Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.daß die "klugen" lauge des Lebens nicht fertig werden konnten, während Politische Redlichkeit ist ungefähr gleichbedeutend mit politischer Dumm¬ Darüber ist in Frankreich alle Welt einverstanden, daß Ehr' und Red¬ 47*
daß die „klugen" lauge des Lebens nicht fertig werden konnten, während Politische Redlichkeit ist ungefähr gleichbedeutend mit politischer Dumm¬ Darüber ist in Frankreich alle Welt einverstanden, daß Ehr' und Red¬ 47*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184525"/> <p xml:id="ID_1272" prev="#ID_1271"> daß die „klugen" lauge des Lebens nicht fertig werden konnten, während<lb/> wir dummen und einfältigen Menschen uns erbildeten, daß diese „Klugheit"<lb/> am Ende dennoch den schlimmsten Theil gezogen haben, daß sie am Ende<lb/> dennoch zum Untergänge sichren könnte. nachgerade fangen nun auch die<lb/> „klugen" wieder an, dies zu fürchten, — und wer weiß, sie berechnen schon<lb/> heute, wie viel ihnen dereinst ein weiterer Eidbruch eindringen mag? —</p><lb/> <p xml:id="ID_1273"> Politische Redlichkeit ist ungefähr gleichbedeutend mit politischer Dumm¬<lb/> heit geworden. Daran sind unsere heutigen Lenker und Führer uicht Schuld.<lb/> Die Wurzel liegt in der Schlechtigkeit des alten Regiments, der Stamm in<lb/> Voltaire, die Früchte aber erndten wir heute alle Tage. Ein Politiker<lb/> sein — und Gewissen haben wollen, hieße eine Donqnixotenrvlle überneh¬<lb/> men. Ein Philosoph, eine Art Diogenes der neuern Zeit — ohne Faß und<lb/> ohne Leuchte. Der verstorbene Royer Callard sagte einmal von den beiden<lb/> leitenden Staatsmännern Frankreichs: Ur. 1'mors et'it ,>ils I-i, cmisnenco<lb/> «l» trou ot >in N-i,!; — Ur. <Z»i/.»t !'->,, ains —--Es ist schwer,<lb/> hier zu wählen; aber ich denke, das gegen den Castor ,Mus>" ist noch<lb/> härter, als das strenge ausgesprochene Urtheil über den Polluxj dieses<lb/> Doppclgestirus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1274"> Darüber ist in Frankreich alle Welt einverstanden, daß Ehr' und Red¬<lb/> lichkeit in der Politik nun einmal uicht möglich, im Gegentheile, daß sie<lb/> höchst nachtheilig und wahre „Caudidcinfalt" sind. Und in diesem allge¬<lb/> meinen Zugeständnisse scheint mir anch die allgemeine Verantwortlichkeit zu<lb/> liegen, die von den nicht politischen Schändlichkeiten der neuern Zeit<lb/> auf die ganze höhere Gesellschaft Frankreichs zurückfällt. Die Feinde der<lb/> Regierung und die Feinde der höhern Gesellschaftsklassen ahnen diese Ver¬<lb/> antwortlichkeit; und deswegen werfen sie dieselbe einstimmig ihren Gegnern<lb/> an den Kopf. Aber sie ahnen nicht, wo die Ursache dieser Verantwort¬<lb/> lichkeit liegt, und deswegen erscheint ihre directe Anklage gegen die höhere<lb/> Gesellschaft für Verbrechen, wie die der Herren Teste, Cubwres, Praun<lb/> als eine vollkommen unbegründete und ungerechte Verleumdung. Ja, sie<lb/> ist auch in dieser Art vollkommen unbegründet und ungerecht, und noch<lb/> mehr vollkommen unberechtigt. Denn gerecht wird diese Anklage erst, wenn<lb/> sie nicht direct gegen jene Privatverbrcchcn, sondern indirect gegen die schnöde<lb/> Gewissenlosigkeit in allen Staatsangelegenheiten gerichtet ist. Sie ist voll¬<lb/> kommen unberechtigt von Seiten derer, die sie erheben; denn ungefähr Alle,<lb/> ohne Ansnahme, würden in Staatsangelegenheiten ein bischen Gewissenhaf¬<lb/> tigkeit für eben so überflüssig, einfältig und schädlich halten, als die hohen<lb/> Herren, die heute das Heft in Händen haben.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 47*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
