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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Dem allgemeinen Streben, eine Konstitution für Preußen zu erringen,
liegt eine doppelte Idee zum Grunde, soweit überhaupt in diesem Drängen
von einem klaren Bewußtsein die Rede ist: man betrachtet die Verfassung,
oder, um es gleich bestimmter zu sagen, das politische Wesen überhaupt,
als Mittel oder als Zweck. Ich hebe diesen ziemlich trivialen Gedanken
darum hervor, weil er maßgebend sein wird für die Beurtheilung der ver¬
schiedenen Richtungen in der liberalen Opposition, wie sie sich gerade in den
gegenwärtigen Verhältnissen geltend machen. Der rein politische Enthusias¬
mus bewegt sich im Ideellen und wird vorzugsweise in solchen Lebenskreisen
zu finden sein, die dem unmittelbaren Bedürfniß entweder enthoben sind,
oder die es noch nicht so weit gebracht haben, an die Befriedigung desselben
denken zu köunen: Adel und Volk. Der Mittelstand wird überall suchen dem
politischen Wesen die praktische Seite abzugewinnen, wenn er nicht durch
einen, seinem eigentlichen Wesen fremdartigen Enthusiasmus mit fortgeris¬
sen wird.

Es kommt noch ein anderer Punkt dazu. Jene ideelle, ich möchte sagen
politische Richtung der Politik wird mehr in solchen Ständen, in solchen
Lebensverhältnissen hervortreten, in denen das Gefühl der persönlichen Würde
lebhafter erweckt und ausgebildet ist, während der an beständige Arbeit ge¬
wöhnte Mittelstand sich zuerst nach dem Zweckmäßiger umsieht. Ich bin
fern davon, eine oder die andere dieser Richtungen als die ausschließlich
anzuerkennende behaupten zu wollen. Es gibt Zeiten, in denen die eine
oder die andere hervortreten muß. Es gibt Verhältnisse, in denen es lächer¬
lich wäre, sein Ehrgefühl anzuspornen, sich in seine Würde zurückzuziehen,
wo dann das Wohl und Wehe eines ganzen Volks von einem besonnenen
Entschluß abhängt. In solchen Augenblicken wird der Kaufmann das Wort
führen. Aber es gibt ebenso Verhältnisse, wo es niederträchtig ist, dem ge¬
kränkten Gefühl Schweigen zu gebieten; wo die Ehre mehr zu sagen hat,
als alle Klugheit der Welt. In solchen Fällen muß der Kaufmann schweigen.

Ueber drei Punkte sind die meisten Stimmen einig.

Erstens. Die Staatsform, wie sie aus dem Patent vom Februar
hervorgeht, bietet den Ständen weniger Rechte, als die früheren Verspre¬
chungen es verheißen haben; unendlich weniger, als ein loyales und intelli¬
gentes Volk zu erwarten berechtigt ist. Fast jeder Paragraph ist mit einer
an Mißtrauen grenzenden Vorsicht abgefaßt.

Zweitens. Diese Staatsform gewährt rechtlich weniger als selbst
der gegenwärtige Zustand, denn sie hebt gerechte Ansprüche auf.

Drittens. Sie kauu dennoch, bei einer sorgfältigen, behutsame"


Dem allgemeinen Streben, eine Konstitution für Preußen zu erringen,
liegt eine doppelte Idee zum Grunde, soweit überhaupt in diesem Drängen
von einem klaren Bewußtsein die Rede ist: man betrachtet die Verfassung,
oder, um es gleich bestimmter zu sagen, das politische Wesen überhaupt,
als Mittel oder als Zweck. Ich hebe diesen ziemlich trivialen Gedanken
darum hervor, weil er maßgebend sein wird für die Beurtheilung der ver¬
schiedenen Richtungen in der liberalen Opposition, wie sie sich gerade in den
gegenwärtigen Verhältnissen geltend machen. Der rein politische Enthusias¬
mus bewegt sich im Ideellen und wird vorzugsweise in solchen Lebenskreisen
zu finden sein, die dem unmittelbaren Bedürfniß entweder enthoben sind,
oder die es noch nicht so weit gebracht haben, an die Befriedigung desselben
denken zu köunen: Adel und Volk. Der Mittelstand wird überall suchen dem
politischen Wesen die praktische Seite abzugewinnen, wenn er nicht durch
einen, seinem eigentlichen Wesen fremdartigen Enthusiasmus mit fortgeris¬
sen wird.

