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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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nmchtigte, die man zuerst gegen sie gewendet hatte und neue Elemente der
Macht und des Ansehens in dem zu finden wußte, was ihrer Herrschaft
einen tödtlichen Stoß zu versetzen schien.

Wir haben gesehen, wie durch einige besondere Erbrechte, die sich an
einige elende Flecken hefteten, zuweilen an bloße Ruinen, der größere Theil
der Nationalvertretung sich in den Händen einiger Lords befand. Was that
nun die Reformbill? Sie nahm den Steinen ihre Macht und gab sie leben¬
digen Wesen; aber dergestalt, daß das Grundeigenthum, die eigentliche Basis
alles aristokratischen Einflusses, in der Nationalvertretung einen noch größern
Antheil erhielt als es vorher gehabt. Während also Lord Rüssel Manchester
und andern Städten das Wahlrecht gab, vermehrte er gleichzeitig um ein
Beträchtliches die Zahl der Grafschaftsdeputirtcu. Das war ein Stück Zucker
in die bittere Medicin, die man der Aristokratie eingab. Als geschickte Leute
nahmen die Lords diese Entschädigung an und führten dann in die Reform-
bill zwei Klauseln ein, welche die Bedeutung derselben beinahe aufhoben. Sie
gaben nämlich den l'oimnts -"t viU (Pächtern auf Kündigung) das Stimm¬
recht, und erhielten es den Freemen (Corporationögliederu). Es ist merk¬
würdig, daß, obgleich diese Maßregeln das Stimmrecht ausdehnen, dennoch
die wahrhaft liberale Partei dagegen, die Aristokratie aber dafür war; so gewiß
ist es, daß das Recht für sich allein die Unabhängigkeit uoch keineswegs
herstellt, und daß in Ländern, wo die regelmäßige Ausübung der politi¬
schen Rechte uicht durch Eigenthum gesichert ist, jede neue Ausdehnung des
Stimmrechts den Einfluß der Aristokratie vergrößert.

Die Berechtigung dieser beiden Wahlclassen genügte, die Consequenzen
aufzuheben, welche die Reformbill im Keim enthielt, und aus diesem berühm-
ten Act eine Pandorabüchse zu macheu, aus welcher sich bis dahin unbe¬
kannte Laster über England verbreiteten, welche allein der Fortschritt des
Volksgeistes auslöschen kann, während der Arm der Gesetzgebung ihnen ge¬
genüber machtlos ist, da sie sich unter dem Schirm der Gesetzgebung selbst
entwickeln.

Nach der Reformbill hat jeder Pachter von 50 Pfd. Se. in den Graf¬
schaften, jeder Miether von 10 Pfd. Se. in den Städten das Stimmrecht.
Was geht daraus hervor? Die großen Eigenthümer bringen eine ganze
Bevölkerung von Wählern hervor, die ihre Unterthanen, ihr Eigenthum
sind. Der Herzog von Buckingham, anstatt seine Güter im Großen zu
verpachten, zertheilt sie bis in's Unendliche und verpachtet sie auf Kündi¬
gung ; wenn dann die Wahlen kommen, zieht das ganze Heer seiner Pächter
unter seinem Banner in's Feld, bei Strafe der Aufkündigung. Sheik, in


nmchtigte, die man zuerst gegen sie gewendet hatte und neue Elemente der
Macht und des Ansehens in dem zu finden wußte, was ihrer Herrschaft
einen tödtlichen Stoß zu versetzen schien.

Wir haben gesehen, wie durch einige besondere Erbrechte, die sich an
einige elende Flecken hefteten, zuweilen an bloße Ruinen, der größere Theil
der Nationalvertretung sich in den Händen einiger Lords befand. Was that
nun die Reformbill? Sie nahm den Steinen ihre Macht und gab sie leben¬
digen Wesen; aber dergestalt, daß das Grundeigenthum, die eigentliche Basis
alles aristokratischen Einflusses, in der Nationalvertretung einen noch größern
Antheil erhielt als es vorher gehabt. Während also Lord Rüssel Manchester
und andern Städten das Wahlrecht gab, vermehrte er gleichzeitig um ein
Beträchtliches die Zahl der Grafschaftsdeputirtcu. Das war ein Stück Zucker
in die bittere Medicin, die man der Aristokratie eingab. Als geschickte Leute
nahmen die Lords diese Entschädigung an und führten dann in die Reform-
bill zwei Klauseln ein, welche die Bedeutung derselben beinahe aufhoben. Sie
gaben nämlich den l'oimnts -»t viU (Pächtern auf Kündigung) das Stimm¬
recht, und erhielten es den Freemen (Corporationögliederu). Es ist merk¬
würdig, daß, obgleich diese Maßregeln das Stimmrecht ausdehnen, dennoch
die wahrhaft liberale Partei dagegen, die Aristokratie aber dafür war; so gewiß
ist es, daß das Recht für sich allein die Unabhängigkeit uoch keineswegs
herstellt, und daß in Ländern, wo die regelmäßige Ausübung der politi¬
schen Rechte uicht durch Eigenthum gesichert ist, jede neue Ausdehnung des
Stimmrechts den Einfluß der Aristokratie vergrößert.