daß die „klugen" lauge des Lebens nicht fertig werden konnten, während
wir dummen und einfältigen Menschen uns erbildeten, daß diese „Klugheit"
am Ende dennoch den schlimmsten Theil gezogen haben, daß sie am Ende
dennoch zum Untergänge sichren könnte. nachgerade fangen nun auch die
„klugen" wieder an, dies zu fürchten, — und wer weiß, sie berechnen schon
heute, wie viel ihnen dereinst ein weiterer Eidbruch eindringen mag? —
Politische Redlichkeit ist ungefähr gleichbedeutend mit politischer Dumm¬
heit geworden. Daran sind unsere heutigen Lenker und Führer uicht Schuld.
Die Wurzel liegt in der Schlechtigkeit des alten Regiments, der Stamm in
Voltaire, die Früchte aber erndten wir heute alle Tage. Ein Politiker
sein — und Gewissen haben wollen, hieße eine Donqnixotenrvlle überneh¬
men. Ein Philosoph, eine Art Diogenes der neuern Zeit — ohne Faß und
ohne Leuchte. Der verstorbene Royer Callard sagte einmal von den beiden
leitenden Staatsmännern Frankreichs: Ur. 1'mors et'it ,>ils I-i, cmisnenco
«l» trou ot >in N-i,!; — Ur. <Z»i/.»t !'->,, ains —--Es ist schwer,
hier zu wählen; aber ich denke, das gegen den Castor ,Mus>" ist noch
härter, als das strenge ausgesprochene Urtheil über den Polluxj dieses
Doppclgestirus.
Darüber ist in Frankreich alle Welt einverstanden, daß Ehr' und Red¬
lichkeit in der Politik nun einmal uicht möglich, im Gegentheile, daß sie
höchst nachtheilig und wahre „Caudidcinfalt" sind. Und in diesem allge¬
meinen Zugeständnisse scheint mir anch die allgemeine Verantwortlichkeit zu
liegen, die von den nicht politischen Schändlichkeiten der neuern Zeit
auf die ganze höhere Gesellschaft Frankreichs zurückfällt. Die Feinde der
Regierung und die Feinde der höhern Gesellschaftsklassen ahnen diese Ver¬
antwortlichkeit; und deswegen werfen sie dieselbe einstimmig ihren Gegnern
an den Kopf. Aber sie ahnen nicht, wo die Ursache dieser Verantwort¬
lichkeit liegt, und deswegen erscheint ihre directe Anklage gegen die höhere
Gesellschaft für Verbrechen, wie die der Herren Teste, Cubwres, Praun
als eine vollkommen unbegründete und ungerechte Verleumdung. Ja, sie
ist auch in dieser Art vollkommen unbegründet und ungerecht, und noch
mehr vollkommen unberechtigt. Denn gerecht wird diese Anklage erst, wenn
sie nicht direct gegen jene Privatverbrcchcn, sondern indirect gegen die schnöde
Gewissenlosigkeit in allen Staatsangelegenheiten gerichtet ist. Sie ist voll¬
kommen unberechtigt von Seiten derer, die sie erheben; denn ungefähr Alle,
ohne Ansnahme, würden in Staatsangelegenheiten ein bischen Gewissenhaf¬
tigkeit für eben so überflüssig, einfältig und schädlich halten, als die hohen
Herren, die heute das Heft in Händen haben.
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