihe herrlicher Häuser und gegenüber die aus malerischen Höhen gelegene Stadt Ofen, die zweite Hauptstadt des Landes. Abends ergeht sich darum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/378>, abgerufen am 01.09.2024.