Die Berechtigung dieser beiden Wahlclassen genügte, die Consequenzen
aufzuheben, welche die Reformbill im Keim enthielt, und aus diesem berühm-
ten Act eine Pandorabüchse zu macheu, aus welcher sich bis dahin unbe¬
kannte Laster über England verbreiteten, welche allein der Fortschritt des
Volksgeistes auslöschen kann, während der Arm der Gesetzgebung ihnen ge¬
genüber machtlos ist, da sie sich unter dem Schirm der Gesetzgebung selbst
entwickeln.

Nach der Reformbill hat jeder Pachter von 50 Pfd. Se. in den Graf¬
schaften, jeder Miether von 10 Pfd. Se. in den Städten das Stimmrecht.
Was geht daraus hervor? Die großen Eigenthümer bringen eine ganze
Bevölkerung von Wählern hervor, die ihre Unterthanen, ihr Eigenthum
sind. Der Herzog von Buckingham, anstatt seine Güter im Großen zu
verpachten, zertheilt sie bis in's Unendliche und verpachtet sie auf Kündi¬
gung ; wenn dann die Wahlen kommen, zieht das ganze Heer seiner Pächter
unter seinem Banner in's Feld, bei Strafe der Aufkündigung. Sheik, in


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[0318] nmchtigte, die man zuerst gegen sie gewendet hatte und neue Elemente der Macht und des Ansehens in dem zu finden wußte, was ihrer Herrschaft einen tödtlichen Stoß zu versetzen schien. Wir haben gesehen, wie durch einige besondere Erbrechte, die sich an einige elende Flecken hefteten, zuweilen an bloße Ruinen, der größere Theil der Nationalvertretung sich in den Händen einiger Lords befand. Was that nun die Reformbill? Sie nahm den Steinen ihre Macht und gab sie leben¬ digen Wesen; aber dergestalt, daß das Grundeigenthum, die eigentliche Basis alles aristokratischen Einflusses, in der Nationalvertretung einen noch größern Antheil erhielt als es vorher gehabt. Während also Lord Rüssel Manchester und andern Städten das Wahlrecht gab, vermehrte er gleichzeitig um ein Beträchtliches die Zahl der Grafschaftsdeputirtcu. Das war ein Stück Zucker in die bittere Medicin, die man der Aristokratie eingab. Als geschickte Leute nahmen die Lords diese Entschädigung an und führten dann in die Reform- bill zwei Klauseln ein, welche die Bedeutung derselben beinahe aufhoben. Sie gaben nämlich den l'oimnts -»t viU (Pächtern auf Kündigung) das Stimm¬ recht, und erhielten es den Freemen (Corporationögliederu). Es ist merk¬ würdig, daß, obgleich diese Maßregeln das Stimmrecht ausdehnen, dennoch die wahrhaft liberale Partei dagegen, die Aristokratie aber dafür war; so gewiß ist es, daß das Recht für sich allein die Unabhängigkeit uoch keineswegs herstellt, und daß in Ländern, wo die regelmäßige Ausübung der politi¬ schen Rechte uicht durch Eigenthum gesichert ist, jede neue Ausdehnung des Stimmrechts den Einfluß der Aristokratie vergrößert. Die Berechtigung dieser beiden Wahlclassen genügte, die Consequenzen aufzuheben, welche die Reformbill im Keim enthielt, und aus diesem berühm- ten Act eine Pandorabüchse zu macheu, aus welcher sich bis dahin unbe¬ kannte Laster über England verbreiteten, welche allein der Fortschritt des Volksgeistes auslöschen kann, während der Arm der Gesetzgebung ihnen ge¬ genüber machtlos ist, da sie sich unter dem Schirm der Gesetzgebung selbst entwickeln. Nach der Reformbill hat jeder Pachter von 50 Pfd. Se. in den Graf¬ schaften, jeder Miether von 10 Pfd. Se. in den Städten das Stimmrecht. Was geht daraus hervor? Die großen Eigenthümer bringen eine ganze Bevölkerung von Wählern hervor, die ihre Unterthanen, ihr Eigenthum sind. Der Herzog von Buckingham, anstatt seine Güter im Großen zu verpachten, zertheilt sie bis in's Unendliche und verpachtet sie auf Kündi¬ gung ; wenn dann die Wahlen kommen, zieht das ganze Heer seiner Pächter unter seinem Banner in's Feld, bei Strafe der Aufkündigung. Sheik, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/318>, abgerufen am 28.07.2024.