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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Kranke geheilt. Ihrer Versicherung nach hält man auch in Alexandrien und
in Jerusalem viel darauf. Sie lobt den jetzigen Bischof dort, ist aber auch
der Meinung, wie Jeder, der den Orient bereist: daß seine Mission lächer¬
lich sei. Er hat nur einen Menschen bekehrt, seit er da ist; und dieser
Eine diente ihr als Führer. Mit seinem Glauben war es nicht weit her;
wohl aber war er schlau genug bei den christlichen Reisenden Nutzen von
seiner Bekehrung zu ziehen und nicht bezweifeln ließ es sich, daß das In¬
teresse und seine Armuth die einzigen Beweggründe gewesen zu seiner Glau¬
bensveränderung. Miß Martineau hat zwei lange Pfeifen mitgebracht und
raucht alle Tage ein wenig. Sie thut es nicht des Vergnügens halber,
sondern nnr für ihre Gesundheit, die, wie sie sagt, durch den Tabaksrauch
bedeutend gewonnen habe. Das, ist uicht in Zweifel zu ziehen, denn Rauch
conservirt. William Howitt, der fleißige Uebersetzer, hat eben ein Buch er¬
scheinen lassen, betitelt: "l'Ile tinnvts -an llomes britisli?<ick8," in wel¬
chem er eine kleine Skizze von ihr und ihrem Leben in ihrer Cottage an
den Schottischen Seen gegeben hat, das sie gutmüthig genug ist getreu zu
nennen und ihm nicht übel nimmt. Er beschreibt sie, wie sie mit ledernen
Kamaschen, ein paar großen Stiefeln, einem Regenschirm und einem kleinen
Ranzen auf den Schultern ihres Weges dahinziehe, oder anch in ihrem
Garten grabe oder auf dem Wasser rudere. -- Trotz diesen Beschäftigungen
hat Miß Martineau durchaus nichts Männliches in ihrem Wesen. Sie ist
groß und schlank, etwa 44 Jahre alt, ist uicht hübsch und auch wohl nie
hübsch gewesen; sie hat aber" ein freundliches Gesicht, das durch zwei Grüb¬
chen noch freundlicher gemacht wird, ist durchaus natürlich und ohne Prä¬
tension und sehr lebhaft und munter in ihrer Unterhaltung. Sie spricht
viel -- fast ohne deu andern zu Worte kommen zu lassen, spricht aber sehr
gut und hat eine angenehme Stimme. Leider wird sie durch ihre Taubheit
verhindert, an der allgemeinen Unterhaltung Theil zu nehmen und mancher
bescheidene Gast scheut sich durch ein Sprachrohr mit ihr zu reden. Für
eine Person wie sie ist es ein doppeltes Uebel taub zu sein. Sie wünscht
jetzt zu erfahren, was Lepsius über Egypten geschrieben hat, ehe sie selbst
an das Werk geht; da sie aber nur wenig Deutsch liest, würde es sie hindern,
die Sachen im Originale zu lesen, und eine Uebersetzung ist noch nicht er¬
schienen. -- Miß Martineau gehört zu den Unitarians und wird darum von
denen, die sich zur hohen Kirche bekennen, mit Abscheu betrachtet; -- von
Andern aber ist sie desto höher geschätzt, und ihre Freunde hängen an ihr
mit beinahe abgöttischer Verehrung. Sie genießt im Allgemeinen der höch¬
sten Achtung, und selbst diejenigen, denen ihre Grundsätze nicht zusagen,


GrcnMen, del. 1847. 48

Kranke geheilt. Ihrer Versicherung nach hält man auch in Alexandrien und
in Jerusalem viel darauf. Sie lobt den jetzigen Bischof dort, ist aber auch
der Meinung, wie Jeder, der den Orient bereist: daß seine Mission lächer¬
lich sei. Er hat nur einen Menschen bekehrt, seit er da ist; und dieser
Eine diente ihr als Führer. Mit seinem Glauben war es nicht weit her;
wohl aber war er schlau genug bei den christlichen Reisenden Nutzen von
seiner Bekehrung zu ziehen und nicht bezweifeln ließ es sich, daß das In¬
teresse und seine Armuth die einzigen Beweggründe gewesen zu seiner Glau¬
bensveränderung. Miß Martineau hat zwei lange Pfeifen mitgebracht und
raucht alle Tage ein wenig. Sie thut es nicht des Vergnügens halber,
sondern nnr für ihre Gesundheit, die, wie sie sagt, durch den Tabaksrauch
bedeutend gewonnen habe. Das, ist uicht in Zweifel zu ziehen, denn Rauch
conservirt. William Howitt, der fleißige Uebersetzer, hat eben ein Buch er¬
scheinen lassen, betitelt: „l'Ile tinnvts -an llomes britisli?<ick8," in wel¬
chem er eine kleine Skizze von ihr und ihrem Leben in ihrer Cottage an
den Schottischen Seen gegeben hat, das sie gutmüthig genug ist getreu zu
nennen und ihm nicht übel nimmt. Er beschreibt sie, wie sie mit ledernen
Kamaschen, ein paar großen Stiefeln, einem Regenschirm und einem kleinen
Ranzen auf den Schultern ihres Weges dahinziehe, oder anch in ihrem
Garten grabe oder auf dem Wasser rudere. — Trotz diesen Beschäftigungen
hat Miß Martineau durchaus nichts Männliches in ihrem Wesen. Sie ist
groß und schlank, etwa 44 Jahre alt, ist uicht hübsch und auch wohl nie
hübsch gewesen; sie hat aber" ein freundliches Gesicht, das durch zwei Grüb¬
chen noch freundlicher gemacht wird, ist durchaus natürlich und ohne Prä¬
tension und sehr lebhaft und munter in ihrer Unterhaltung. Sie spricht
viel — fast ohne deu andern zu Worte kommen zu lassen, spricht aber sehr
gut und hat eine angenehme Stimme. Leider wird sie durch ihre Taubheit
verhindert, an der allgemeinen Unterhaltung Theil zu nehmen und mancher
bescheidene Gast scheut sich durch ein Sprachrohr mit ihr zu reden. Für
eine Person wie sie ist es ein doppeltes Uebel taub zu sein. Sie wünscht
jetzt zu erfahren, was Lepsius über Egypten geschrieben hat, ehe sie selbst
an das Werk geht; da sie aber nur wenig Deutsch liest, würde es sie hindern,
die Sachen im Originale zu lesen, und eine Uebersetzung ist noch nicht er¬
schienen. — Miß Martineau gehört zu den Unitarians und wird darum von
denen, die sich zur hohen Kirche bekennen, mit Abscheu betrachtet; — von
Andern aber ist sie desto höher geschätzt, und ihre Freunde hängen an ihr
mit beinahe abgöttischer Verehrung. Sie genießt im Allgemeinen der höch¬
sten Achtung, und selbst diejenigen, denen ihre Grundsätze nicht zusagen,


