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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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ausgesehen haben. Vor Anker liegen ist auch für diese Schiffe ein ganz
unrichtiger Ausdruck, sie haben keinen Anker; wenn sie halten sollen, müssen
sie mit Stricken an den Pfählen am Ufer angebunden werden. Die pfeil¬
schnelle Donan kann auch uicht mit Segeln befahren werden, wie die lang¬
samen Flüsse Deutschlands. Wenn die Donauschiffe zu Berg fahren, müssen
sie von Pferden gezogen werden. Man begegnet oft mehren Dutzenden an
das schlössen gespannter Pferde und es kann da von günstigem Winde keine
Rede sein, sondern nur von den Wirkungen des Hen und Hafers. Doch
schmähen wir diese Schiffe nicht, sie kommen weit her von Deutschland und
den türkischen Grenzen. Von Oben bringen sie Kaffee, Zucker, amerikani¬
schen Tabak, Mannfakturwaaren aller Art, Millionen Töpfergcschirre und
Kehlheimer Platten. Von Unten schickt das Rind der Pußten *) sein Fett
und seine Haut zu Markt, der Gutsherr des Barakes sendet die Früchte
des Bodens und das Haar des Lammes, welches von Pest bis nach Eng¬
land und Fraukreich wandert und dort die Blöße eines Pairs und Ministers
deckt. -- Aus Tirol sogar kommeu ganze Wälder in Flöße verwandelt, herab¬
geschwommen. Ach, der frische grüne Baum, unter welchem die schmucke
Tirvlermaid ihre Jodler bis an die Wolken, mit der Lerche wetteifernd,
tönen ließ, in dessen Schatten sie mit einem wackern jungen Hirten süße
Küsse tauschte, dieser Baum liegt da wasscrtruukcu, todt und dumpf, und
ein Tischler wird in seinen Leib schneiden und sägen, um einen Stuhl zu
verfertigen, auf dem irgend ein Philister mit stumpfen Sinnen irgend eine
alberne Zeitung buchstabiren wird. -- Doch hinweg mit diesen düstern Ge¬
danken, kommen wir doch selbst einst in den Magen der Würmer. Treten
wir lieber aus dem Gasthaus und mischen uns unter die Menge, die auf
der "Donauzeile" hin und her strömt.

Himmel, was hat eine so große Stadt für einen großen Magen! welche
Masse von Hühnern, Eiern, Gänsen, Ferkeln, Enten, Schweinen, Grünzeug
und anderes Zeug verschlingt sie alle Tage. In keiner Stadt kann man
diese Bemerkung so summarisch machen, wie in Pesth auf der "Donauzeile"
am Morgen eines Wvchenmarktes. Auf diesem Platz sind alle Magenessen,
zen, die für den Städter vom Lande hereingebracht werden, zusammengedrängt.
Der weite Raum ist buchstäblich bedeckt mit Menschen, Wagen, Pferden,
Ochsen und Victualien. Welche seltsame Launen hat doch die Natur; die
ungarischen Ochsen stehen keinem ebenbürtigen Geschlecht in der Welt nach,
während die Pferde kaum diesen edlen Namen verdienen; sie sind höchstens



*) Ungarische Wu'deplaise, wo migcheur? Hcevdm Tag und Nacht im Freien sind.

ausgesehen haben. Vor Anker liegen ist auch für diese Schiffe ein ganz
unrichtiger Ausdruck, sie haben keinen Anker; wenn sie halten sollen, müssen
sie mit Stricken an den Pfählen am Ufer angebunden werden. Die pfeil¬
schnelle Donan kann auch uicht mit Segeln befahren werden, wie die lang¬
samen Flüsse Deutschlands. Wenn die Donauschiffe zu Berg fahren, müssen
sie von Pferden gezogen werden. Man begegnet oft mehren Dutzenden an
das schlössen gespannter Pferde und es kann da von günstigem Winde keine
Rede sein, sondern nur von den Wirkungen des Hen und Hafers. Doch
schmähen wir diese Schiffe nicht, sie kommen weit her von Deutschland und
den türkischen Grenzen. Von Oben bringen sie Kaffee, Zucker, amerikani¬
schen Tabak, Mannfakturwaaren aller Art, Millionen Töpfergcschirre und
Kehlheimer Platten. Von Unten schickt das Rind der Pußten *) sein Fett
und seine Haut zu Markt, der Gutsherr des Barakes sendet die Früchte
des Bodens und das Haar des Lammes, welches von Pest bis nach Eng¬
land und Fraukreich wandert und dort die Blöße eines Pairs und Ministers
deckt. — Aus Tirol sogar kommeu ganze Wälder in Flöße verwandelt, herab¬
geschwommen. Ach, der frische grüne Baum, unter welchem die schmucke
Tirvlermaid ihre Jodler bis an die Wolken, mit der Lerche wetteifernd,
tönen ließ, in dessen Schatten sie mit einem wackern jungen Hirten süße
Küsse tauschte, dieser Baum liegt da wasscrtruukcu, todt und dumpf, und
ein Tischler wird in seinen Leib schneiden und sägen, um einen Stuhl zu
verfertigen, auf dem irgend ein Philister mit stumpfen Sinnen irgend eine
alberne Zeitung buchstabiren wird. — Doch hinweg mit diesen düstern Ge¬
danken, kommen wir doch selbst einst in den Magen der Würmer. Treten
wir lieber aus dem Gasthaus und mischen uns unter die Menge, die auf
der „Donauzeile" hin und her strömt.

