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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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setze gegen Machtnmtrieb, Vorlauf und Kornwnchcr zu suchen hatte; heute schon
sind Zeitkäufe über Erndten auf dem Halme zu hohem Preis geschlossen, um
uns den Brodkorb möglichst lange hoch zu hängen; doch ist vom Verbote solcher
Zeitkäufe noch keine Rede -- das ist Frcihandelthcorie! Bedächte man, welcher
Groll als Folge solcher Vernachlässigungen im Volke nllmalig Wurzel saßt und
wie dcmoralisircnd der Nothstand ans die Masse wirkt, längst hätte man energisch
eingreifen müssen und sollen, wenn auch nicht um das Uebel ganz zu heben, so
doch um Lebenszeichen schützender Regicrnngsthätigkeit dem Volke zum Troste zu
geben, welches sich jüngst durch einen Maueranschlag Lust zu machen suchte.

Nicht ohne Witz, doch mit gefährlicher Bitterkeit greift dieser Aufsatz (als
Programm einer Kuustrederci) die Behörden an, insbesondere den Magistrat als
nächste Localbehörde, und doch trägt dieser bei unseren gefesselten Commnnalvcr-
hältnisscn die Schuld nicht.

In zahllosen Abschriften circulirt das Pasquill, dessen Verfasser mau bisher
erfolglos nachspürte.

Jüngst wurde ein czechischer Literat zur Erde bestattet, ein großes Talent,
das in Kummer und Elend verendete, ohne im Leben thatkräftige Anerkennung
gefunden zu haben, -- an vierhundert Meinungsgenossen begleiteten die Leiche,
der Zug führte bei dem Rathhause der Neustadt vorüber, dem Gefängnisse der
Uebelthäter., Von dem Zuge benachrichtigt erschien Arnold, der das bekannte
Blatt gegen die Jesuiten verfaßte, am vergitterten Fenster seiner Haft, und wurde
von dem Leicheucouductc mit Zuruf begrüßt, mit den Tüchern wehte man ihm
den Gruß und die Theilnahme Gleichgesinnter zu!

Sie erfahren ans dieser Mittheilung, daß Arnold seines Jesuitenhasscs we¬
gen noch immer "untersucht", oder doch in Untersuchungshaft gehalten werde, wo
doch, wie Richter und Publikum wissen, die Untersuchung zu keiner Verurtheilung
von Belang führen kann, denn ein Verbrechen, ihm anzuinqniriren, ist unmöglich,
und höchstens kann es gelingen, ihn einer Polizeiübertretung schuldig zu finden;
nun begründet aber das Gesetz den wesentlichen Unterschied zwischen Verbrechen
und solcher Übertretung, abgesehen von den diffamircndcn Folgen des erstem,
besonders darin, daß eine Polizeiübertretung als höchste Straft nur Detention
von sechs Monaten nach sich ziehen kann, und doch wird Arnold, den man wider
Willen zum Märtyrer stempelt, bald seine vollen sechs Monate gesessen haben,
ohne bisher irgend verurtheilt zu sein. Solches heißt Justiz! etwa Justiz höhe¬
rer Rücksichten!

Mit Sehnsucht sehen wir dem Herbste entgegen, welcher das Füllhorn des
Erudtcüberflusscs über uns ausgießen und dem NegierungSinterregnum ein Ende
machen wird, an welchem wir gegenwärtig leiden, denn der energische Erzherzog
kräftiget sich in Franzcnsbrunn für die schwierige Mission seines neuen Wirkungs¬
kreises, sein Stellvertreter ist abwesend und zur Hälfte schon in Triest, desselben
nächster Stellvertreter ist wieder vertreten, und so ist's wohl kein Wunder, daß
uus übrige die kleinen Herren treten und drängen, daß es ein Jammer ist.
'

Gott bessers!


- U). -

setze gegen Machtnmtrieb, Vorlauf und Kornwnchcr zu suchen hatte; heute schon
sind Zeitkäufe über Erndten auf dem Halme zu hohem Preis geschlossen, um
uns den Brodkorb möglichst lange hoch zu hängen; doch ist vom Verbote solcher
Zeitkäufe noch keine Rede — das ist Frcihandelthcorie! Bedächte man, welcher
Groll als Folge solcher Vernachlässigungen im Volke nllmalig Wurzel saßt und
wie dcmoralisircnd der Nothstand ans die Masse wirkt, längst hätte man energisch
eingreifen müssen und sollen, wenn auch nicht um das Uebel ganz zu heben, so
doch um Lebenszeichen schützender Regicrnngsthätigkeit dem Volke zum Troste zu
geben, welches sich jüngst durch einen Maueranschlag Lust zu machen suchte.

Nicht ohne Witz, doch mit gefährlicher Bitterkeit greift dieser Aufsatz (als
Programm einer Kuustrederci) die Behörden an, insbesondere den Magistrat als
nächste Localbehörde, und doch trägt dieser bei unseren gefesselten Commnnalvcr-
hältnisscn die Schuld nicht.

In zahllosen Abschriften circulirt das Pasquill, dessen Verfasser mau bisher
erfolglos nachspürte.

Jüngst wurde ein czechischer Literat zur Erde bestattet, ein großes Talent,
das in Kummer und Elend verendete, ohne im Leben thatkräftige Anerkennung
gefunden zu haben, — an vierhundert Meinungsgenossen begleiteten die Leiche,
der Zug führte bei dem Rathhause der Neustadt vorüber, dem Gefängnisse der
Uebelthäter., Von dem Zuge benachrichtigt erschien Arnold, der das bekannte
Blatt gegen die Jesuiten verfaßte, am vergitterten Fenster seiner Haft, und wurde
von dem Leicheucouductc mit Zuruf begrüßt, mit den Tüchern wehte man ihm
den Gruß und die Theilnahme Gleichgesinnter zu!

