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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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neu. Karl räumte das Frühstück ab, Betel kam herein, die Baronin zu
fragen, ob sie nicht Toilette machen wolle, und Theodor zu erinnern -- als
er aber unausgesetzt an seinein Flügel handthierte, bat sie sich mit lauter
Stimme die Erlaubniß aus, ihre Eltern besuchen zu dürfen. Die Baronin
gab ihr diese und wandte sich wieder zum Piano, auf dem Theodor jetzt ern
paar Takte spielte. Er war von der eifrigen Anstrengung leicht geröthet. --
Betel warf beim Fortgehen eiuen seltsamen Blick auf ihn und die Baronin,
die ihr viel zu theilnehmend und ganz ungewöhnlich musikeisrig vorkam. Es
gibt kein unglücklicheres Verhältniß in einem Hause, als eine Intrigue unt
Frau und Zofe zugleich, namentlich wenn die letztere ernstlich verliebt --
da kommt der glückliche Liebhaber gewiß nicht dazu, mit der Dame fünf
Minuten allein zu sein -- und, als Betel hinausging, nahm sie sich auch
fest vor, ihre Gebieterin ans das schärfste zu kontroliren. Diese bekam nut
einmal Lust, vierbändig zu spielen, und suchte aus den: Vorrath alter Noten,
die aus einer Etagere lagen, eine früher oft exercirte Sonate heraus, rückte
sich einen Stuhl neben Theodor und fing an mit ihm zu musiciren. Vier¬
händig spielen ist von jeher ein Haupttuiss deö Liebesteufels gewesen, da
berühren sich die Finger, da tritt in der Begeisterung die Dame statt auf
das Pedal dem Herrn auf den Fuß, und dieser kommt mit seinen Lippen
in die unmittelbarste Nähe der von dem Feuer der parnassischen Göttinnen
angestrahlten Wangen. Beim Piano werden Vorbereitungen, die sonst un¬
endlich viel Zeit, Mühe und Vorsicht brauchen, rapid übersprungen, und es
muß schon ein sehr eifersüchtiger und ganz unmusikalischer Ehemann sein,
der nicht lieber auf und davon geht, als zuhört!

Die Sonate wurde durchgespielt -- zum großen Erstaunen sämmtlicher
Hausleute, die von dem ungewohnten Klänge angezogen, sich auf dein Kor¬
ridor vor dem Speisesaale versammelt hatten. Als die Execution des alten
Dnschek vorüber war, wandte die Baronin sich mit einem bezaubernden Lächeln
zu Theodor. "Nicht wahr, lieber NeMSny, es wird gehen?"

Der Hofmeister antwortete zaghaft: "Ja, freiherrliche Gnaden, es wird
gehen'." -- "Wenn wir nur öfter gespielt haben werden! Aber warum sind
Sie denn auch immer so besangen? es kommt mir vor, als gefiele es Ihnen
noch immer nicht bei uns!"

Theodor wurde wieder roth -- eine dunkle Ahnung sagte ihm, er würde
mit edler Kühnheit hier eben so weit kommen, wie bei Betel, aber das Vor¬
urtheil, der angeborne Respect gegen Standespersonen war mächtiger, als
. der Drang seines guten Genius -- er stotterte etwas und küßte mit Auf¬
wand aller moralischen KM die compacte Hand seiner Gönneruu Sie ent-


neu. Karl räumte das Frühstück ab, Betel kam herein, die Baronin zu
fragen, ob sie nicht Toilette machen wolle, und Theodor zu erinnern — als
er aber unausgesetzt an seinein Flügel handthierte, bat sie sich mit lauter
Stimme die Erlaubniß aus, ihre Eltern besuchen zu dürfen. Die Baronin
gab ihr diese und wandte sich wieder zum Piano, auf dem Theodor jetzt ern
paar Takte spielte. Er war von der eifrigen Anstrengung leicht geröthet. —
Betel warf beim Fortgehen eiuen seltsamen Blick auf ihn und die Baronin,
die ihr viel zu theilnehmend und ganz ungewöhnlich musikeisrig vorkam. Es
gibt kein unglücklicheres Verhältniß in einem Hause, als eine Intrigue unt
Frau und Zofe zugleich, namentlich wenn die letztere ernstlich verliebt —
da kommt der glückliche Liebhaber gewiß nicht dazu, mit der Dame fünf
Minuten allein zu sein — und, als Betel hinausging, nahm sie sich auch
fest vor, ihre Gebieterin ans das schärfste zu kontroliren. Diese bekam nut
einmal Lust, vierbändig zu spielen, und suchte aus den: Vorrath alter Noten,
die aus einer Etagere lagen, eine früher oft exercirte Sonate heraus, rückte
sich einen Stuhl neben Theodor und fing an mit ihm zu musiciren. Vier¬
händig spielen ist von jeher ein Haupttuiss deö Liebesteufels gewesen, da
berühren sich die Finger, da tritt in der Begeisterung die Dame statt auf
das Pedal dem Herrn auf den Fuß, und dieser kommt mit seinen Lippen
in die unmittelbarste Nähe der von dem Feuer der parnassischen Göttinnen
angestrahlten Wangen. Beim Piano werden Vorbereitungen, die sonst un¬
endlich viel Zeit, Mühe und Vorsicht brauchen, rapid übersprungen, und es
muß schon ein sehr eifersüchtiger und ganz unmusikalischer Ehemann sein,
der nicht lieber auf und davon geht, als zuhört!