Himmel, was hat eine so große Stadt für einen großen Magen! welche
Masse von Hühnern, Eiern, Gänsen, Ferkeln, Enten, Schweinen, Grünzeug
und anderes Zeug verschlingt sie alle Tage. In keiner Stadt kann man
diese Bemerkung so summarisch machen, wie in Pesth auf der „Donauzeile"
am Morgen eines Wvchenmarktes. Auf diesem Platz sind alle Magenessen,
zen, die für den Städter vom Lande hereingebracht werden, zusammengedrängt.
Der weite Raum ist buchstäblich bedeckt mit Menschen, Wagen, Pferden,
Ochsen und Victualien. Welche seltsame Launen hat doch die Natur; die
ungarischen Ochsen stehen keinem ebenbürtigen Geschlecht in der Welt nach,
während die Pferde kaum diesen edlen Namen verdienen; sie sind höchstens



*) Ungarische Wu'deplaise, wo migcheur? Hcevdm Tag und Nacht im Freien sind.
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[0377] ausgesehen haben. Vor Anker liegen ist auch für diese Schiffe ein ganz unrichtiger Ausdruck, sie haben keinen Anker; wenn sie halten sollen, müssen sie mit Stricken an den Pfählen am Ufer angebunden werden. Die pfeil¬ schnelle Donan kann auch uicht mit Segeln befahren werden, wie die lang¬ samen Flüsse Deutschlands. Wenn die Donauschiffe zu Berg fahren, müssen sie von Pferden gezogen werden. Man begegnet oft mehren Dutzenden an das schlössen gespannter Pferde und es kann da von günstigem Winde keine Rede sein, sondern nur von den Wirkungen des Hen und Hafers. Doch schmähen wir diese Schiffe nicht, sie kommen weit her von Deutschland und den türkischen Grenzen. Von Oben bringen sie Kaffee, Zucker, amerikani¬ schen Tabak, Mannfakturwaaren aller Art, Millionen Töpfergcschirre und Kehlheimer Platten. Von Unten schickt das Rind der Pußten *) sein Fett und seine Haut zu Markt, der Gutsherr des Barakes sendet die Früchte des Bodens und das Haar des Lammes, welches von Pest bis nach Eng¬ land und Fraukreich wandert und dort die Blöße eines Pairs und Ministers deckt. — Aus Tirol sogar kommeu ganze Wälder in Flöße verwandelt, herab¬ geschwommen. Ach, der frische grüne Baum, unter welchem die schmucke Tirvlermaid ihre Jodler bis an die Wolken, mit der Lerche wetteifernd, tönen ließ, in dessen Schatten sie mit einem wackern jungen Hirten süße Küsse tauschte, dieser Baum liegt da wasscrtruukcu, todt und dumpf, und ein Tischler wird in seinen Leib schneiden und sägen, um einen Stuhl zu verfertigen, auf dem irgend ein Philister mit stumpfen Sinnen irgend eine alberne Zeitung buchstabiren wird. — Doch hinweg mit diesen düstern Ge¬ danken, kommen wir doch selbst einst in den Magen der Würmer. Treten wir lieber aus dem Gasthaus und mischen uns unter die Menge, die auf der „Donauzeile" hin und her strömt. Himmel, was hat eine so große Stadt für einen großen Magen! welche Masse von Hühnern, Eiern, Gänsen, Ferkeln, Enten, Schweinen, Grünzeug und anderes Zeug verschlingt sie alle Tage. In keiner Stadt kann man diese Bemerkung so summarisch machen, wie in Pesth auf der „Donauzeile" am Morgen eines Wvchenmarktes. Auf diesem Platz sind alle Magenessen, zen, die für den Städter vom Lande hereingebracht werden, zusammengedrängt. Der weite Raum ist buchstäblich bedeckt mit Menschen, Wagen, Pferden, Ochsen und Victualien. Welche seltsame Launen hat doch die Natur; die ungarischen Ochsen stehen keinem ebenbürtigen Geschlecht in der Welt nach, während die Pferde kaum diesen edlen Namen verdienen; sie sind höchstens *) Ungarische Wu'deplaise, wo migcheur? Hcevdm Tag und Nacht im Freien sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/377>, abgerufen am 01.09.2024.