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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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fachen einen zu mächtigen Einfluß, als daß wir nus unbefangen dem Zan¬
der der Darstellung überlassen möchten. Hier dagegen fühlen wir uns auf
festem Boden; die Darstellung ist schlicht und klar, ohne dadurch an An¬
schaulichkeit zu verlieren. Es kommt noch hinzu, daß der Verf. ohne ein
Vorurtheil an die Sache geht, daß er niemals eine specielle Stimmung, ei¬
nen augenblicklichen Eindruck vorwalten läßt; er will weder abschrecken noch
einladen, aber er hat ein gesundes Auge und einen frischen Muth, der sich
überall zu Hause findet, wo es vernünftig hergeht. >-- Der Roman, der in
die Schilderungen von den Ansiedlern verwebt ist -- diesmal spielt die An-
siedlung in Tenessee -- ist nicht gerade spannend, aber doch unterhaltend ge¬
nug" um einen brauchbaren Leitfaden für die Reihe der Beschreibungen zu
geben. Da die Verhältnisse der fremden Ansiedler vorzugsweise in's Auge
gefaßt werden, so treten die sozialen Verhältnisse der eigentlichen Amerika¬
ner mehr in Schatten. Selbst in den Wirthshäusern von New-Uork, wo die
Ansiedler sich einige Zeit aufhalten, selbst unter den Landmäklern -- von
deren Thätigkeit Dickens in seinem Chnzzlewit und seinen Reihen ein so ab¬
schreckendes Gemälde aufgestellt hat, finden wir deutsche Kolonisten. Eine
dem Werk beigefügte, ziemlich genaue Karte der Vereinigten Staaten gibt
für das Bild der Wanderschaft einen sichern Haltpunkt.

Aus dem objectiven, stofflichen Interesse, das uns hier vorzugsweise
angezogen hat, verliere" wir uus in dem letzten Buche, welches wir zu be¬
sprechen haben, gänzlich in den formlosen Nebel der Innerlichkeit. (Julie
und ihr Haus. Eine Reliquie. Vou einem Epigonen. Leip¬
zig, F. A. Brock Haus.) Es ist der Frau Bettine von Arnim dedicirt,
von einem jungen Verehrer, or. Schauenburg, den sie einmal der Sage nach
als wohlthätige Fee aus dem unsichern Labyrinth der Preußischen Inquisi¬
tion gerettet hat. Er sollte nämlich auf der Universität über demagogischen
Ideen gebrütet haben, und war deshalb von der Polizei eingezogen; nun
soll Frau v. Arnim ihn aufgefordert habe", sein politisches Glaubensbe¬
kenntniß, so scharf wie möglich, aufzusehen, diesen Aussatz soll sie einer ho¬
hen Person eingereicht haben, und diese sei dadurch, erzählt man sich, so --
wie soll ich sagen -- unterhalten worden, daß sie die augenblickliche Frei¬
lassung des jungen Studiosus verordnet habe. In der Vorrede spricht der
Verf. daher die Gefühle seiner Liebe und Dankbarkeit aus -- er erwähnt
dabei, daß er seiner Furchtlosigkeit wegen (ein Verbrechen, das wir bis
dahin im Preußische,: Straf-Codex vergebeus gesucht haben) in den Kerker habe
wandern müssen. Ebenso spricht er seinen Zweifel ans, ob die besagte Reliquie
wohl würdig sei, der verehrten Frau zu Füßen gelegt zu werden. Wir dit-


fachen einen zu mächtigen Einfluß, als daß wir nus unbefangen dem Zan¬
der der Darstellung überlassen möchten. Hier dagegen fühlen wir uns auf
festem Boden; die Darstellung ist schlicht und klar, ohne dadurch an An¬
schaulichkeit zu verlieren. Es kommt noch hinzu, daß der Verf. ohne ein
Vorurtheil an die Sache geht, daß er niemals eine specielle Stimmung, ei¬
nen augenblicklichen Eindruck vorwalten läßt; er will weder abschrecken noch
einladen, aber er hat ein gesundes Auge und einen frischen Muth, der sich
überall zu Hause findet, wo es vernünftig hergeht. >— Der Roman, der in
die Schilderungen von den Ansiedlern verwebt ist — diesmal spielt die An-
siedlung in Tenessee — ist nicht gerade spannend, aber doch unterhaltend ge¬
nug» um einen brauchbaren Leitfaden für die Reihe der Beschreibungen zu
geben. Da die Verhältnisse der fremden Ansiedler vorzugsweise in's Auge
gefaßt werden, so treten die sozialen Verhältnisse der eigentlichen Amerika¬
ner mehr in Schatten. Selbst in den Wirthshäusern von New-Uork, wo die
Ansiedler sich einige Zeit aufhalten, selbst unter den Landmäklern — von
deren Thätigkeit Dickens in seinem Chnzzlewit und seinen Reihen ein so ab¬
schreckendes Gemälde aufgestellt hat, finden wir deutsche Kolonisten. Eine
dem Werk beigefügte, ziemlich genaue Karte der Vereinigten Staaten gibt
für das Bild der Wanderschaft einen sichern Haltpunkt.

Aus dem objectiven, stofflichen Interesse, das uns hier vorzugsweise
angezogen hat, verliere» wir uus in dem letzten Buche, welches wir zu be¬
sprechen haben, gänzlich in den formlosen Nebel der Innerlichkeit. (Julie
und ihr Haus. Eine Reliquie. Vou einem Epigonen. Leip¬
zig, F. A. Brock Haus.) Es ist der Frau Bettine von Arnim dedicirt,
von einem jungen Verehrer, or. Schauenburg, den sie einmal der Sage nach
als wohlthätige Fee aus dem unsichern Labyrinth der Preußischen Inquisi¬
tion gerettet hat. Er sollte nämlich auf der Universität über demagogischen
Ideen gebrütet haben, und war deshalb von der Polizei eingezogen; nun
soll Frau v. Arnim ihn aufgefordert habe», sein politisches Glaubensbe¬
kenntniß, so scharf wie möglich, aufzusehen, diesen Aussatz soll sie einer ho¬
hen Person eingereicht haben, und diese sei dadurch, erzählt man sich, so —
wie soll ich sagen — unterhalten worden, daß sie die augenblickliche Frei¬
lassung des jungen Studiosus verordnet habe. In der Vorrede spricht der
Verf. daher die Gefühle seiner Liebe und Dankbarkeit aus — er erwähnt
dabei, daß er seiner Furchtlosigkeit wegen (ein Verbrechen, das wir bis
dahin im Preußische,: Straf-Codex vergebeus gesucht haben) in den Kerker habe
wandern müssen. Ebenso spricht er seinen Zweifel ans, ob die besagte Reliquie
wohl würdig sei, der verehrten Frau zu Füßen gelegt zu werden. Wir dit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/346>, abgerufen am 01.09.2024.