Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.schweren Verhängnisse, das über ihm waltet, sich dennoch zu einer geläuterten Ver¬ Wer mochte für die Revolution eine Lanze brechen, wenn es darauf abge¬ Die Riesenschritte unserer öffentlichen Meinung werden dann erst merkwürdig, Das vervielfältigte Bedürfniß der Sinne und der Eitelkeit verschlingt die Und nun das Mittel, alle diese Todesbande zu lösen, jene lcbendigmachende Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur: I. Kurauda. Druck von Fried ri es Andrä. schweren Verhängnisse, das über ihm waltet, sich dennoch zu einer geläuterten Ver¬ Wer mochte für die Revolution eine Lanze brechen, wenn es darauf abge¬ Die Riesenschritte unserer öffentlichen Meinung werden dann erst merkwürdig, Das vervielfältigte Bedürfniß der Sinne und der Eitelkeit verschlingt die Und nun das Mittel, alle diese Todesbande zu lösen, jene lcbendigmachende Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur: I. Kurauda. Druck von Fried ri es Andrä. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184342"/> <p xml:id="ID_619" prev="#ID_618"> schweren Verhängnisse, das über ihm waltet, sich dennoch zu einer geläuterten Ver¬<lb/> fassung emporarbeiten wird. Wer aber diese Revolution als eine blos französische<lb/> ansieht, der ist unfähig, sie zu beurtheilen, denn sie ist die größte, die wichtigste,<lb/> die erstauncnSwürdigstc Revolution der sittlichen Bildung und Entwickelung des<lb/> ganzen Menschengeschlechts.</p><lb/> <p xml:id="ID_620"> Wer mochte für die Revolution eine Lanze brechen, wenn es darauf abge¬<lb/> sehen wäre, die Moralität und Vernunftgcmäßheit aller einzelnen Auftritte und<lb/> Begebenheiten in ritterlichen Schutz zu nehmen? Allein soll man deshalb auch<lb/> den bewunderungswürdigen Ideenreichtum, die Menge der erhabendsten Vernunft-<lb/> Wahrheiten, die unzählichen Berührungen und Schwingungen des edelsten Men-<lb/> schensinnes, kurz das große Schauspiel des Ringens und Hervorbringcns einer<lb/> solchen Masse von Geisteskräften, die bei jenen Anlässen bald ewpfangcn und<lb/> bald sich mittheilen, für Nichts rechnen?</p><lb/> <p xml:id="ID_621"> Die Riesenschritte unserer öffentlichen Meinung werden dann erst merkwürdig,<lb/> wenn man sich der Ueberzeugung nicht länger erwehren kann, daß sie aus den<lb/> Umsturz des in unserm Zeitalter mehr als jemals herrschenden Geistes gerichtet<lb/> sind. Es ist der Egoismus, der bis zum Widersinn und zur Unvernunft ge¬<lb/> hegte und gepflegte Trieb der Selbsterhaltung, der um des Lebens willen ver¬<lb/> gessen macht, warum man lebt. Ohne die Revolution war vor jener<lb/> immer gewaltiger um sich greifenden Selbstsucht keine Rettung<lb/> zu hoffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_622"> Das vervielfältigte Bedürfniß der Sinne und der Eitelkeit verschlingt die<lb/> ganze physische und moralische Thatkraft des Menschen und läßt der edleren Eigen¬<lb/> liebe, die sich im Andern sucht und erkennt, keinen Raum. Wo fände man Ge-<lb/> dankengroße, Schwung der Gefühle, begeisternden Schönheitssinn? wo Selbstver¬<lb/> leugnung, Aufopferung, Unabhängigkeit des Geistes? Mit Haben, Gewinnen,<lb/> Besitzen, Genießen, schließt der Ideenkreis eine Kette um den Menschen, die ihn<lb/> an Staub und Erde fesselt.</p><lb/> <p xml:id="ID_623"> Und nun das Mittel, alle diese Todesbande zu lösen, jene lcbendigmachende<lb/> hingegen wieder anzuknüpfen? Es ist allerdings so heftig, als der Zustand des<lb/> Menschengeschlechts verzweifelt war. Hierarchie und Feudalsystem ist gestürzt, und<lb/> vor Allem ist der ärgsten Knechtschaft, zu welcher der Mensch herabsinken konnte,<lb/> der Abhängigkeit von leblosen Dingen, ein tödtlicher Streich versetzt. Mit Gewalt<lb/> lehrte man die ganze Nation Aufopferungen machen, die dem Eigenthum einen<lb/> Theil seines eingebildeten übermäßigen Werthes benehmen. Die Vorstellung, die<lb/> sich dem Gemüth des Bürgers allgemein vergegenwärtigte, daß die Noth Aller<lb/> von Jedem Einzelnen die Beisteuer seiner Habe, seiner Kräfte, seines Blutes<lb/> sogar verlange, machte ihn gewissermaßen schon von all' diesen Gegenständen los.<lb/> Was anfänglich Ergebung in die Nothwendigkeit ist, wird durch fortgesetztes Nach¬<lb/> denken endlich zur Anerkennung der Gcscllschaftspflicht, und aus diese Weise wird<lb/> endlich der härteste Boden weich genug, um die süßen Früchte der Humanität:<lb/> Aufopferungen, Mittheilung, Nächstenliebe und Vaterlandsliebe zu tragen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur: I. Kurauda.<lb/> Druck von Fried ri es Andrä.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
schweren Verhängnisse, das über ihm waltet, sich dennoch zu einer geläuterten Ver¬
fassung emporarbeiten wird. Wer aber diese Revolution als eine blos französische
ansieht, der ist unfähig, sie zu beurtheilen, denn sie ist die größte, die wichtigste,
die erstauncnSwürdigstc Revolution der sittlichen Bildung und Entwickelung des
ganzen Menschengeschlechts.
