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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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besseres Werkzeug. Auch ermüden die Primarärzte, mit Mühe und Verdruß
eingeschulte Wärterinnen trotz ihrer moralischen Schlechtigkeit zu entlassen,
denn da die Direction bei der Aufnahme dieser Subjecte so leicht geherzt
zu Werke geht, so vereinigen die neuen Pflegerinnen mit der völligen Un¬
kenntnis; des Dienstes noch die schlechten Eigenschaften ihrer Vorgängerinnen,
sind also viel schlechter als diese und machen den Wechsel gefährlich. Es
fehlt nicht an Vorkehrungen, um die Kranken gehörig zu schützen, allein sie
fruchten nichts, weil man sie mannigfach verletzen läßt. Der Oberkranken¬
pfleger soll nach der strengen Vorschrift die Krankensäle fleißig besuchen, um
jeder Unordnung, jeder Pflichtversänmniß oder gar Angriffen, wie wir sie eben
bezeichneten, zu steuern. Erfüllt aber der Oberkrankenpfleger diese Pflicht?
Beaufsichtigt ihn die Direction pflichtmäßig so streng, daß er sein hoch¬
wichtiges Wächteramt genau erfüllen muß? -- Wir müssen leider beide
Fragen verneinen. Auch die Secundarärzte find zum kräftigen Schutze der
Kranken berufen, allein daß ihre Schritte bei dein herrschenden Directivns-
system nichts nützen, weiß der Leser bereits. Die Kranken nun, stille,
furchtsame Zeugen dieser furchtbaren Mißbräuche, bitten und ermuntern ihre
Angehörigen und Fremde die Gunst der Gewaltigen, in deren Hände sie
gegeben find, durch Geschenke zu gewinnen. Wenn sie das Spital verlassen,
dann erzählen sie wie es ihnen hier erging, was sie sahen und erlebten.
Daher die Furcht der untern Klassen, daher ihre Scheu vor einer Anstalt,
die zu ihrem Heile, zu ihrem Troste gegründet wurde.

Ein anderer, der wachsamen Direction ebenfalls entgehender Mißbrauch
muß hier ebenfalls zum Besten der armen Spitalbewohner enthüllt werden.
Kaum sind nämlich die Kranken soweit in der Genesung vorgeschritten, daß sie
das Lager verlassen können, so werden sie von den Wärterslenten als dienst¬
bare Geister benutzt. Manche Recvnvalcszenten übernehmen diese Dienstbar¬
keit gerne, weil sie ihnen manche kleine Begünstigung von Seite ihrer weib¬
lichen Obrigkeit zuwendet; manchen sind die aufgetragenen Arbeiten eben
nicht schädlich, aber es ist und bleibt ein Mißbrauch, der hin und wieder
schwere Folgen nach sich zieht, deshalb zwar verboten, aber dennoch an der
Tagesordnung ist.

Als ganz besondere, höchst gefährliche Erwerbsquelle der Wärtersleute
stellt sich der geheime Victualienhaudel und die geheime Speisewirthschaft
dar. Während die Diät, ans die der Arzt so viel zählt, die im Heilplane
ein so entscheidendes Gewicht hat, mit größter Genauigkeit von den Aerzten,
festgesetzt, und ans der am Krankenbette befindlichen Tafel verzeichnet wird,
vernichten gerade die Wärteröleute alle in dieser Beziehung getroffenen An-


besseres Werkzeug. Auch ermüden die Primarärzte, mit Mühe und Verdruß
eingeschulte Wärterinnen trotz ihrer moralischen Schlechtigkeit zu entlassen,
denn da die Direction bei der Aufnahme dieser Subjecte so leicht geherzt
zu Werke geht, so vereinigen die neuen Pflegerinnen mit der völligen Un¬
kenntnis; des Dienstes noch die schlechten Eigenschaften ihrer Vorgängerinnen,
sind also viel schlechter als diese und machen den Wechsel gefährlich. Es
fehlt nicht an Vorkehrungen, um die Kranken gehörig zu schützen, allein sie
fruchten nichts, weil man sie mannigfach verletzen läßt. Der Oberkranken¬
pfleger soll nach der strengen Vorschrift die Krankensäle fleißig besuchen, um
jeder Unordnung, jeder Pflichtversänmniß oder gar Angriffen, wie wir sie eben
bezeichneten, zu steuern. Erfüllt aber der Oberkrankenpfleger diese Pflicht?
Beaufsichtigt ihn die Direction pflichtmäßig so streng, daß er sein hoch¬
wichtiges Wächteramt genau erfüllen muß? — Wir müssen leider beide
Fragen verneinen. Auch die Secundarärzte find zum kräftigen Schutze der
Kranken berufen, allein daß ihre Schritte bei dein herrschenden Directivns-
system nichts nützen, weiß der Leser bereits. Die Kranken nun, stille,
furchtsame Zeugen dieser furchtbaren Mißbräuche, bitten und ermuntern ihre
Angehörigen und Fremde die Gunst der Gewaltigen, in deren Hände sie
gegeben find, durch Geschenke zu gewinnen. Wenn sie das Spital verlassen,
dann erzählen sie wie es ihnen hier erging, was sie sahen und erlebten.
Daher die Furcht der untern Klassen, daher ihre Scheu vor einer Anstalt,
die zu ihrem Heile, zu ihrem Troste gegründet wurde.

Ein anderer, der wachsamen Direction ebenfalls entgehender Mißbrauch
muß hier ebenfalls zum Besten der armen Spitalbewohner enthüllt werden.
Kaum sind nämlich die Kranken soweit in der Genesung vorgeschritten, daß sie
das Lager verlassen können, so werden sie von den Wärterslenten als dienst¬
bare Geister benutzt. Manche Recvnvalcszenten übernehmen diese Dienstbar¬
keit gerne, weil sie ihnen manche kleine Begünstigung von Seite ihrer weib¬
lichen Obrigkeit zuwendet; manchen sind die aufgetragenen Arbeiten eben
nicht schädlich, aber es ist und bleibt ein Mißbrauch, der hin und wieder
schwere Folgen nach sich zieht, deshalb zwar verboten, aber dennoch an der
Tagesordnung ist.

Als ganz besondere, höchst gefährliche Erwerbsquelle der Wärtersleute
stellt sich der geheime Victualienhaudel und die geheime Speisewirthschaft
dar. Während die Diät, ans die der Arzt so viel zählt, die im Heilplane
ein so entscheidendes Gewicht hat, mit größter Genauigkeit von den Aerzten,
festgesetzt, und ans der am Krankenbette befindlichen Tafel verzeichnet wird,
vernichten gerade die Wärteröleute alle in dieser Beziehung getroffenen An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/564>, abgerufen am 22.07.2024.