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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Nebenmann auf, rief mir zu: "Sein's still! mer wollen's halt nit wisse!"
packte mich an der Brust und machte Miene, mich niederzuwer¬
fen. Ich war so überrascht von dieser seltsamen Art, einen Fremden,
der sich in keiner Weise überhoben hatte, zu behandeln, daß nur diese
Ueberraschung mich zu entschieden ruhiger Haltung veran¬
laßte. Meine Mißbilligung anssprechend, hoffte ich wenigstens,
daß sich die übrige Gesellschaft meiner annehmen und den flegelhasten Altbaier
zur Nuhe verweisen würde. Es geschah aber nichts, und so verließ ich denn
eine Gesellschaft, die mir einen so auffallenden Beweis altbairischer Humani¬
tät gegeben hatte. Möglich, daß mich dieser Vorfall gegen das gesammte
Münchener Leben mehr als billig verstimmte; recht behaglich habe ich
mich wenigstens durchaus nicht gefühlt."

Was ist das für ein Styl! In den fliegenden Blättern wird eine Arie
des Belisario, in der sich dieser dahin äußert, eine jede Thräne des Kaisers
solle den Byzantinern einen Strom Blutes kosten, folgendermaßen in's
Deutsche übersetzt:


Das ist nicht schön! ein solches Benehmen
Kränkt einen jeden Biedermann sehr,
Biedermann sehr,
Ja Biedermann sehr.

Was würde wohl ein Franzose zu jener Erzählung eines Biedermanns sagen!

Noch ein Zug von der gebildeten Auffassung Stahr's: "Ein kleiner
zerlumpter Knabe, der sich mir zum Führer (im Innern einer italienischen
Kirche) aufdrängte, ließ mich einen Blick in die ursprünglich liebenswürdige
Natur des Volkes thun. Ich gab ihm für seinen uuerbeteuen Dienst eine
kleine Münze, zwei Crazien. Er verlangte die dritte. Wie, rief ich aus,
ich erwartete ein Grazie zu hören, als ich Dir ein Geschenk gab, denn Du
schienst mir ein wohlerzogener Knabe, und nun verlangst Du mehr? >--
alle ve>-A0Ana! -- Der ruhig sanfte Ton meiner Worte rief eine helle Nöthe
auf dem schönen Gesicht des Knaben hervor. Er schloß die kleine, schwielige
Hand, und sagte mit der lieblich verschämtesten Stimme ganz leise: Grazie,
Signor! indem er sein früheres Betragen entschuldigend hinzufügte: Siam"
eine" povori!" Und nun vergleiche man damit irgend eine von den Scenen,
die der Demokrat Willkomm mit den italienischen Bettlern hat.

Z. B. I. 87 -- 89. Das Ganze ist zu lang, ich will nur den Schluß
anführen. "Bei solchen Auspicien blieb mir nun freilich nichts mehr übrig,
als Fassung -- und Bezahlung. Ich warf dem Postillon noch einen Zehn-
kreu-er hin, als Vermehrung seines Trinkgeldes und erklärte mit einem der¬
ben Fluche, daß er weiter nichts zu erwarten habe, --- brummend trollte


Nebenmann auf, rief mir zu: „Sein's still! mer wollen's halt nit wisse!"
packte mich an der Brust und machte Miene, mich niederzuwer¬
fen. Ich war so überrascht von dieser seltsamen Art, einen Fremden,
der sich in keiner Weise überhoben hatte, zu behandeln, daß nur diese
Ueberraschung mich zu entschieden ruhiger Haltung veran¬
laßte. Meine Mißbilligung anssprechend, hoffte ich wenigstens,
daß sich die übrige Gesellschaft meiner annehmen und den flegelhasten Altbaier
zur Nuhe verweisen würde. Es geschah aber nichts, und so verließ ich denn
eine Gesellschaft, die mir einen so auffallenden Beweis altbairischer Humani¬
tät gegeben hatte. Möglich, daß mich dieser Vorfall gegen das gesammte
Münchener Leben mehr als billig verstimmte; recht behaglich habe ich
mich wenigstens durchaus nicht gefühlt."

Was ist das für ein Styl! In den fliegenden Blättern wird eine Arie
des Belisario, in der sich dieser dahin äußert, eine jede Thräne des Kaisers
solle den Byzantinern einen Strom Blutes kosten, folgendermaßen in's
Deutsche übersetzt:


Das ist nicht schön! ein solches Benehmen
Kränkt einen jeden Biedermann sehr,
Biedermann sehr,
Ja Biedermann sehr.

Was würde wohl ein Franzose zu jener Erzählung eines Biedermanns sagen!