Sie erfahren ans dieser Mittheilung, daß Arnold seines Jesuitenhasscs we¬
gen noch immer „untersucht", oder doch in Untersuchungshaft gehalten werde, wo
doch, wie Richter und Publikum wissen, die Untersuchung zu keiner Verurtheilung
von Belang führen kann, denn ein Verbrechen, ihm anzuinqniriren, ist unmöglich,
und höchstens kann es gelingen, ihn einer Polizeiübertretung schuldig zu finden;
nun begründet aber das Gesetz den wesentlichen Unterschied zwischen Verbrechen
und solcher Übertretung, abgesehen von den diffamircndcn Folgen des erstem,
besonders darin, daß eine Polizeiübertretung als höchste Straft nur Detention
von sechs Monaten nach sich ziehen kann, und doch wird Arnold, den man wider
Willen zum Märtyrer stempelt, bald seine vollen sechs Monate gesessen haben,
ohne bisher irgend verurtheilt zu sein. Solches heißt Justiz! etwa Justiz höhe¬
rer Rücksichten!

Mit Sehnsucht sehen wir dem Herbste entgegen, welcher das Füllhorn des
Erudtcüberflusscs über uns ausgießen und dem NegierungSinterregnum ein Ende
machen wird, an welchem wir gegenwärtig leiden, denn der energische Erzherzog
kräftiget sich in Franzcnsbrunn für die schwierige Mission seines neuen Wirkungs¬
kreises, sein Stellvertreter ist abwesend und zur Hälfte schon in Triest, desselben
nächster Stellvertreter ist wieder vertreten, und so ist's wohl kein Wunder, daß
uus übrige die kleinen Herren treten und drängen, daß es ein Jammer ist.
'

Gott bessers!


- U). -
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[0131] setze gegen Machtnmtrieb, Vorlauf und Kornwnchcr zu suchen hatte; heute schon sind Zeitkäufe über Erndten auf dem Halme zu hohem Preis geschlossen, um uns den Brodkorb möglichst lange hoch zu hängen; doch ist vom Verbote solcher Zeitkäufe noch keine Rede — das ist Frcihandelthcorie! Bedächte man, welcher Groll als Folge solcher Vernachlässigungen im Volke nllmalig Wurzel saßt und wie dcmoralisircnd der Nothstand ans die Masse wirkt, längst hätte man energisch eingreifen müssen und sollen, wenn auch nicht um das Uebel ganz zu heben, so doch um Lebenszeichen schützender Regicrnngsthätigkeit dem Volke zum Troste zu geben, welches sich jüngst durch einen Maueranschlag Lust zu machen suchte. Nicht ohne Witz, doch mit gefährlicher Bitterkeit greift dieser Aufsatz (als Programm einer Kuustrederci) die Behörden an, insbesondere den Magistrat als nächste Localbehörde, und doch trägt dieser bei unseren gefesselten Commnnalvcr- hältnisscn die Schuld nicht. In zahllosen Abschriften circulirt das Pasquill, dessen Verfasser mau bisher erfolglos nachspürte. Jüngst wurde ein czechischer Literat zur Erde bestattet, ein großes Talent, das in Kummer und Elend verendete, ohne im Leben thatkräftige Anerkennung gefunden zu haben, — an vierhundert Meinungsgenossen begleiteten die Leiche, der Zug führte bei dem Rathhause der Neustadt vorüber, dem Gefängnisse der Uebelthäter., Von dem Zuge benachrichtigt erschien Arnold, der das bekannte Blatt gegen die Jesuiten verfaßte, am vergitterten Fenster seiner Haft, und wurde von dem Leicheucouductc mit Zuruf begrüßt, mit den Tüchern wehte man ihm den Gruß und die Theilnahme Gleichgesinnter zu! Sie erfahren ans dieser Mittheilung, daß Arnold seines Jesuitenhasscs we¬ gen noch immer „untersucht", oder doch in Untersuchungshaft gehalten werde, wo doch, wie Richter und Publikum wissen, die Untersuchung zu keiner Verurtheilung von Belang führen kann, denn ein Verbrechen, ihm anzuinqniriren, ist unmöglich, und höchstens kann es gelingen, ihn einer Polizeiübertretung schuldig zu finden; nun begründet aber das Gesetz den wesentlichen Unterschied zwischen Verbrechen und solcher Übertretung, abgesehen von den diffamircndcn Folgen des erstem, besonders darin, daß eine Polizeiübertretung als höchste Straft nur Detention von sechs Monaten nach sich ziehen kann, und doch wird Arnold, den man wider Willen zum Märtyrer stempelt, bald seine vollen sechs Monate gesessen haben, ohne bisher irgend verurtheilt zu sein. Solches heißt Justiz! etwa Justiz höhe¬ rer Rücksichten! Mit Sehnsucht sehen wir dem Herbste entgegen, welcher das Füllhorn des Erudtcüberflusscs über uns ausgießen und dem NegierungSinterregnum ein Ende machen wird, an welchem wir gegenwärtig leiden, denn der energische Erzherzog kräftiget sich in Franzcnsbrunn für die schwierige Mission seines neuen Wirkungs¬ kreises, sein Stellvertreter ist abwesend und zur Hälfte schon in Triest, desselben nächster Stellvertreter ist wieder vertreten, und so ist's wohl kein Wunder, daß uus übrige die kleinen Herren treten und drängen, daß es ein Jammer ist. ' Gott bessers! - U). -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/131>, abgerufen am 27.07.2024.