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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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mein Erstaunen aus und hörte dann, daß die Leute so eifrig seien, weil
sie für die -- Leiche dreißig Franken erhielten. Ein Hakcnstoß zerriß dem
Ertrunkenen die Brust so, daß es am Ende zweifelhaft war, ob er ertrunken
oder erstochen in die Ewigkeit geschickt wurde. -- Am andern Tage aber
fanden sich dann Leute, die eine Sammlung für die Wittwe des Unglück¬
lichen anstellten und die sehr bald bis zu 600 Fr. hinauflief.

Der öffentliche Geist hat aber gegenwärtig eine neue Richtung einge¬
schlagen. Das Ehrlichscin wird Mode auch' in öffentlichen Verhältnissen;
die Masse der Anklagen gegen die Bestochenen und Bestechendeil bürgt halb¬
wegs dafür, denn es zeigt, daß alle Welt auf der Lauer gegen Corruptions-
geschichten liegt. Das Uebel hatte eine hohe Stufe erreicht, und dies selbst
führt vielleicht zum Bessern. Wir wollen es wenigstens hoffen.

Die nächste Folge aber ist, daß sowohl das Julikönigthum, als das
Ministerium Guizot unter dieser Last von Skandal schwer aufseufzen. Es
ist eine alte Geschichte, daß Herr Guizot nicht mehr fest steht, und er mag
immerhin noch eine Weile schwanken, ehe er fällt. Aber zu einer festen
Stellung wird er nicht mehr kommen. Und je länger er sich in derjenigen
erhält, in der er jetzt ist, desto unglücklicher für das Julikönigthnm. Wie
fest dasselbe in den Zuständen wurzelt, beweist vielleicht nichts so sehr, als
daß er selbst von diesen Skandalen bis jetzt nnr wenig getroffen wurde. Dauern
die heutigen Zustände aber noch lange, so kann man für nichts mehr stehen.

In all' diesen Geschichten liegt die alte Lehre: "ehrlich währt am Läng¬
sten!" wieder einmal so klar am Tage wie selten vorher. Die feste Grundlage
des Juliköuigthums schwankt, weil es sich der schlechten Mittel bedienen zu
dürfen glaubte. Und Herr Guizot bricht zusammen am Tage, wo er hoffen
durfte, seine höchste Machtstufe erreicht zu haben.




AY*

mein Erstaunen aus und hörte dann, daß die Leute so eifrig seien, weil
sie für die — Leiche dreißig Franken erhielten. Ein Hakcnstoß zerriß dem
Ertrunkenen die Brust so, daß es am Ende zweifelhaft war, ob er ertrunken
oder erstochen in die Ewigkeit geschickt wurde. — Am andern Tage aber
fanden sich dann Leute, die eine Sammlung für die Wittwe des Unglück¬
lichen anstellten und die sehr bald bis zu 600 Fr. hinauflief.

Der öffentliche Geist hat aber gegenwärtig eine neue Richtung einge¬
schlagen. Das Ehrlichscin wird Mode auch' in öffentlichen Verhältnissen;
die Masse der Anklagen gegen die Bestochenen und Bestechendeil bürgt halb¬
wegs dafür, denn es zeigt, daß alle Welt auf der Lauer gegen Corruptions-
geschichten liegt. Das Uebel hatte eine hohe Stufe erreicht, und dies selbst
führt vielleicht zum Bessern. Wir wollen es wenigstens hoffen.

Die nächste Folge aber ist, daß sowohl das Julikönigthum, als das
Ministerium Guizot unter dieser Last von Skandal schwer aufseufzen. Es
ist eine alte Geschichte, daß Herr Guizot nicht mehr fest steht, und er mag
immerhin noch eine Weile schwanken, ehe er fällt. Aber zu einer festen
Stellung wird er nicht mehr kommen. Und je länger er sich in derjenigen
erhält, in der er jetzt ist, desto unglücklicher für das Julikönigthnm. Wie
fest dasselbe in den Zuständen wurzelt, beweist vielleicht nichts so sehr, als
daß er selbst von diesen Skandalen bis jetzt nnr wenig getroffen wurde. Dauern
die heutigen Zustände aber noch lange, so kann man für nichts mehr stehen.

In all' diesen Geschichten liegt die alte Lehre: „ehrlich währt am Läng¬
sten!" wieder einmal so klar am Tage wie selten vorher. Die feste Grundlage
des Juliköuigthums schwankt, weil es sich der schlechten Mittel bedienen zu
dürfen glaubte. Und Herr Guizot bricht zusammen am Tage, wo er hoffen
durfte, seine höchste Machtstufe erreicht zu haben.




AY*
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[0229] mein Erstaunen aus und hörte dann, daß die Leute so eifrig seien, weil sie für die — Leiche dreißig Franken erhielten. Ein Hakcnstoß zerriß dem Ertrunkenen die Brust so, daß es am Ende zweifelhaft war, ob er ertrunken oder erstochen in die Ewigkeit geschickt wurde. — Am andern Tage aber fanden sich dann Leute, die eine Sammlung für die Wittwe des Unglück¬ lichen anstellten und die sehr bald bis zu 600 Fr. hinauflief. Der öffentliche Geist hat aber gegenwärtig eine neue Richtung einge¬ schlagen. Das Ehrlichscin wird Mode auch' in öffentlichen Verhältnissen; die Masse der Anklagen gegen die Bestochenen und Bestechendeil bürgt halb¬ wegs dafür, denn es zeigt, daß alle Welt auf der Lauer gegen Corruptions- geschichten liegt. Das Uebel hatte eine hohe Stufe erreicht, und dies selbst führt vielleicht zum Bessern. Wir wollen es wenigstens hoffen. Die nächste Folge aber ist, daß sowohl das Julikönigthum, als das Ministerium Guizot unter dieser Last von Skandal schwer aufseufzen. Es ist eine alte Geschichte, daß Herr Guizot nicht mehr fest steht, und er mag immerhin noch eine Weile schwanken, ehe er fällt. Aber zu einer festen Stellung wird er nicht mehr kommen. Und je länger er sich in derjenigen erhält, in der er jetzt ist, desto unglücklicher für das Julikönigthnm. Wie fest dasselbe in den Zuständen wurzelt, beweist vielleicht nichts so sehr, als daß er selbst von diesen Skandalen bis jetzt nnr wenig getroffen wurde. Dauern die heutigen Zustände aber noch lange, so kann man für nichts mehr stehen. In all' diesen Geschichten liegt die alte Lehre: „ehrlich währt am Läng¬ sten!" wieder einmal so klar am Tage wie selten vorher. Die feste Grundlage des Juliköuigthums schwankt, weil es sich der schlechten Mittel bedienen zu dürfen glaubte. Und Herr Guizot bricht zusammen am Tage, wo er hoffen durfte, seine höchste Machtstufe erreicht zu haben. AY*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/229>, abgerufen am 27.07.2024.