Es kommt noch ein anderer Punkt dazu. Jene ideelle, ich möchte sagen
politische Richtung der Politik wird mehr in solchen Ständen, in solchen
Lebensverhältnissen hervortreten, in denen das Gefühl der persönlichen Würde
lebhafter erweckt und ausgebildet ist, während der an beständige Arbeit ge¬
wöhnte Mittelstand sich zuerst nach dem Zweckmäßiger umsieht. Ich bin
fern davon, eine oder die andere dieser Richtungen als die ausschließlich
anzuerkennende behaupten zu wollen. Es gibt Zeiten, in denen die eine
oder die andere hervortreten muß. Es gibt Verhältnisse, in denen es lächer¬
lich wäre, sein Ehrgefühl anzuspornen, sich in seine Würde zurückzuziehen,
wo dann das Wohl und Wehe eines ganzen Volks von einem besonnenen
Entschluß abhängt. In solchen Augenblicken wird der Kaufmann das Wort
führen. Aber es gibt ebenso Verhältnisse, wo es niederträchtig ist, dem ge¬
kränkten Gefühl Schweigen zu gebieten; wo die Ehre mehr zu sagen hat,
als alle Klugheit der Welt. In solchen Fällen muß der Kaufmann schweigen.

Ueber drei Punkte sind die meisten Stimmen einig.

Erstens. Die Staatsform, wie sie aus dem Patent vom Februar
hervorgeht, bietet den Ständen weniger Rechte, als die früheren Verspre¬
chungen es verheißen haben; unendlich weniger, als ein loyales und intelli¬
gentes Volk zu erwarten berechtigt ist. Fast jeder Paragraph ist mit einer
an Mißtrauen grenzenden Vorsicht abgefaßt.

Zweitens. Diese Staatsform gewährt rechtlich weniger als selbst
der gegenwärtige Zustand, denn sie hebt gerechte Ansprüche auf.

Drittens. Sie kauu dennoch, bei einer sorgfältigen, behutsame»


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[0086] Dem allgemeinen Streben, eine Konstitution für Preußen zu erringen, liegt eine doppelte Idee zum Grunde, soweit überhaupt in diesem Drängen von einem klaren Bewußtsein die Rede ist: man betrachtet die Verfassung, oder, um es gleich bestimmter zu sagen, das politische Wesen überhaupt, als Mittel oder als Zweck. Ich hebe diesen ziemlich trivialen Gedanken darum hervor, weil er maßgebend sein wird für die Beurtheilung der ver¬ schiedenen Richtungen in der liberalen Opposition, wie sie sich gerade in den gegenwärtigen Verhältnissen geltend machen. Der rein politische Enthusias¬ mus bewegt sich im Ideellen und wird vorzugsweise in solchen Lebenskreisen zu finden sein, die dem unmittelbaren Bedürfniß entweder enthoben sind, oder die es noch nicht so weit gebracht haben, an die Befriedigung desselben denken zu köunen: Adel und Volk. Der Mittelstand wird überall suchen dem politischen Wesen die praktische Seite abzugewinnen, wenn er nicht durch einen, seinem eigentlichen Wesen fremdartigen Enthusiasmus mit fortgeris¬ sen wird. Es kommt noch ein anderer Punkt dazu. Jene ideelle, ich möchte sagen politische Richtung der Politik wird mehr in solchen Ständen, in solchen Lebensverhältnissen hervortreten, in denen das Gefühl der persönlichen Würde lebhafter erweckt und ausgebildet ist, während der an beständige Arbeit ge¬ wöhnte Mittelstand sich zuerst nach dem Zweckmäßiger umsieht. Ich bin fern davon, eine oder die andere dieser Richtungen als die ausschließlich anzuerkennende behaupten zu wollen. Es gibt Zeiten, in denen die eine oder die andere hervortreten muß. Es gibt Verhältnisse, in denen es lächer¬ lich wäre, sein Ehrgefühl anzuspornen, sich in seine Würde zurückzuziehen, wo dann das Wohl und Wehe eines ganzen Volks von einem besonnenen Entschluß abhängt. In solchen Augenblicken wird der Kaufmann das Wort führen. Aber es gibt ebenso Verhältnisse, wo es niederträchtig ist, dem ge¬ kränkten Gefühl Schweigen zu gebieten; wo die Ehre mehr zu sagen hat, als alle Klugheit der Welt. In solchen Fällen muß der Kaufmann schweigen. Ueber drei Punkte sind die meisten Stimmen einig. Erstens. Die Staatsform, wie sie aus dem Patent vom Februar hervorgeht, bietet den Ständen weniger Rechte, als die früheren Verspre¬ chungen es verheißen haben; unendlich weniger, als ein loyales und intelli¬ gentes Volk zu erwarten berechtigt ist. Fast jeder Paragraph ist mit einer an Mißtrauen grenzenden Vorsicht abgefaßt. Zweitens. Diese Staatsform gewährt rechtlich weniger als selbst der gegenwärtige Zustand, denn sie hebt gerechte Ansprüche auf. Drittens. Sie kauu dennoch, bei einer sorgfältigen, behutsame»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/86>, abgerufen am 01.07.2024.