Noch ein Zug von der gebildeten Auffassung Stahr's: „Ein kleiner
zerlumpter Knabe, der sich mir zum Führer (im Innern einer italienischen
Kirche) aufdrängte, ließ mich einen Blick in die ursprünglich liebenswürdige
Natur des Volkes thun. Ich gab ihm für seinen uuerbeteuen Dienst eine
kleine Münze, zwei Crazien. Er verlangte die dritte. Wie, rief ich aus,
ich erwartete ein Grazie zu hören, als ich Dir ein Geschenk gab, denn Du
schienst mir ein wohlerzogener Knabe, und nun verlangst Du mehr? >—
alle ve>-A0Ana! — Der ruhig sanfte Ton meiner Worte rief eine helle Nöthe
auf dem schönen Gesicht des Knaben hervor. Er schloß die kleine, schwielige
Hand, und sagte mit der lieblich verschämtesten Stimme ganz leise: Grazie,
Signor! indem er sein früheres Betragen entschuldigend hinzufügte: Siam»
eine» povori!" Und nun vergleiche man damit irgend eine von den Scenen,
die der Demokrat Willkomm mit den italienischen Bettlern hat.

Z. B. I. 87 — 89. Das Ganze ist zu lang, ich will nur den Schluß
anführen. „Bei solchen Auspicien blieb mir nun freilich nichts mehr übrig,
als Fassung — und Bezahlung. Ich warf dem Postillon noch einen Zehn-
kreu-er hin, als Vermehrung seines Trinkgeldes und erklärte mit einem der¬
ben Fluche, daß er weiter nichts zu erwarten habe, —- brummend trollte


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[0164] Nebenmann auf, rief mir zu: „Sein's still! mer wollen's halt nit wisse!" packte mich an der Brust und machte Miene, mich niederzuwer¬ fen. Ich war so überrascht von dieser seltsamen Art, einen Fremden, der sich in keiner Weise überhoben hatte, zu behandeln, daß nur diese Ueberraschung mich zu entschieden ruhiger Haltung veran¬ laßte. Meine Mißbilligung anssprechend, hoffte ich wenigstens, daß sich die übrige Gesellschaft meiner annehmen und den flegelhasten Altbaier zur Nuhe verweisen würde. Es geschah aber nichts, und so verließ ich denn eine Gesellschaft, die mir einen so auffallenden Beweis altbairischer Humani¬ tät gegeben hatte. Möglich, daß mich dieser Vorfall gegen das gesammte Münchener Leben mehr als billig verstimmte; recht behaglich habe ich mich wenigstens durchaus nicht gefühlt." Was ist das für ein Styl! In den fliegenden Blättern wird eine Arie des Belisario, in der sich dieser dahin äußert, eine jede Thräne des Kaisers solle den Byzantinern einen Strom Blutes kosten, folgendermaßen in's Deutsche übersetzt: Das ist nicht schön! ein solches Benehmen Kränkt einen jeden Biedermann sehr, Biedermann sehr, Ja Biedermann sehr. Was würde wohl ein Franzose zu jener Erzählung eines Biedermanns sagen! Noch ein Zug von der gebildeten Auffassung Stahr's: „Ein kleiner zerlumpter Knabe, der sich mir zum Führer (im Innern einer italienischen Kirche) aufdrängte, ließ mich einen Blick in die ursprünglich liebenswürdige Natur des Volkes thun. Ich gab ihm für seinen uuerbeteuen Dienst eine kleine Münze, zwei Crazien. Er verlangte die dritte. Wie, rief ich aus, ich erwartete ein Grazie zu hören, als ich Dir ein Geschenk gab, denn Du schienst mir ein wohlerzogener Knabe, und nun verlangst Du mehr? >— alle ve>-A0Ana! — Der ruhig sanfte Ton meiner Worte rief eine helle Nöthe auf dem schönen Gesicht des Knaben hervor. Er schloß die kleine, schwielige Hand, und sagte mit der lieblich verschämtesten Stimme ganz leise: Grazie, Signor! indem er sein früheres Betragen entschuldigend hinzufügte: Siam» eine» povori!" Und nun vergleiche man damit irgend eine von den Scenen, die der Demokrat Willkomm mit den italienischen Bettlern hat. Z. B. I. 87 — 89. Das Ganze ist zu lang, ich will nur den Schluß anführen. „Bei solchen Auspicien blieb mir nun freilich nichts mehr übrig, als Fassung — und Bezahlung. Ich warf dem Postillon noch einen Zehn- kreu-er hin, als Vermehrung seines Trinkgeldes und erklärte mit einem der¬ ben Fluche, daß er weiter nichts zu erwarten habe, —- brummend trollte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/164>, abgerufen am 01.09.2024.