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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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selben anschließen sollten, jetzt will man aber grade das Entgegengesetzte.
Das Bürgerthum soll den Anfang machen, den Kern bilden, und die Jugend
soll sich anschließen. Dies ist ein wichtiger Unterschied, ein großer Fortschritt.
Die Burschenschaft konnte unterdrückt werden, eben weil sie ein Körper war und
so feste Punkte zum Angriff bot, die Reform-Partei kann es nicht werden,
da sie nirgends anzupacken ist. Was die Reformer vor Allem erstreben, ist
die Aushebung der besonderen akademischen Gerichtsbarkeit, unter welcher in
Deutschland noch alle Studenten stehen. Ueber Unterschriften von Stu-
denten zählte die Adresse, welche von Heidelberg aus im vorigen Sommer
an die zweite badische Kammer in Carlsruhe abging, und mit kräftigen geist¬
vollen Worten um Aufhebung der besondern akademischen Gerichtsbarkeit bat
und auf die vielen Nachtheile derselben gar eindringlich aufmerksam machte.
Die Kammer hat sich auch mit dieser Angelegenheit beschäftigt, und pro et
couti-it ist vieles darüber gesprochen worden, obgleich die Sache selbst vor¬
läufig bis auf Weiteres noch beim Alten bleiben wird. Wir Deutschen sind
nicht so rasch im Reformiren, es heißt bei uns Eile mit Weile, und so
mag es denn vielleicht auch dereinst mit der Zeit dahin kommen, daß diese
besondere akademische Gerichtsbarkeit als uicht mehr für unsere jetzigen Zu¬
stände geeignet gefunden, uicht allein auf den badischen, sondern auf allen
deutschen Hochschulen abgeschafft wird.

Nächst dieser Vereinigung der Gerichtsbarkeit ist möglichste Verminde¬
rung, ja von einem großen Theil derselben, gänzliche Abschaffung des Duelles,
womit auch besonders von Seiten der Corps in Heidelberg großer Mißbrauch
getrieben wird, eine Hauptbcstrebnng der Reform-Partei. Die größte Zahl
der zu ihr Gehörigen gibt oder verlangt niemals Genugthuung, sondern
stellt sich in allen solchen Fällen unter den Schutz des Gesetzes, und mehr
noch der allgemeinen Stimme des Publikums, indem sie stets zur Veröffent-
lichung dergleichen Falle durch die Tagespreise schreitet. Daß, wie über¬
haupt überall, so namentlich auch auf den Universitäten, mit dem Duell ent¬
setzlich viel Unwesen getrieben wird, welcher Vernünftige wollte Dies wohl
leugnen? Drei Viertheil aller vorkommenden Duelle hätten leicht vermieden
werden können, ohne daß die wahre Ehre der dabei Betheiligten dadurch
im Mindesten verletzt wäre. Besonders aber bei den Corps-Studenten
in Heidelberg hat das Dnelliren eine Ausdehnung erreicht, die geradezu
lächerlich ist; denn wer nur bei ihnen den Schläger gut zu führen ver¬
steht, glaubt ein vollgültiges Recht, zu haben, ungestraft allen mög.
lichen Uebermuth, ja selbst empörende Rohheiten begehen zu können. Daß
man hiegegen auf alle mögliche Weise einzuwirken und auch die öffentliche


selben anschließen sollten, jetzt will man aber grade das Entgegengesetzte.
Das Bürgerthum soll den Anfang machen, den Kern bilden, und die Jugend
soll sich anschließen. Dies ist ein wichtiger Unterschied, ein großer Fortschritt.
Die Burschenschaft konnte unterdrückt werden, eben weil sie ein Körper war und
so feste Punkte zum Angriff bot, die Reform-Partei kann es nicht werden,
da sie nirgends anzupacken ist. Was die Reformer vor Allem erstreben, ist
die Aushebung der besonderen akademischen Gerichtsbarkeit, unter welcher in
Deutschland noch alle Studenten stehen. Ueber Unterschriften von Stu-
denten zählte die Adresse, welche von Heidelberg aus im vorigen Sommer
an die zweite badische Kammer in Carlsruhe abging, und mit kräftigen geist¬
vollen Worten um Aufhebung der besondern akademischen Gerichtsbarkeit bat
und auf die vielen Nachtheile derselben gar eindringlich aufmerksam machte.
Die Kammer hat sich auch mit dieser Angelegenheit beschäftigt, und pro et
couti-it ist vieles darüber gesprochen worden, obgleich die Sache selbst vor¬
läufig bis auf Weiteres noch beim Alten bleiben wird. Wir Deutschen sind
nicht so rasch im Reformiren, es heißt bei uns Eile mit Weile, und so
mag es denn vielleicht auch dereinst mit der Zeit dahin kommen, daß diese
besondere akademische Gerichtsbarkeit als uicht mehr für unsere jetzigen Zu¬
stände geeignet gefunden, uicht allein auf den badischen, sondern auf allen
deutschen Hochschulen abgeschafft wird.

Nächst dieser Vereinigung der Gerichtsbarkeit ist möglichste Verminde¬
rung, ja von einem großen Theil derselben, gänzliche Abschaffung des Duelles,
womit auch besonders von Seiten der Corps in Heidelberg großer Mißbrauch
getrieben wird, eine Hauptbcstrebnng der Reform-Partei. Die größte Zahl
der zu ihr Gehörigen gibt oder verlangt niemals Genugthuung, sondern
stellt sich in allen solchen Fällen unter den Schutz des Gesetzes, und mehr
noch der allgemeinen Stimme des Publikums, indem sie stets zur Veröffent-
lichung dergleichen Falle durch die Tagespreise schreitet. Daß, wie über¬
haupt überall, so namentlich auch auf den Universitäten, mit dem Duell ent¬
setzlich viel Unwesen getrieben wird, welcher Vernünftige wollte Dies wohl
leugnen? Drei Viertheil aller vorkommenden Duelle hätten leicht vermieden
werden können, ohne daß die wahre Ehre der dabei Betheiligten dadurch
im Mindesten verletzt wäre. Besonders aber bei den Corps-Studenten
in Heidelberg hat das Dnelliren eine Ausdehnung erreicht, die geradezu
lächerlich ist; denn wer nur bei ihnen den Schläger gut zu führen ver¬
steht, glaubt ein vollgültiges Recht, zu haben, ungestraft allen mög.
lichen Uebermuth, ja selbst empörende Rohheiten begehen zu können. Daß
man hiegegen auf alle mögliche Weise einzuwirken und auch die öffentliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/277>, abgerufen am 01.09.2024.