Wer mochte für die Revolution eine Lanze brechen, wenn es darauf abge¬
sehen wäre, die Moralität und Vernunftgcmäßheit aller einzelnen Auftritte und
Begebenheiten in ritterlichen Schutz zu nehmen? Allein soll man deshalb auch
den bewunderungswürdigen Ideenreichtum, die Menge der erhabendsten Vernunft-
Wahrheiten, die unzählichen Berührungen und Schwingungen des edelsten Men-
schensinnes, kurz das große Schauspiel des Ringens und Hervorbringcns einer
solchen Masse von Geisteskräften, die bei jenen Anlässen bald ewpfangcn und
bald sich mittheilen, für Nichts rechnen?
Die Riesenschritte unserer öffentlichen Meinung werden dann erst merkwürdig,
wenn man sich der Ueberzeugung nicht länger erwehren kann, daß sie aus den
Umsturz des in unserm Zeitalter mehr als jemals herrschenden Geistes gerichtet
sind. Es ist der Egoismus, der bis zum Widersinn und zur Unvernunft ge¬
hegte und gepflegte Trieb der Selbsterhaltung, der um des Lebens willen ver¬
gessen macht, warum man lebt. Ohne die Revolution war vor jener
immer gewaltiger um sich greifenden Selbstsucht keine Rettung
zu hoffen.
Das vervielfältigte Bedürfniß der Sinne und der Eitelkeit verschlingt die
ganze physische und moralische Thatkraft des Menschen und läßt der edleren Eigen¬
liebe, die sich im Andern sucht und erkennt, keinen Raum. Wo fände man Ge-
dankengroße, Schwung der Gefühle, begeisternden Schönheitssinn? wo Selbstver¬
leugnung, Aufopferung, Unabhängigkeit des Geistes? Mit Haben, Gewinnen,
Besitzen, Genießen, schließt der Ideenkreis eine Kette um den Menschen, die ihn
an Staub und Erde fesselt.
Und nun das Mittel, alle diese Todesbande zu lösen, jene lcbendigmachende
hingegen wieder anzuknüpfen? Es ist allerdings so heftig, als der Zustand des
Menschengeschlechts verzweifelt war. Hierarchie und Feudalsystem ist gestürzt, und
vor Allem ist der ärgsten Knechtschaft, zu welcher der Mensch herabsinken konnte,
der Abhängigkeit von leblosen Dingen, ein tödtlicher Streich versetzt. Mit Gewalt
lehrte man die ganze Nation Aufopferungen machen, die dem Eigenthum einen
Theil seines eingebildeten übermäßigen Werthes benehmen. Die Vorstellung, die
sich dem Gemüth des Bürgers allgemein vergegenwärtigte, daß die Noth Aller
von Jedem Einzelnen die Beisteuer seiner Habe, seiner Kräfte, seines Blutes
sogar verlange, machte ihn gewissermaßen schon von all' diesen Gegenständen los.
Was anfänglich Ergebung in die Nothwendigkeit ist, wird durch fortgesetztes Nach¬
denken endlich zur Anerkennung der Gcscllschaftspflicht, und aus diese Weise wird
endlich der härteste Boden weich genug, um die süßen Früchte der Humanität:
Aufopferungen, Mittheilung, Nächstenliebe und Vaterlandsliebe zu tragen.
Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur: I. Kurauda.
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