Die Sonate wurde durchgespielt — zum großen Erstaunen sämmtlicher
Hausleute, die von dem ungewohnten Klänge angezogen, sich auf dein Kor¬
ridor vor dem Speisesaale versammelt hatten. Als die Execution des alten
Dnschek vorüber war, wandte die Baronin sich mit einem bezaubernden Lächeln
zu Theodor. „Nicht wahr, lieber NeMSny, es wird gehen?"

Der Hofmeister antwortete zaghaft: „Ja, freiherrliche Gnaden, es wird
gehen'." — „Wenn wir nur öfter gespielt haben werden! Aber warum sind
Sie denn auch immer so besangen? es kommt mir vor, als gefiele es Ihnen
noch immer nicht bei uns!"

Theodor wurde wieder roth — eine dunkle Ahnung sagte ihm, er würde
mit edler Kühnheit hier eben so weit kommen, wie bei Betel, aber das Vor¬
urtheil, der angeborne Respect gegen Standespersonen war mächtiger, als
. der Drang seines guten Genius — er stotterte etwas und küßte mit Auf¬
wand aller moralischen KM die compacte Hand seiner Gönneruu Sie ent-


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[0071] neu. Karl räumte das Frühstück ab, Betel kam herein, die Baronin zu fragen, ob sie nicht Toilette machen wolle, und Theodor zu erinnern — als er aber unausgesetzt an seinein Flügel handthierte, bat sie sich mit lauter Stimme die Erlaubniß aus, ihre Eltern besuchen zu dürfen. Die Baronin gab ihr diese und wandte sich wieder zum Piano, auf dem Theodor jetzt ern paar Takte spielte. Er war von der eifrigen Anstrengung leicht geröthet. — Betel warf beim Fortgehen eiuen seltsamen Blick auf ihn und die Baronin, die ihr viel zu theilnehmend und ganz ungewöhnlich musikeisrig vorkam. Es gibt kein unglücklicheres Verhältniß in einem Hause, als eine Intrigue unt Frau und Zofe zugleich, namentlich wenn die letztere ernstlich verliebt — da kommt der glückliche Liebhaber gewiß nicht dazu, mit der Dame fünf Minuten allein zu sein — und, als Betel hinausging, nahm sie sich auch fest vor, ihre Gebieterin ans das schärfste zu kontroliren. Diese bekam nut einmal Lust, vierbändig zu spielen, und suchte aus den: Vorrath alter Noten, die aus einer Etagere lagen, eine früher oft exercirte Sonate heraus, rückte sich einen Stuhl neben Theodor und fing an mit ihm zu musiciren. Vier¬ händig spielen ist von jeher ein Haupttuiss deö Liebesteufels gewesen, da berühren sich die Finger, da tritt in der Begeisterung die Dame statt auf das Pedal dem Herrn auf den Fuß, und dieser kommt mit seinen Lippen in die unmittelbarste Nähe der von dem Feuer der parnassischen Göttinnen angestrahlten Wangen. Beim Piano werden Vorbereitungen, die sonst un¬ endlich viel Zeit, Mühe und Vorsicht brauchen, rapid übersprungen, und es muß schon ein sehr eifersüchtiger und ganz unmusikalischer Ehemann sein, der nicht lieber auf und davon geht, als zuhört! Die Sonate wurde durchgespielt — zum großen Erstaunen sämmtlicher Hausleute, die von dem ungewohnten Klänge angezogen, sich auf dein Kor¬ ridor vor dem Speisesaale versammelt hatten. Als die Execution des alten Dnschek vorüber war, wandte die Baronin sich mit einem bezaubernden Lächeln zu Theodor. „Nicht wahr, lieber NeMSny, es wird gehen?" Der Hofmeister antwortete zaghaft: „Ja, freiherrliche Gnaden, es wird gehen'." — „Wenn wir nur öfter gespielt haben werden! Aber warum sind Sie denn auch immer so besangen? es kommt mir vor, als gefiele es Ihnen noch immer nicht bei uns!" Theodor wurde wieder roth — eine dunkle Ahnung sagte ihm, er würde mit edler Kühnheit hier eben so weit kommen, wie bei Betel, aber das Vor¬ urtheil, der angeborne Respect gegen Standespersonen war mächtiger, als . der Drang seines guten Genius — er stotterte etwas und küßte mit Auf¬ wand aller moralischen KM die compacte Hand seiner Gönneruu Sie ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/71>, abgerufen am 22.07.2024.