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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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drungen zu sagen: er hätte eben so gut etwas anders thun können; man
wird jeden Augenblick überrascht und bestürzt, und dieser ewige Wechsel der
Anspannung ermüdet endlich eben so sehr, wie das unausgesetzte Träumen
in der Tieck'schen Genvveva, in welcher sich die Charaktere in Blumendüfte
und Volkslieder-Reminiscenzen auflösen. Die Ueberspannung der Stärke
schläfert eben so ein, wie das fortgesetzte Siechthum der sittlichen Ohnmacht.

In der Judith ist es eben so; Holofernes, ein Wüstling an der Spitze
einer Mongvleuschaar, ohne irgend eine sittliche Idee, ohne äußern Wider¬
stand, springt von einer Lanne zur andern, er läßt die Menschen bald pfäh¬
len, bald schinden, bald erweist er ihnen Gnade; wenn er nicht von der
Judith ermordet wäre, so hätte das noch lange so fortgehen können: sein
Untergang hat keine innere Nothwendigkeit, seine Geschichte kein immanentes
Gesetz, und seine mystischen Reflexionen über Gottheit und Menschheit, sind
dem barbarischen Zeitalter so widersprechend als möglich, dienen nur dazu,
seine Gelüste noch widerlicher zu machen.

Ich muß nnn freilich gestehen, daß all' diese Verirrungen das Gepräge
eines großen Talents tragen; daß die dämonische Gluth des Hasses mit
eben so sinnlicher Wahrheit uns vor die Seele geführt wird, als das schmei¬
chelnde Geflüster der Liebe. Außer Lessing und Kleist kenne ich keinen
deutschen Dramatiker, dessen Zeichnung so scharf und bestimmt ausgeführt,
mit solcher unerbittlichen Härte festgehalten wäre. Hebbel hat sogar vor Je¬
nen den Vorzug, daß seine Dichtungen auch den musikalischen Reiz nicht
entbehren, den poetischen Duft, der jene harten Formen dem Gemüth näher
führt. Die Abschiedsscene zwischen Siegfried und Genovcva ist eins der
reizendsten Bilder, welche die deutsche Poesie hervorgebracht hat, so wie
Meister Anton eine der kühnsten Conceptionen, die überhaupt ein Poet ge¬
wagt. Aber überall steht er an dem schmalen Rande, der genialen Geist
vom Unsinn scheidet, und sein Tritt ist nicht sicher genug, wir schweben be¬
ständig in der Furcht, er werde hiuübergleitcu.

Judith die Heldin seines Erstlingswerks, ist eine große Seele, die
das Bedürfniß hat zu lieben, anzubeten, aber nur was dieser Anbetung
würdig ist; die aber auch zugleich das dämonische Gelüst in sich trägt, das
man den schwangern Weibern nachsagt, den Drang ihrer Seele im Zerstö¬
ren zu befriedigen. Diesen Drang ahnte ihr verstorbener Mann in ihr, als
er sie in der Hvchzeitnacht nicht berührte; Asmodi, das bittere Gespenst,
hauchte ihn mit seinem Schauder an, und er vernahm in den Tiefen seines
Herzens: dieses Weib zerreißt, was es liebt, mordet, wenn seine Wollust
rege wird. Ihre beiden Ideale werden ihr erfüllt: ein Maun erscheint, den


drungen zu sagen: er hätte eben so gut etwas anders thun können; man
wird jeden Augenblick überrascht und bestürzt, und dieser ewige Wechsel der
Anspannung ermüdet endlich eben so sehr, wie das unausgesetzte Träumen
in der Tieck'schen Genvveva, in welcher sich die Charaktere in Blumendüfte
und Volkslieder-Reminiscenzen auflösen. Die Ueberspannung der Stärke
schläfert eben so ein, wie das fortgesetzte Siechthum der sittlichen Ohnmacht.

In der Judith ist es eben so; Holofernes, ein Wüstling an der Spitze
einer Mongvleuschaar, ohne irgend eine sittliche Idee, ohne äußern Wider¬
stand, springt von einer Lanne zur andern, er läßt die Menschen bald pfäh¬
len, bald schinden, bald erweist er ihnen Gnade; wenn er nicht von der
Judith ermordet wäre, so hätte das noch lange so fortgehen können: sein
Untergang hat keine innere Nothwendigkeit, seine Geschichte kein immanentes
Gesetz, und seine mystischen Reflexionen über Gottheit und Menschheit, sind
dem barbarischen Zeitalter so widersprechend als möglich, dienen nur dazu,
seine Gelüste noch widerlicher zu machen.

Ich muß nnn freilich gestehen, daß all' diese Verirrungen das Gepräge
eines großen Talents tragen; daß die dämonische Gluth des Hasses mit
eben so sinnlicher Wahrheit uns vor die Seele geführt wird, als das schmei¬
chelnde Geflüster der Liebe. Außer Lessing und Kleist kenne ich keinen
deutschen Dramatiker, dessen Zeichnung so scharf und bestimmt ausgeführt,
mit solcher unerbittlichen Härte festgehalten wäre. Hebbel hat sogar vor Je¬
nen den Vorzug, daß seine Dichtungen auch den musikalischen Reiz nicht
entbehren, den poetischen Duft, der jene harten Formen dem Gemüth näher
führt. Die Abschiedsscene zwischen Siegfried und Genovcva ist eins der
reizendsten Bilder, welche die deutsche Poesie hervorgebracht hat, so wie
Meister Anton eine der kühnsten Conceptionen, die überhaupt ein Poet ge¬
wagt. Aber überall steht er an dem schmalen Rande, der genialen Geist
vom Unsinn scheidet, und sein Tritt ist nicht sicher genug, wir schweben be¬
ständig in der Furcht, er werde hiuübergleitcu.

Judith die Heldin seines Erstlingswerks, ist eine große Seele, die
das Bedürfniß hat zu lieben, anzubeten, aber nur was dieser Anbetung
würdig ist; die aber auch zugleich das dämonische Gelüst in sich trägt, das
man den schwangern Weibern nachsagt, den Drang ihrer Seele im Zerstö¬
ren zu befriedigen. Diesen Drang ahnte ihr verstorbener Mann in ihr, als
er sie in der Hvchzeitnacht nicht berührte; Asmodi, das bittere Gespenst,
hauchte ihn mit seinem Schauder an, und er vernahm in den Tiefen seines
Herzens: dieses Weib zerreißt, was es liebt, mordet, wenn seine Wollust
rege wird. Ihre beiden Ideale werden ihr erfüllt: ein Maun erscheint, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/513>, abgerufen am 22.07.2024.