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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Gerüchen Oeconomie, während er, bei anderer Einrichtung, ans dieser Be-
sitzung 3000 Menschen vollkommen bequem Wohnung und Unterhalt anweisen
könne. "Und Sie sollten nichts dabei entbehren," wandte er sich an Sir I.
G. der ihm freundlich auf die Schulter klopfend doch seine kleinen Bedenk-
lichkeiten bei dieser Aussicht haben mochte. -- Owen behauptet, er habe
alle Bedingungen, die die menschliche Natur zu ihrem Glücke bedürfe, her¬
ausgefunden und in seinem System sei Sorge getragen, durch Befriedigung
derselben das Wohl Aller zu sichern. -- Ich rechnete dazu: "den eigenen
Heerd." -- Er nannte diese Idee eine Schwäche, die die heutige Erziehung
einpflanze, die aber in seine" Anstalten, wo die Kiuder vom zweiten Jahre
an den Händen der Mutter entrissen, nur Lehren der Vermmst hörten,
uicht mehr zu finden sein würde. Die Freude des Besitzes überhaupt --
den Wunsch, irgend Etwas sein eigen zu nennen -- schalt er ein Vorurtheil.
Ich fühlte wohl, daß ich nicht reif sei für seine Welt. Ich konnte mir es
in einem großen Logirhanse nicht wohnlich denken. Ich sagte ihm, daß ich
ohne die Sorgen des Lebens die Freuden desselben nicht begreifen könne
und daß mir eine Welt von lauter Glücklichen etwas ganz Erschreckliches
sei, weil es darin ja keine Gelegenheit gebe, einen Betrübten zu trösten,
einen Unglücklichen aufzurichten, oder auch sonst individuell zu dem Wohl
der Mitlebenden beitragen zu können. -- "Wie egoistisch!" sagte er, "und
wie haben Sie sich denn den Himmel ausgemalt? Glaubten Sie hungrige
und weinende Engel zu finden?" -- Daran hatte ich nun freilich uicht ge¬
dacht, und ich fühlte mich einen Augenblick geschlagen, während er sich seines
Einfalls freute.

So richtig aber auch sein Einwurf war, so konnte ich mich doch nicht als
das Glied einer großen Kette denken, das individuell nichts sei, dessen Le¬
bensberuf sich auf die Entwickelung seiner Anlagen beschränke, und das denn
endlich -- ohne eine Lücke zu lassen, der Erde wiedergegeben werde, der
es entnommen, um sich alsobald in die Atmosphäre zu verlieren. -- Es
liegt etwas so Grauenvolles in dieser Idee, daß sich die menschliche Natur
mit aller Macht dagegen sträubt, welche Beweise auch dafür aufgeführt wer¬
den mögen! -- Ich bat ihn von diesem Punkte abzustehen, mit dem er mich
durch Nichts auszusöhnen vermöge, selbst nicht durch die Versprechungen,
den Frauen in seiner Welt eine" so viel bessern und ihrer würdigern Platz
anzuweisen. Er hat großes Mitleid mit ihnen. Er meint, sie würden aus¬
gezogen das zu schwatzen, was sie nicht dächten, und das zu scheinen was
sie nicht sind, und er wünscht ihnen zu lehren in Wort und That das zu


Gerüchen Oeconomie, während er, bei anderer Einrichtung, ans dieser Be-
sitzung 3000 Menschen vollkommen bequem Wohnung und Unterhalt anweisen
könne. „Und Sie sollten nichts dabei entbehren," wandte er sich an Sir I.
G. der ihm freundlich auf die Schulter klopfend doch seine kleinen Bedenk-
lichkeiten bei dieser Aussicht haben mochte. — Owen behauptet, er habe
alle Bedingungen, die die menschliche Natur zu ihrem Glücke bedürfe, her¬
ausgefunden und in seinem System sei Sorge getragen, durch Befriedigung
derselben das Wohl Aller zu sichern. — Ich rechnete dazu: „den eigenen
Heerd." — Er nannte diese Idee eine Schwäche, die die heutige Erziehung
einpflanze, die aber in seine» Anstalten, wo die Kiuder vom zweiten Jahre
an den Händen der Mutter entrissen, nur Lehren der Vermmst hörten,
uicht mehr zu finden sein würde. Die Freude des Besitzes überhaupt —
den Wunsch, irgend Etwas sein eigen zu nennen — schalt er ein Vorurtheil.
Ich fühlte wohl, daß ich nicht reif sei für seine Welt. Ich konnte mir es
in einem großen Logirhanse nicht wohnlich denken. Ich sagte ihm, daß ich
ohne die Sorgen des Lebens die Freuden desselben nicht begreifen könne
und daß mir eine Welt von lauter Glücklichen etwas ganz Erschreckliches
sei, weil es darin ja keine Gelegenheit gebe, einen Betrübten zu trösten,
einen Unglücklichen aufzurichten, oder auch sonst individuell zu dem Wohl
der Mitlebenden beitragen zu können. — „Wie egoistisch!" sagte er, „und
wie haben Sie sich denn den Himmel ausgemalt? Glaubten Sie hungrige
und weinende Engel zu finden?" — Daran hatte ich nun freilich uicht ge¬
dacht, und ich fühlte mich einen Augenblick geschlagen, während er sich seines
Einfalls freute.