GrcnMen, del. 1847. 48
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[0371] Kranke geheilt. Ihrer Versicherung nach hält man auch in Alexandrien und in Jerusalem viel darauf. Sie lobt den jetzigen Bischof dort, ist aber auch der Meinung, wie Jeder, der den Orient bereist: daß seine Mission lächer¬ lich sei. Er hat nur einen Menschen bekehrt, seit er da ist; und dieser Eine diente ihr als Führer. Mit seinem Glauben war es nicht weit her; wohl aber war er schlau genug bei den christlichen Reisenden Nutzen von seiner Bekehrung zu ziehen und nicht bezweifeln ließ es sich, daß das In¬ teresse und seine Armuth die einzigen Beweggründe gewesen zu seiner Glau¬ bensveränderung. Miß Martineau hat zwei lange Pfeifen mitgebracht und raucht alle Tage ein wenig. Sie thut es nicht des Vergnügens halber, sondern nnr für ihre Gesundheit, die, wie sie sagt, durch den Tabaksrauch bedeutend gewonnen habe. Das, ist uicht in Zweifel zu ziehen, denn Rauch conservirt. William Howitt, der fleißige Uebersetzer, hat eben ein Buch er¬ scheinen lassen, betitelt: „l'Ile tinnvts -an llomes britisli?<ick8," in wel¬ chem er eine kleine Skizze von ihr und ihrem Leben in ihrer Cottage an den Schottischen Seen gegeben hat, das sie gutmüthig genug ist getreu zu nennen und ihm nicht übel nimmt. Er beschreibt sie, wie sie mit ledernen Kamaschen, ein paar großen Stiefeln, einem Regenschirm und einem kleinen Ranzen auf den Schultern ihres Weges dahinziehe, oder anch in ihrem Garten grabe oder auf dem Wasser rudere. — Trotz diesen Beschäftigungen hat Miß Martineau durchaus nichts Männliches in ihrem Wesen. Sie ist groß und schlank, etwa 44 Jahre alt, ist uicht hübsch und auch wohl nie hübsch gewesen; sie hat aber" ein freundliches Gesicht, das durch zwei Grüb¬ chen noch freundlicher gemacht wird, ist durchaus natürlich und ohne Prä¬ tension und sehr lebhaft und munter in ihrer Unterhaltung. Sie spricht viel — fast ohne deu andern zu Worte kommen zu lassen, spricht aber sehr gut und hat eine angenehme Stimme. Leider wird sie durch ihre Taubheit verhindert, an der allgemeinen Unterhaltung Theil zu nehmen und mancher bescheidene Gast scheut sich durch ein Sprachrohr mit ihr zu reden. Für eine Person wie sie ist es ein doppeltes Uebel taub zu sein. Sie wünscht jetzt zu erfahren, was Lepsius über Egypten geschrieben hat, ehe sie selbst an das Werk geht; da sie aber nur wenig Deutsch liest, würde es sie hindern, die Sachen im Originale zu lesen, und eine Uebersetzung ist noch nicht er¬ schienen. — Miß Martineau gehört zu den Unitarians und wird darum von denen, die sich zur hohen Kirche bekennen, mit Abscheu betrachtet; — von Andern aber ist sie desto höher geschätzt, und ihre Freunde hängen an ihr mit beinahe abgöttischer Verehrung. Sie genießt im Allgemeinen der höch¬ sten Achtung, und selbst diejenigen, denen ihre Grundsätze nicht zusagen, GrcnMen, del. 1847. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/371>, abgerufen am 29.07.2024.