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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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macht, ihm die Reform Irlands anzuvertrauen. Schwerlich aber wird man
darauf eingehen. Das religiöse England kann nichts mit den Systemen ei¬
nes Mannes zu thun haben, der Vernichtung des Ich -- oder vielmehr
Auflösung desselben predigt. Er ist 74 Jahre alt und sieht seinein Ende
sehr heiter entgegen. Er ist ein vortrefflicher Mensch, der sein ganzes Leben
dem Wohl der Menschheit gewidmet hat, und seine Söhne und Töchter, die
er alle selbst uach seiner Theorie erzogen, sind vortrefflich gerathen und die
Ersteren leben in den vereinigten Staaten als glücklich geachtete Männer
in Aemtern und Würden. Was aber ihm selbst und seinem Kreise anpaßte,
möchte doch für's Allgemeine -- selbst jeden religiösen Gesichtspunkt bei Seite
gesetzt -- nicht die Wirkung haben. - - Die rohen Naturen brauchen einmal
eines Hängebandes, das die Leidenschaften zahme; -- denn ehe wir eine
Menschheit sehen, >wie Owen sie denkt oder träumt -- eine Art moralischer
Halbgötter, die nur das Gute kennen und das Reinste wollen -- möchte die
Welt sich noch oft verjüngen müssen. -- Owen will übrigens durchaus nichts
mit den Communisten und andern Verbrüderungen der Art zu thun haben.
Er meint, eine Hand voll Menschen, die sich hier und da zusammenrotte",
die nie ein Ganzes bilden werden, weil sie durch kleine Meinungsverschieden¬
heit eine unübersteigliche Scheidewand unter sich aufgeworfen -- das Loos
aller Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten von Ewigkeit her -- würden nie eine
Welt umbilden können und an einem Geringeren liege ihm nicht. Er sagte
mir: er betrachte das ganze System der National-Erziehung in Preußen als
sein Werk; er habe die Idee dazu gegeben und sein Plan sei gebilligt und
befolgt worden, wie er mir durch ein eigenhändiges Schreiben von Alexander
von Humboldt beweisen könne. Wenn ihm Irland nicht anvertraut werde,
wollte er nach Philadelphia zurückkehren, wo er grade jetzt viel Nützliches
wirken könne.

Während er mir dieses erzählte und sich zugleich über manche Punkte
seiner Theorie weitläufig ausließ -- froh einen nicht ungelehrigen Schüler
zu finden, der schon ganz "" l'-ut war, wie er lobend rühmte -- wandelten wir
auf der Terrasse von Se. John'S Lodge auf und ab, und die Pracht und
der Luxus dieser beinahe fürstlichen Residenz stach seltsam gegen die Plane
des Philanthropen ab, der den Reichen gern zu Gunsten des Armen be¬
schränken möchte und der sich doch als Gast an deö Reichen Tafel sehr wohl
fühlte. Ich machte ihn aufmerksam auf das "liV- tap" vor uns, während
wir in fünf Minuten in einer der Straßen Londons sein könnten, wo jeder
Schritt uns die ausgestreckte Hand des Elends und des Hungers zeigte.
Er gestand das zu, als die Folge des jetzigen verkehrten Systems der bnr-


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macht, ihm die Reform Irlands anzuvertrauen. Schwerlich aber wird man
darauf eingehen. Das religiöse England kann nichts mit den Systemen ei¬
nes Mannes zu thun haben, der Vernichtung des Ich — oder vielmehr
Auflösung desselben predigt. Er ist 74 Jahre alt und sieht seinein Ende
sehr heiter entgegen. Er ist ein vortrefflicher Mensch, der sein ganzes Leben
dem Wohl der Menschheit gewidmet hat, und seine Söhne und Töchter, die
er alle selbst uach seiner Theorie erzogen, sind vortrefflich gerathen und die
Ersteren leben in den vereinigten Staaten als glücklich geachtete Männer
in Aemtern und Würden. Was aber ihm selbst und seinem Kreise anpaßte,
möchte doch für's Allgemeine — selbst jeden religiösen Gesichtspunkt bei Seite
gesetzt — nicht die Wirkung haben. - - Die rohen Naturen brauchen einmal
eines Hängebandes, das die Leidenschaften zahme; — denn ehe wir eine
Menschheit sehen, >wie Owen sie denkt oder träumt — eine Art moralischer
Halbgötter, die nur das Gute kennen und das Reinste wollen — möchte die
Welt sich noch oft verjüngen müssen. — Owen will übrigens durchaus nichts
mit den Communisten und andern Verbrüderungen der Art zu thun haben.
Er meint, eine Hand voll Menschen, die sich hier und da zusammenrotte»,
die nie ein Ganzes bilden werden, weil sie durch kleine Meinungsverschieden¬
heit eine unübersteigliche Scheidewand unter sich aufgeworfen — das Loos
aller Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten von Ewigkeit her — würden nie eine
Welt umbilden können und an einem Geringeren liege ihm nicht. Er sagte
mir: er betrachte das ganze System der National-Erziehung in Preußen als
sein Werk; er habe die Idee dazu gegeben und sein Plan sei gebilligt und
befolgt worden, wie er mir durch ein eigenhändiges Schreiben von Alexander
von Humboldt beweisen könne. Wenn ihm Irland nicht anvertraut werde,
wollte er nach Philadelphia zurückkehren, wo er grade jetzt viel Nützliches
wirken könne.

Während er mir dieses erzählte und sich zugleich über manche Punkte
seiner Theorie weitläufig ausließ — froh einen nicht ungelehrigen Schüler
zu finden, der schon ganz »» l'-ut war, wie er lobend rühmte — wandelten wir
auf der Terrasse von Se. John'S Lodge auf und ab, und die Pracht und
der Luxus dieser beinahe fürstlichen Residenz stach seltsam gegen die Plane
des Philanthropen ab, der den Reichen gern zu Gunsten des Armen be¬
schränken möchte und der sich doch als Gast an deö Reichen Tafel sehr wohl
fühlte. Ich machte ihn aufmerksam auf das „liV- tap" vor uns, während
wir in fünf Minuten in einer der Straßen Londons sein könnten, wo jeder
Schritt uns die ausgestreckte Hand des Elends und des Hungers zeigte.
Er gestand das zu, als die Folge des jetzigen verkehrten Systems der bnr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/193>, abgerufen am 01.09.2024.