So richtig aber auch sein Einwurf war, so konnte ich mich doch nicht als
das Glied einer großen Kette denken, das individuell nichts sei, dessen Le¬
bensberuf sich auf die Entwickelung seiner Anlagen beschränke, und das denn
endlich — ohne eine Lücke zu lassen, der Erde wiedergegeben werde, der
es entnommen, um sich alsobald in die Atmosphäre zu verlieren. — Es
liegt etwas so Grauenvolles in dieser Idee, daß sich die menschliche Natur
mit aller Macht dagegen sträubt, welche Beweise auch dafür aufgeführt wer¬
den mögen! — Ich bat ihn von diesem Punkte abzustehen, mit dem er mich
durch Nichts auszusöhnen vermöge, selbst nicht durch die Versprechungen,
den Frauen in seiner Welt eine» so viel bessern und ihrer würdigern Platz
anzuweisen. Er hat großes Mitleid mit ihnen. Er meint, sie würden aus¬
gezogen das zu schwatzen, was sie nicht dächten, und das zu scheinen was
sie nicht sind, und er wünscht ihnen zu lehren in Wort und That das zu


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[0194] Gerüchen Oeconomie, während er, bei anderer Einrichtung, ans dieser Be- sitzung 3000 Menschen vollkommen bequem Wohnung und Unterhalt anweisen könne. „Und Sie sollten nichts dabei entbehren," wandte er sich an Sir I. G. der ihm freundlich auf die Schulter klopfend doch seine kleinen Bedenk- lichkeiten bei dieser Aussicht haben mochte. — Owen behauptet, er habe alle Bedingungen, die die menschliche Natur zu ihrem Glücke bedürfe, her¬ ausgefunden und in seinem System sei Sorge getragen, durch Befriedigung derselben das Wohl Aller zu sichern. — Ich rechnete dazu: „den eigenen Heerd." — Er nannte diese Idee eine Schwäche, die die heutige Erziehung einpflanze, die aber in seine» Anstalten, wo die Kiuder vom zweiten Jahre an den Händen der Mutter entrissen, nur Lehren der Vermmst hörten, uicht mehr zu finden sein würde. Die Freude des Besitzes überhaupt — den Wunsch, irgend Etwas sein eigen zu nennen — schalt er ein Vorurtheil. Ich fühlte wohl, daß ich nicht reif sei für seine Welt. Ich konnte mir es in einem großen Logirhanse nicht wohnlich denken. Ich sagte ihm, daß ich ohne die Sorgen des Lebens die Freuden desselben nicht begreifen könne und daß mir eine Welt von lauter Glücklichen etwas ganz Erschreckliches sei, weil es darin ja keine Gelegenheit gebe, einen Betrübten zu trösten, einen Unglücklichen aufzurichten, oder auch sonst individuell zu dem Wohl der Mitlebenden beitragen zu können. — „Wie egoistisch!" sagte er, „und wie haben Sie sich denn den Himmel ausgemalt? Glaubten Sie hungrige und weinende Engel zu finden?" — Daran hatte ich nun freilich uicht ge¬ dacht, und ich fühlte mich einen Augenblick geschlagen, während er sich seines Einfalls freute. So richtig aber auch sein Einwurf war, so konnte ich mich doch nicht als das Glied einer großen Kette denken, das individuell nichts sei, dessen Le¬ bensberuf sich auf die Entwickelung seiner Anlagen beschränke, und das denn endlich — ohne eine Lücke zu lassen, der Erde wiedergegeben werde, der es entnommen, um sich alsobald in die Atmosphäre zu verlieren. — Es liegt etwas so Grauenvolles in dieser Idee, daß sich die menschliche Natur mit aller Macht dagegen sträubt, welche Beweise auch dafür aufgeführt wer¬ den mögen! — Ich bat ihn von diesem Punkte abzustehen, mit dem er mich durch Nichts auszusöhnen vermöge, selbst nicht durch die Versprechungen, den Frauen in seiner Welt eine» so viel bessern und ihrer würdigern Platz anzuweisen. Er hat großes Mitleid mit ihnen. Er meint, sie würden aus¬ gezogen das zu schwatzen, was sie nicht dächten, und das zu scheinen was sie nicht sind, und er wünscht ihnen zu lehren in Wort und That das zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/194>, abgerufen am 01.09.2024.