Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.lieben. Große Städte und Leute von feiner Weltpolitur in Sitten und Noch eins, die Schilderung der Tagsatzung. "Die Gesandten der Can¬ lieben. Große Städte und Leute von feiner Weltpolitur in Sitten und Noch eins, die Schilderung der Tagsatzung. „Die Gesandten der Can¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184264"/> <p xml:id="ID_307" prev="#ID_306"> lieben. Große Städte und Leute von feiner Weltpolitur in Sitten und<lb/> Gewohnheiten hat die Schweiz nicht viele; andererseits aber siud die Tages¬<lb/> blätter meist Bnchdruckerspecnlativnen. Von einer ordentlichen Redaction ist<lb/> dabei nicht die Rede, von guten Besoldungen noch weniger. Der Buch¬<lb/> drucker schreibt selbst oder es finden sich gute Freunde, welche sich vernehmen<lb/> lassen wollen. Man dient einer Partei, und diese unterstützt unentgeltlich<lb/> das Blatt mit Aufsätzen. Schriftsteller, Publicisten und Journalisten, welche<lb/> von der Tagespresse leben wollen, finden sich in der Schweiz kaum ein Paar,<lb/> und selbst die bedeutendsten Parteiorgane bestehen größtenteils dadurch, daß<lb/> sie von der Partei gehalten und erhalten werden. Hier schreiben Regie-<lb/> rnngSräthe und Bürgermeister, Schulthciße und Präsidenten; dort Alt-<lb/> Bürgermeister, Alt-Regierungsräthe und wer sonst zu den Gegnern gehört.<lb/> Die einflußreichsten Männer suchen sich ihre Organe, stiften auch wohl selbst<lb/> ein solches und regen ihre Freunde zur Theilnahme an; allein selten kommt<lb/> viel Talent zusammen. Die Verhältnisse sind gar zu klein. Es erscheint<lb/> Hans und Kunz und macht sich breit. Es wird gestritten und geschimpft,<lb/> die kleinlichsten Anfeindungen und Lügen ohne Zahl werden ausgestreut und<lb/> gewöhnlich kommt es ans Persönlichkeiten hinaus." — „Die Schweiz ist für<lb/> eine bedeutsame Presse zu klein, zu zersplittert, zu verschiedenartig in Natur<lb/> und Sitten, in Bildung ihrer Bewohner und aller ihrer Culturzustände.<lb/> Für uns, und für das Ausland überhaupt, ist die schweizerische Journalistik<lb/> von gar keiner Bedeutung. Wir können höchstens daraus sehen, was ge¬<lb/> schieht, lernen läßt sich gar wenig. Artikel voll gründlichem Wissen und<lb/> gründlichen Untersuchungen, Aufsätze voll Geist und Jdeentiefe, welche sich<lb/> mit den Zuständen des Landes oder gar der Menschheit beschäftigten, kom¬<lb/> men selten oder nie vor. Keine allgemeinen Fragen werden darin abgehan¬<lb/> delt; es ist immer die Partei und der liebe Canton, welcher darin seine<lb/> Rolle spielt. Nebenher kommen dann die 24 andern Cantone, und eben<lb/> diese Presse zeigt es deutlich, wie die Schweizer so tief in ihrem Cantön-<lb/> chenwesen stecken, daß die übrige Welt versinken und verrotten könnte, wenn —<lb/> sie nicht zufällig Baumwollen- und Seidenwaaren nebst andern Dingen<lb/> fabrizirten, welche das Ausland kaufen soll."</p><lb/> <p xml:id="ID_308" next="#ID_309"> Noch eins, die Schilderung der Tagsatzung. „Die Gesandten der Can¬<lb/> tone müssen vorschriftsmäßig im Frack mit Degen und aufgeschlagenem Hut<lb/> erscheinen. Der Präsident ertheilt das Wort über die zu verhandelnden<lb/> Fragen der Reihe uach. Jeder Gesandte spricht von seinem Platze, indem<lb/> er aussteht; zuletzt wird die Umfrage gehalten, ob Jemand noch etwas zu<lb/> bemerken hat, dann folgt die Abstimmung durch Handanfheben. Jeder</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
lieben. Große Städte und Leute von feiner Weltpolitur in Sitten und
Gewohnheiten hat die Schweiz nicht viele; andererseits aber siud die Tages¬
blätter meist Bnchdruckerspecnlativnen. Von einer ordentlichen Redaction ist
dabei nicht die Rede, von guten Besoldungen noch weniger. Der Buch¬
drucker schreibt selbst oder es finden sich gute Freunde, welche sich vernehmen
lassen wollen. Man dient einer Partei, und diese unterstützt unentgeltlich
das Blatt mit Aufsätzen. Schriftsteller, Publicisten und Journalisten, welche
von der Tagespresse leben wollen, finden sich in der Schweiz kaum ein Paar,
und selbst die bedeutendsten Parteiorgane bestehen größtenteils dadurch, daß
sie von der Partei gehalten und erhalten werden. Hier schreiben Regie-
rnngSräthe und Bürgermeister, Schulthciße und Präsidenten; dort Alt-
Bürgermeister, Alt-Regierungsräthe und wer sonst zu den Gegnern gehört.
Die einflußreichsten Männer suchen sich ihre Organe, stiften auch wohl selbst
ein solches und regen ihre Freunde zur Theilnahme an; allein selten kommt
viel Talent zusammen. Die Verhältnisse sind gar zu klein. Es erscheint
Hans und Kunz und macht sich breit. Es wird gestritten und geschimpft,
die kleinlichsten Anfeindungen und Lügen ohne Zahl werden ausgestreut und
gewöhnlich kommt es ans Persönlichkeiten hinaus." — „Die Schweiz ist für
eine bedeutsame Presse zu klein, zu zersplittert, zu verschiedenartig in Natur
und Sitten, in Bildung ihrer Bewohner und aller ihrer Culturzustände.
Für uns, und für das Ausland überhaupt, ist die schweizerische Journalistik
von gar keiner Bedeutung. Wir können höchstens daraus sehen, was ge¬
schieht, lernen läßt sich gar wenig. Artikel voll gründlichem Wissen und
gründlichen Untersuchungen, Aufsätze voll Geist und Jdeentiefe, welche sich
mit den Zuständen des Landes oder gar der Menschheit beschäftigten, kom¬
men selten oder nie vor. Keine allgemeinen Fragen werden darin abgehan¬
delt; es ist immer die Partei und der liebe Canton, welcher darin seine
Rolle spielt. Nebenher kommen dann die 24 andern Cantone, und eben
diese Presse zeigt es deutlich, wie die Schweizer so tief in ihrem Cantön-
chenwesen stecken, daß die übrige Welt versinken und verrotten könnte, wenn —
sie nicht zufällig Baumwollen- und Seidenwaaren nebst andern Dingen
fabrizirten, welche das Ausland kaufen soll."
Noch eins, die Schilderung der Tagsatzung. „Die Gesandten der Can¬
tone müssen vorschriftsmäßig im Frack mit Degen und aufgeschlagenem Hut
erscheinen. Der Präsident ertheilt das Wort über die zu verhandelnden
Fragen der Reihe uach. Jeder Gesandte spricht von seinem Platze, indem
er aussteht; zuletzt wird die Umfrage gehalten, ob Jemand noch etwas zu
bemerken hat, dann folgt die Abstimmung durch Handanfheben. Jeder
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